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Surreale Visionen in "The Tree of Life"

01.02.2015 - 11:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Tree of Life
Concorde Filmverleih GmbH
The Tree of Life
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Phantastische Allegorien, surreale Szenen und Erinnerungen der Kindheit in Terrence Malick's "The Tree of Life"

In meinem ersten Blogartikel in der wundervollen "blog me if you can"-Reihe, die Grimalkin ins Leben gerufen hat und mich zur Mit-Projektleiterin auserkoren hat, möchte ich mich unter dem ersten Thema dieses "ultimativen Gemeinschaftsprojekts für alle interessierten Blogger unter den Moviepiloten" mit einem meiner Lieblingsfilme beschäftigen:
The Tree of Life von Terrence Malick.


Es ist eine magische Welt in die uns Terrence Malick entführt. Es ist sein eigener Traum. Es ist die unglaubliche Herrlichkeit der Welt, der Natur, des Lebens. Es ist wie ein Gemälde aus der natürlichsten Schönheit. Eine surreale Perfektion aus laufenden Bildern. Malick erzählt uns eine Geschichte aus dem inneren Kampf und der letztendlichen Erlösung, das Ende, die Versöhnung. Malick betet die Pracht des Lebens an. Seinen Pantheismus sieht man dem Film in jeder Sekunde an. Nichts ist nicht wunderschön. Alles besitzt diesen göttlichen Hauch, eine himmlische Magie, die Malick sanft festzuhalten versucht.


Er schafft mit The Tree of Life die Verbindung zur Kindheit des Protagonisten Jack und unseren eigenen Erinnerungen, die wir, wie er durch einen trüben Schleier zu fassen versuchen. Wir sehen unser Erwachsenwerden, unsere Vorbilder, unsere kostbarsten Momente, die nüchtern betrachtet vielleicht belanglos erscheinen mögen und mit dem Blick zurück, der Reife und dem Wissen unseres jetzigen Ichs, eine weit entfernte Vergangenheit darstellen, die wir nur im Ansatz fassen und verstehen können.

Wie war es selbst ein Kind zu sein? Alles war größer, es war viel mehr als es uns heute erscheinen mag. Wir waren furchtloser, Farben waren bunter, die Weite weiter, das Leben einfacher und gleichzeitig schwerer. Jeder Sommerregen war eine Offenbarung und jede Schneeflocke war ein Fest. Alles schien uns absolut und wir bewegten uns stets nur zwischen den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen. Wir stellten mehr Fragen, probierten alles aus, unsere Augen waren immer weit aufgerissen aus Angst auch nur einen Augenblick zu verpassen und wir sehnten uns nach jeder Erfahrung. Mit zitternden Beinen, die nie gehen, sondern immer nur laufen wollten. Und alles was wir nicht verstanden, war für uns pure Magie. Und so sieht es sicher auch Terrence Malick, wenn er Jack's Mutter schwebend im Glanz des goldenen Abendlichts tanzen lässt. Wir sehen sie wie ein magisches Wesen, denn für Jack war sie das. Magisch, sanft und liebevoll und wunderschön. Eine Vereinigung von Realität und Fantasie. Verfälschte Erinnerungen. Eine Mutter in den Augen ihres Kindes.

Wir sehen die Welt durch Jack's Augen. Doch ein Blick zurück, bleibt immer nur ein Blick zurück. Es ist seine Suche nach den Momenten in denen seine Welt sich für immer verändert hat, der Ursprung seiner Rastlosigkeit. Für uns aber ist es ein neues Entdecken. Wir sehen seine Welt und ihre Schönheit macht uns sprachlos, denn wir sehen sie so zum ersten Mal, als ob wir selbst wieder Kinder mit großen Augen sind. Wir sind die kleinen Jungen, die nach Hause gerufen werden, sobald es anfängt dunkel zu werden, wir laufen mit aufgeschlagenen Knien durch die Felder und hüpfen auf unseren Betten, weil wir noch nicht schlafen wollen.

Zu Jack's Erinnerungen, die mit den Jahren vielleicht an Genauigkeit, jedoch nicht an Zauber verloren haben, reihen sich immer wieder surreale Szenen, wie ein roter Faden. Himmlische Momente oder Visionen. Allegorien. Jack's Bruder, der unter Wasser durch eine Tür hindurch taucht. Seine Mutter, die in einer wunderschönen Landschaft mit offenen Armen in Richtung Horizont schreitet und zahlreiche mehr. Diese besonderen Szenen knüpfen sich nahtlos in den Film ein und alles wird zudem mit einer epischen Kompositionen unterlegt, zu einer Hymne auf das Leben. So liegt es an uns selbst zwischen Realität und Fantasie zu entscheiden. Zwischen Erinnerung und surrealen Phantasmen.

Außer diesen einzelnen Szenen verbindet Malick die Entwicklung seines Hauptcharakters durch eine visuelle Metaebene. Ob diese nun Traum ist, oder Metapher.
Wir sehen die Reise vom erwachsenen Jack durch steinige Landschaften, über Klippen und Steine, leer und tot, bis er endlich an einem Strand auf seine Familie trifft. Seine Eltern und seinen verstorbenen Bruder, der noch genau so aussieht wie wir ihn in seinen Erinnerungen gesehen haben. Wir sehen Jack's finale Erlösung. Der lang ersehnte Abschluss mit dem, was ihn seit seiner Kindheit heimsuchte. Es war die Schuld seinen Bruder für etwas beneidet zu haben, ihn verantwortlich für etwas gemacht zu haben, wofür dieser nichts konnte. Jack war eifersüchtig auf ihn, da er so war, wie Jack selbst sein wollte, aber nicht sein konnte. Sanft und sensibel, musikalisch, zart wie seine Mutter. Stattdessen musste er sich bewusst werden, dass er eben nicht so war, sondern dass er mehr und mehr zum Ebenbild seines Vaters wurde, den er sich selbst zum Feind erklärt hatte, der für ihn nichts von der liebenswerten Art seiner Mutter hatte.

What I want to do, I can't do. I do what I hate.


Doch dem Protagonisten ergeht es so, wie es jedem ergeht, wenn er erwachsen wird. Man erkennt die Schwächen seiner als unfehlbar erscheinenden Eltern. Man wird sich bewusst, dass sie auch nur Menschen sind und nicht die zauberhaften Wesen und Bösewichte, für die wir sie immer hielten. Die geliebte Mutter, die mit dem Tod ihres Sohnes nicht zurecht kommt, eben weil sie zu sanft und feinfühlig ist, die ihre Kinder nicht vor der groben Hand des Vaters schützen konnte und der strenge Vater, dessen Fehler es war zu viel vom Leben zu erwarten und der eigentlich immer nur versuchte seiner Familie alles bieten zu können, seine Söhne zu guten Männern zu machen, sie auf das wirkliche Leben vorzubereiten und der später sogar selbst erkennt, dass er Fehler gemacht hat.

I wanted to be loved because I was great; A big man. I'm nothing. Look at the glory around us; trees, birds. I lived in shame. I dishonored it all, and didn't notice the glory. I'm a foolish man.


Jack muss sich am Ende eingestehen, dass sein Kampf mit sich selbst, seine viel zu lange andauernde Suche nach dem Grund, warum er den Tod seines Bruders nicht verarbeiten kann, nun endlich vorbei sind. Dass er nun allen vergeben muss und kann. Vor allem sich selbst.

In dieser Sequenz des Films liegt der Schwerpunkt weniger auf der magischen Schönheit, wie in den Erinnerungen, sondern auf der Religion, oder genauer auf der inneren Erlösung. Malick stellt das Innerste dar, das Gefühl, den Prozess selbst. Den Gott, dessen Präsenz Malick vorher in der Erschaffung des Universums und des Lebens auf der Erde klar macht und dessen Existenz und Motivation Jack als kleiner Junge hinterfragt, ist für Malick keine höhere Instanz, er ist kein Mann im Himmel, sondern das Leben selbst, die Liebe, die reinste Art der Empfindungen. Gott existiert in Allem und Jedem. Und die Reise, die Jack hinter sich bringt um endlich seinen Frieden zu finden, ist eine Reise, die jeder für sich selbst antreten muss.

Was Malick in seinen Traumdarstellungen zeigt sind wunderschönste Szenen, die sich in die Geschichte um Jack's Kindheit und die Geburt des Lebens einbetten. Sie sind wie drei Ebenen, die aufeinander aufbauen: Die Entstehung, das Leben und die Erlösung. Ursprung, Existenz und Exitus. Es ist Malicks Ambition diese drei zu verbinden, sie in einem Film darzustellen, alle drei zwischen dem Ringen von „Gnade und Natur“.

The nuns taught us there were two ways through life - the way of nature and the way of grace. You have to choose which one you'll follow.

Hier noch alle weiteren Links zu "blog me if you can":

Artikelübersicht

FAQ

Und natürlich die tollen Texte der Moviepiloten zum Thema Traumdarstellungen:

Grimalkin - Paprika, der psychotherapeutische Traum
kobbi88 - Träume und Menschenexperimente
alex023 - Eine diffuse Auseinandersetzung mit fliegenden Fischen oder der unverhoffte Glaube an den Wert an sich
Martin Oberndorf - Fürchten leicht gemacht mit Bette Davis
Friedsas - Alles nur geträumt
Mr.English - The Artist - Verneigung im Traum
Donny Brandt - It was all a dream
mysteryboy69 - Flight Pub
Absurda - Traum versus Realität in David Lynchs Mulholland Drive

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