Taboo - Unser Recap zu Staffel 1, Folge 1 Shovels and Keys

09.01.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Taboo, Shovels and KeysBBC
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Am Samstag feierte Taboo von und mit Tom Hardy seine Premiere bei BBC. Damit könnte der Sender den Auftakt zu einer der spannendsten Serien 2017 präsentiert haben.

Nach einer Stunde Taboo wird erstmal der Dreck vom Bildschirm gewischt: Es ist schmutzig in London. Zumindest in der Vision von Steven Knight, Showrunner der Serie, die er sich zusammen mit Tom Hardy und dessen Vater Chips Hardy erdacht hat, und Autor dieser ersten, von Kristoffer Nyholm inszenierten Episode, Shovels and Keys. Schaufel und Schlüssel sind in dieser Stadt, in der es auch vom Sofa aus immer ein kleines bisschen nach Scheiße riecht, wahrscheinlich die zwei wichtigsten Instrumente für all diejenigen, die hier vorankommen wollen. Vor allem ohne die Schaufel geht nichts: Die bildlichen Leichen im Keller müssen ganz tief eingebuddelt, die echten Leichen wieder rausgeholt werden. Mit dem Schlüssel geht's dann in den Puff.

Daran hat James Keziah Delaney (Tom Hardy) aber kein Interesse. Er ist hier, weil er etwas zu erledigen hat. Ganz zur Verwunderung seiner ehemaligen Geschäfts- und SexpartnerInnen taucht der totgeglaubte Delaney zur Beerdigung seines Vaters auf und sorgt eigentlich nur für schlechte Laune. Als Sohn des Verstorbenen hat er ein Recht auf das weitestgehend wertlose Erbe des Vaters, womit bis dahin seine Halbschwester Zilpha (Oona Chaplin) und ihr Ehemann Thorne Geary (Jefferson Hall) gerechnet haben. Das passt den beiden überhaupt nicht, denn das Erbe ist zwar weitestgehend, aber nicht gänzlich wertlos. Da ist dieses Stück Land im Westen Amerikas namens Nootka Sound, für das die East India Company bereit wäre, ein gutes Sümmchen zu zahlen, worauf sich Zilpha und Thorne wohl eingestellt haben dürften. James Delaney hat jedoch kein Interesse daran, es zu verkaufen.

Taboo macht es einem nicht leicht, die ganze Bandbreite der Erzählung zu greifen, was Teil des Reizes der Serie ist. In jedem Fall ist es ratsam, sich vorab zumindest ein kleines bisschen über die East India Company  zu informieren. Die East India Company, in der Serie vom grandiosen Jonathan Pryce als Stuart Strange angeführt, war eine bereits 1600 gegründete Handelsgesellschaft, die sich aus reichen Kaufleuten und anderen Aristokraten zusammensetzte. Sie war von der Regierung zwar autorisiert, arbeitete aber unabhängig von ihr und wickelte schon früh einen großen Teil des nationalen Handels ab. Im frühen 19. Jahrhundert, also zu der Zeit, in der Taboo spielt, hatte sie bereits ein vollständiges Handelsmonopol, eine mächtige Lobby im Parlament und eine eigene, vom Staat unabhängige Armee zur Durchsetzung der globalen Interessen. Der kurz vor der Beendigung stehende Britisch-Amerikanische Krieg soll ihnen nun dazu dienen, eine Handelsstraße über Vancouver nach China zu sichern. Dafür brauchen sie aber das sich noch in Privathand befindende Nootka Sound. James Delaney sagt: Nein.

Um diesen Konflikt zirkuliert der Kern dieser Serie, doch sie wütet gleichzeitig in alle Richtungen und stellt von Anfang an klar, dass jede einzelne Figur sich in einem permanenten moralischen Grenzlauf befindet. Allen voran unser "Held" selbst, der wirklich allerhand zum be- und ausgraben hat. Taboos historischer Rahmen ist nämlich, Gott sei dank, in erster Linie ein stinkendes Spielfeld, um die Abgründe der Charaktere auszuloten. James Delaney stolziert mitsamt seines geilen Huts als Reinkarnation des Teufels majestätisch durch die verdreckten Gassen und trägt sein dehnbares Moralverständnis vor sich her wie eine Trophäe. Und auch wenn er überall nur auf Verachtung und Entsetzen stößt, so ist die Ehrfurcht seiner Mitmenschen nicht von der Hand zu weisen, als hätte sich der König tatsächlich gerade aus dem Schlamm erhoben, um sich den unverrichteten Dingen zu widmen.

Das ist bei diesem Ungetüm von Vergangenheit, dass Delaney auf dem Rücken sitzt, gar nicht so einfach. Da ist die offensichtlich inzestuöse Vergangenheit mit seiner wirklich HAPPILY married Schwester, über die sie nicht - und zwar niemals - reden will ("I hope I can trust you to keep the secrets of the past buried. Buried in a deeper grave."); da ist James' eigene persönliche Tragödie vom gesunkenen Sklavenschiff, über die er nicht reden will; da ist die gemeinsame Vergangenheit mit Mitgliedern der East India Company, über die niemand reden will ("I know the evils that you do, because I was once part of it."). Und dann ist da noch mehr. Dann sind da noch die Gerüchte, von denen wir zwar nicht wissen, wie sie lauten, aber merken, dass sie James Delaney zumindest in den Augen seiner zahlreichen Feinde endgültig zur diabolischen Bestie machen. Und nun muss er zu allem Überfluss auch noch herausfinden, wer seinen Vater vergiftet hat - dessen Liste an Feinden ist nämlich keineswegs kürzer.

Das sind ganz schön viele Handlungsstränge, die Taboo in diesem Staffelauftakt zusammenbringen möchte und das kann schnell überfordernd sein. In der Hinsicht verlangt die Serie tatsächlich viel Aufmerksamkeit, vielleicht sogar eine zweite Sichtung, doch ist Shovels and Keys schon so vielversprechend, dass sich die Mühe bezahlt machen könnte. James Delaney ist auch dank Tom Hardys gewohnt gewaltiger Präsenz eine faszinierende Figur, weil sie gleichzeitig genauso wie alle anderen und das genaue Gegenteil von ihnen ist. Sie alle haben Blut an den Händen, von dem Rat der East India Company, über seine Schwester und ihrem Ehemann bis hin zum Pathologen, in dessen Branche der Grabraub offenbar nicht unüblich ist. Delaney selbst ist in dieser versifften Stadt voller Gesocks keine Ausnahme, aber niemand stellt seinen inneren Schmutz so stolz zur Schau wie er. Die Männer der East India Company beraten in vergoldeten Räumen in fescher Kleidung bei Tee sicherlich nicht nur über den Umgang mit Erbschaften, Zilpha betont das Glück in ihrem neuen bourgeoisen Leben mit solch einer Krampfhaftigkeit, dass es weh tut. Nur Delaney macht keinen Hehl daraus, was für ein übler Typ er ist.

Dadurch wirkt er in diesen ersten 55 Minuten souveräner und bedrohlicher als seine Gegenüber. Dieser kurze Einblick in die Londoner Gesellschaft in Taboo hat jedoch deutlich gemacht, dass er eben nicht der Antichrist ist, der eines Tages aus der Hölle stieg und das personifizierte Böse ist. James Delaney ist, wie alle anderen in dieser Serie auch, nicht mehr als ein Kind seiner Zeit, und von seinem Schlag gibt es noch ein paar mehr da draußen. Die Herren der East India Company haben zum Ende der "Verhandlungen" bereits beschlossen, ihre gesittete Maske abzunehmen und zu den schweren Geschützen zu greifen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch alle anderen ihre Fratzen entblößen.

"We are all owned and we have all owned others so don’t you stand there and judge me. Today I have work to do."

Notizen am Rande:

- Was für eine spaßige Überraschung, Franka Potente als raue Bordellbetreiberin Helga zu sehen. Hoffentlich kommt da noch mehr.

- James Delaneys Stammbaum ist ein wildes Gewucher: Sein Vater hat sich offenbar gerne rumgetrieben und mindestens zwei Kinder mit zwei verschiedenen Frauen gezeugt. Unklar ist, wer der kleine Junge ist, auf den der nach der Bezahlung so glückliche Bauer aufgepasst hat. Ein weiterer Sohn des verstorbenen Vaters? Oder vielleicht sogar Delaneys eigener Sohn, den er mit seiner Schwester gezeugt hat und der deswegen geheim gehalten werden muss?

- Tom Hardy kann mit seinem knurrenden Gemurmel jede noch so schlichte, tausendfach gehörte Zeile so rüberbringen, dass sie unvergesslich wird: "Are you deaf?" (Es wird in diesen Recaps sehr viel Liebe für den Mann geben.)

- Steven Knight hat sich mit dem Guardian zusammengesetzt, um über Taboo zu sprechen und herausgekommen ist dieser schöne Artikel , in dem er vor allem über die politischen Komponente der Serie spricht, aber auch über die wilde Gesellschaft dieser Zeit, die in vielerlei Hinsicht offener und liberaler war, als es lange Zeit danach der Fall war.

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