Tatort - Der tiefe Schlaf von Batic und Leitmayr

30.12.2012 - 21:45 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Fabian Hinrichs in Tatort - Der tiefe Schlaf
BR/ARD
Fabian Hinrichs in Tatort - Der tiefe Schlaf
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Ein vor allem hinter den Kulissen aufregendes Tatort-Jahr 2012 neigt sich dem Ende zu. Der neue Fall der Münchner, Tatort – Der tiefe Schlaf, belegt, dass die beliebte Krimireihe auch mit Qualität statt Quantität punkten kann.

Wie eigentlich jedes Jahr bot 2012 starke Schwankungen in Sachen Tatort -Qualität. Für Schlagzeilen sorgten allerdings die Querelen hinter der Kamera. Cenk Batu nahm seinen Abschied ebenso wie die beiden jungen Ermittler aus Saarbrücken. Gefühlt jede Woche wurden neue Ermittler oder Tatort-Metropolen vorgestellt, während alle abwechselnd gespannt und angsterfüllt auf den ersten Auftritt von Til Schweiger warten. Die kommenden zwölf Monate werden zeigen, wie sich die Zerfaserung der Teams und Schauplätze auf das Niveau auswirkt. Zum Abschluss des Jahres 2012 legen sich die Münchner Haudegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit Tatort: Der tiefe Schlaf jedenfalls noch einmal ins Zeug und liefern ihre persönliche Jahresbestleistung ab.

Lokalkolorit: Obwohl in Tatort – Der tiefe Schlaf ganz traditionell Zeugenbefragungen vorkommen, spielt sich der Krimi mehr noch als andere Artgenossen an einem Ort ab: im Büro der beiden Kollegen Leitmayr und Batic. Die traumartige Atmosphäre, die im Titel bereits angedeutet wird, hält hier ganz besonders Einzug. Geradezu verliebt zeigt sich die Kamera in das irritierende Gegenlicht, das dem Geschehen zusammen mit der Weichheit der Bilder einen unwirklichen Schein verpasst. Daneben findet sich ein für einen Tatort ausgeklügeltes Tongeflecht, das sich mit der Analyse der Handyaufnahmen des Opfers durch den neuen Ermittler Gisbert Engelhardt (Fabian Hinrichs) im Hintergrund einnistet. Umso größer wirkt der Bruch, als der Kollege tot aufgefunden wird, das marternde Baustellengeräusch, das Leitmayr im Büro ständig gestört hatte, verschwunden ist, und er es plötzlich vermisst.

Plot: Ein Mädchen wird am Rande eines Gewässers tot aufgefunden, nachdem sie einen Monat lang als vermisst galt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit in Tatort – Der tiefe Schlaf, der die Mechanismen der Ermittlungen von Batic und Leitmayr ganz genau unter die Lupe nimmt. Schon in ihrem letzten Fall hatten die beiden Veteranen mit einem neuen Kollegen gearbeitet, doch diesmal ist alles anders. Gisbert Engelhardt ist eine Nervensäge allererster Güte. Womöglich beeinflusst von zu vielen amerikanischen Krimiserien gibt er sich, als lauere die Lösung des Falls an jeder Ecke. Anstatt an Hand der Indizien eine Kausalkette des Ablaufs des Verbrechens aufzubauen, springt er von einer abgehobenen Hypothese zur nächsten und strapaziert mächtig die Geduld des eingespielten Teams. Erst machen sie sich über ihn lustig. Dann wollen Batic und Leitmayr Engelhardt loswerden. Als dieser tot aufgefunden wird, ist nichts mehr, wie es war.

Unterhaltung: Wer einen konventionellen Krimi mit einer Ansammlung von Motiven und Alibis erwartet, dürfte von Tatort – Der tiefe Schlaf enttäuscht werden. Oder positiv überrascht. Freilich arbeitet Regisseur und Autor Alexander Adolph (So glücklich war ich noch nie) mit Flashbacks, die den letzten Weg des späteren Opfers Carla (Anna Willecke) zu rekonstruieren vorgeben. Im Endeffekt dienen sie höchstens als unvollendete Skizze. Die Präsenz des Störfaktors Engelhardt marginalisiert den Fall, was paradoxerweise auf den Eifer zurückzuführen ist, mit dem dieser sich in die Ermittlungen kniet. Der Schauspieler des Jahres™ Fabian Hinrichs gibt nicht den Bösewicht (wie etwa Lars Eidinger in Tatort: Borowski und der stille Gast), bildet aber eine Art Antagonist, an dem sich Batic und Leitmayr abarbeiten müssen. Und was für einen! Hinrichs, dem die verqueren Außenseiter liegen, spielt einen Quälgeist, der die ganz große Show sucht. Seine lautstarke Analyse der Handyaufnahmen verkommt deswegen zum urkomischen Einpersonenstück und bei der Trauerfeier der Familie des Opfers springt er im theatralischen Übereifer glatt auf einen Fotografen (“Ein Polizist wird immer nur dann gerufen, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Ein Polizist wird nie gerufen, wenn etwas Schönes passiert ist.”).

Tiefgang: Doch was teils wie eine skurrile Bürokomödie begeistert, wechselt schlagartig den Tonfall, als Engelhardts Leiche nahe des Imbiss gefunden wird, an dem er Ausschau nach dem Täter gehalten hatte. Andere Film würden an einem solchen Bruch in der Stimmung auseinanderfallen. Tatort – Der tiefe Schlaf geht daraus gestärkt hervor. Die träumerischen Bilder weichen der kalten Realität, dem Schlag in die Magengrube, als Batic und Leitmayr bewusst wird, warum sich Engelhardt so reingehängt hatte (wegen seines toten Bruders, den er einmal sogar vor sich sieht). Der tiefe Schlaf, das ist die Routine, die die beiden Kommissare blind macht gegenüber den tatsächlichen Erkenntnissen, die Engelhardt hinter seiner exzentrischen Fassade verbirgt, aber auch gegenüber seinen Motiven. Es ist der Grund, warum sie sich von ihm distanzieren, obschon Batic und Leitmayr es besser wissen sollten und letztlich Ausschlaggeber für den Alleingang des Mittdreißigers, der zu seinem Tod führt. Brillanz erreicht Tatort – Der tiefe Schlaf schließlich am Ende, als er uns Motiv, Name usw. des Mörders versagt. Wir dürfen größtenteils nicht einmal das Gesicht dieses Mannes sehen. Sein Atmen jedoch, das vergessen wir so schnell nicht wieder.

Mord des Sonntags: Blumen am Wegesrand, das Brausen auf der Autobahn und die Leiche Engelhardts, die im übrigen wie jene des Mädchens nicht gezeigt wird. Die entscheidenden Dinge überlässt dieser Tatort der Vorstellungskraft.

Zitat des Sonntags: “Lasst mich doch einmal was richtig machen.”

Einen erstklassigen Jahresabschluss liefern uns die Münchner in ihrem neuen Tatort oder wie seht ihr das?

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