In den letzten Jahren sind so viele großartige TV-Serien erschienen, und es werden immer mehr. Viele davon buhlen um eure Aufmerksamkeit, viele davon sind mehr als die Schublade, in der sie produziert wurden. Überall bröckeln Fassaden, werden Konventionen über den Haufen geworfen, kommen alte Lieblinge wieder, neue hinzu, und auf einer verwirrenden Vielzahl von Sendern, Streaming-Anbietern und Blu-rays macht euch ein erstes Wow zu Serientätern. Wir leben wahrlich in einem goldenen Zeitalter.
Doch manche Serien geben uns mehr, als sie vorgeben. Sie belehren uns tiefer, als ihre Geschichten allein es vermuten lassen. Sie öffnen unsere Augen weiter als nur beim Wow des ersten Schauens. Sie lassen uns Kommentare schreiben, zu denen den meisten die Worte fehlen. True Detective ist eine von diesen Serien. Und Rocket Mans Worte sind einer dieser Kommentare.
Der Kommentar der Woche von Rocket Man zu True Detective
Ein Lied von Licht und Dunkelheit
Wie viele Sterne siehst du, wenn du in einer klaren Nacht in den Himmel schaust? Wie viel Licht und wie viel Dunkelheit?
Ganz klar ist, dass es weit weniger Sterne, viel weniger Licht am Nachthimmel gibt, als Dunkelheit und schwarze, leere Ödnis, in der etwas zu sehen unmöglich ist.
Rust Cohle (Matthew McConaughey) und Martin Hart (Woody Harrelson) sind Licht und Dunkelheit.
Sie untersuchen einen Fall, der durch seine Grausamkeit, den
Nachthimmel von Sternen befreit. Eine Reihe von Missbräuchen erschüttert
die Stadt, in der die beiden Detectives über Spuren und Hinweise
stolpern, die sie 17 Jahre lang verfolgen. Aus verschiedenen
Blickwinkeln wird erzählt, wie die Ermittlungen verlaufen sind, wie sie
noch verlaufen und wie sie ausgehen. In gut eingestreuten
Kameraaufnahmen aus dem Jetzt werden die beiden befragt, parallel wird
gezeigt, was sie erzählen und welche Teile des Puzzles
ineinander greifen.
*eine raue Stimme ertönt*
"Denkst du. Ja. Aber alles wiederholt sich. Der Scheiß, den du gerade denkst, die Verbrechen, Licht und Dunkelheit, einfach alles. Scheiße, aus dem Blick einer 4. Dimension heraus, ist die Erde, die Welt, nur ein kleiner, platter Kreis, in dem die Zeit nicht existiert. Wozu also diese ganze Mühe um die Selbsterkenntnis, Individualität und das eigene Selbst? Das ist alles reiner Selbstzweck, Bullshit, nur ein Fehler in unserer Programmierung.
Wenn wir davon ausgehen, dass aus Sicht der 4. Dimension heraus, die Zeit keine Rolle spielt, warum denkt dann jeder, dass er jemand ist? Die richtige Antwort muss lauten, das wir alle nichts sind. Und alles wiederholt sich.
Der Mensch ist sich, sei es durch die Evolution und den einhergehenden Selbstzweck und Egoismus, oder durch welchen Scheiß auch immer, so über sich selbst im Klaren, dass er sich über alles stellt, alles zulässt und versuchen muss, etwas Besonderes zu sein. Ich meine… Ach, Scheiß drauf.
Die ganze Scheiße hört nie auf. Der Mensch hat sich früher nur selbst
verarscht und tut das immer wieder. Er tötet, fickt, vergewaltigt,
blutet aus und wird es wieder tun.
Und wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Zeit ist eine Illusion, ein verschwörerisches Trugbild. Alles, die Geschichte, die Dunkelheit und alles andere … es wiederholt sich. Und daran wird sich nie etwas ändern. Der Mensch tut sich das selbst an und findet anscheinend Gefallen daran.
Der einzige Weg, diesen Scheiß aufzuhalten, besteht darin, die Fortpflanzung der Menschen zu unterbinden und einfach auszusterben.“
*öffnet eine Dose Bier und trinkt aus*
So ähnlich spricht Rust über die Menschheit und das menschliche
Denken und Handeln in True Detective. Und mit vielem hat er vollkommen
Recht. Dass sich hinter all diesen Worten noch ein Mensch verbirgt, ist
schwer zu glauben, wenn man nicht erkennen müsste, dass Nic Pizzolatto
seine Worte sofort gegen ihn verwendet. Denn was Rust der Menschheit
vorwirft, dass merkt man ihm am ehesten selbst an. Denn er ist der
Inbegriff eines Arschlochs, dass sich kein Bisschen um andere schert.
Ein Eigenbrötler, ein gezeichneter Mann, der sich seiner Vergangenheit
und seiner Gefühle nicht bewusst ist. Er reduziert das Leben auf das
Nötigste und lässt Gefühle nicht zu. Ein schwerer Charakter, der aber
mehr Farbe hat, als alle anderen. Und das spricht klar für ihn, denn
gegen ihn.
Er ist sich mehr als alle anderen über die Dunkelheit bewusst, die sich in der Welt verbirgt. Er mag nicht umgänglich sein, ist aber ein hervorragender Detective, der zuweilen sogar mystisch erscheint.
Und nicht nur ein guter Detective, sondern ein Symbol für Gerechtigkeit. Denn das Verbrechen, an dem Martin und Rust arbeiten, verfolgt sie beide über 17 Jahre. Es ist, wie ein Trauma, dass sie beide verarbeiten müssen, auch wenn sie in Unterhaltungen selten einer Meinung sind. Hier verbirgt sich eine Nachricht, die lauten muss, dass zwei ungleiche Individuen mehr gemein haben, als zwei gleiche.
Martin ist, was Rust nicht sein kann. Ein normaler, langweiliger und eher witziger Typ, der Frau und Kinder Zuhause hat, wenn er seine Arbeit niederlegt. Er braucht Menschen, Freunde, Liebe und genau das, wovon Rust nichts verstehen kann. Ohne, dass sie es je zugeben würden, können sie den Fall trotzdem nur zusammen erarbeiten.
Nic Pizzolatto präsentiert uns True Detective als langsam erzählte, aber komplexe Geschichte. Auf zwei verschiedenen Zeitebenen dürfen wir Martin und Rust kennenlernen und sehen, wie sie sich verändern und wie der Fall Wurzeln schlägt, der Größer ist, als sie beide zusammen. In den Medien wird viel von “Mord als Meditation“ gesprochen, was das bereits angesprochene meint. Das Skript ist genau, die Atmosphäre leise, bedrängend und düster, die Dialoge lang, brilliant und eiskalt, wenn es um die Wahrheit des menschlichen Handelns geht. Und wenn Rust den Ton anschlägt, dann verkörpert seine Stimme eben jene exakte Linie, die sich durch die Geschichte und ihre immer währenden Kriege und Verbrechen zieht.
Was aus True Detective ein Monument seiner selbst macht, ist die eigenwillige Erzählung und der Verzicht auf eine staffelübergreifende Handlung. Ein Fall, zwei Menschen, 8 Stunden. Ein Autorenkonstrukt, dass heute nur sehr selten so zum Vorschein kommt. Bedenkt man, wie True Detective nach 5 Staffeln ausgesehen hätte und die Inszenierung dieselbe gewesen wäre, dann wäre ein Puzzle entstanden, dass so unlösbar ist, wie der Fall selbst hier erscheint.
Vor allem aber geht es in True Detective, und das legt der Titel bereits nahe, um die Suche nach sich selbst und dem wahren Detektiv. Beide sind so dermaßen von sich selbst überzeugt, geben anderen die Schuld, zweifeln, verheddern sich in Theorien, die zu einem Sumpf werden und Weltanschauungen, die sie erst überwinden müssen, um die Wahrheit zu erkennen. Marty gibt die Schuld seinem Beruf, seinen Fällen, dem Stress, aber bloß nicht sich selbst. Rust gibt die Schuld der Leere des menschlichen Handelns und seinen Zweifeln am Denken und Handeln jeglichen menschlichen Wesens, nicht ausgenommen von Marty, was zu einigen Konflikten zwischen beiden führt. Diese Charakterzeichnungen und Hintergründe entsprechen vor allem der Vergangenheitserzählung und sind Narrative, die beide erst in der Zukunftserzählung wirklich abgelegt haben. Sie sind rehabilitiert, sind mit sich selbst mehr im reinen und können den Sumpf, den sie sich bis dahin zurecht gelegt haben und den sie nie durchschauen konnten, richtig aufdecken und den Tätern wahrhaftig auf die Schliche kommen. Und auch dann geht es nicht darum, alle in Betracht kommenden Täter zu fassen, sondern ihren eigenen Dämonen zu bekämpfen. Ein weiteres stilistisches Mittel, dem sich True Detective annimmt und mit den spirituellen und satanistischen, mystischen Verbrechen verbindet. Die Dämonen werden im Falle der Verbrechen und der beiden Hauptprotagonisten bekämpft.
Das Intro gibt der Atmosphäre und Darstellung von True Detective den Rest. Far from Any Road ist vielleicht das beste Lied, dass je in einem Intro seinen Platz gefunden hat.
“Es sind Dinge, die sich mit der Version abmühen, ein ‘Ich‘ zu besitzen, diese Glorifizierung von sinnlichen Erfahrungen und Gefühlen, programmiert mit der vollkommen Gewissheit, dass wir alle jemand sind, während in Wahrheit doch jedermann niemand ist.“ –Rust Cohle-
Ich selbst habe die Handlung um den scheinbar unlösbaren Fall genüsslich mitverfolgt, aber an der Philosophie über Mensch, Gott und Existenz noch viel mehr mitgenommen, sodass für mich True Detective vor allem eine Geschichte über weltliche und menschliche Existenz ist. Über Selbstwahrnehmung, Erkenntnis und Veränderung. Ein Lied von Licht und Dunkelheit, dass sich vielleicht sogar Rust am Ende vollkommen offenbart hat…
Wie viele Sterne kannst du sehen, wenn du in einer klaren Nacht in den Himmel schaust?
Mehr Licht oder mehr Dunkel?