Warum euch Der Fremde im Zug doppelt sehen lässt

15.08.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Der Fremde im ZugWarner
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Der deutsche Kinostart von Alfred Hitchcocks Der Fremde im Zug jährt sich 2017 zum 65. Mal. Ich verrate euch, warum der Klassiker des Altmeisters wegweisend für das Thriller-Genre war und auch heute noch eine Sichtung wert ist.

Als ich Der Fremde im Zug das erste Mal gesehen habe, war ich bereits seit Jahren eine begeisterte Anhängerin des Regie-Meisters Alfred Hitchcock und auch kein Neuling mehr im Genre des Thrillers. Dabei sind mir nicht selten Motive, stilistische Handgriffe und Plot-Konstruktionen aufgefallen, die als typisch bezeichnet werden können und sowohl in den Werken der Filmgröße als auch in so vielen weiteren Vertretern des Genres immer wieder auftauchen. Mit der Sichtung von Der Fremde im Zug schloss sich ein Kreis. Was heutzutage als generisch oder gar ausgelutschte Idee in Thrillern und Kriminalfilmen gilt, war vor 65 Jahren noch bahnbrechend originell. So möchte ich euch heute den für seine Zeit innovativen Klassiker Der Fremde im Zug ans Herz legen, der meines bereits für sich gewonnen hat. Er gehört zu den besten Vertretern seines Genres.

Der Fremde im Zug: Der perfekte Mord

Von Suspense und dem perfekten Mord
In Der Fremde im Zug treffen der Tennis-Profi Guy Haines (Farley Granger) und der flamboyante Bruno Antony (Robert Walker) aufeinander, als sie sich zufällig bei einer Zugfahrt gegenüber sitzen. Bruno erkennt den Profi-Sportler und stellt ihm aufdringlich intime Fragen zu seinem Privatleben. Guy möchte sich von seiner Frau Miriam (Kasey Rogers) scheiden lassen, um Anne (Ruth Roman), die Tochter des Senators zu heiraten. Bruno hingegen berichtet von seinem verhassten Vater, der ihn zu kontrollieren versucht. Da kommt ihm eine Idee: Bruno könnte Miriam umbringen, während Guy sich Brunos Vater vorknöpft. Ohne offensichtliches Motiv könne so niemand auf den jeweiligen Täter schließen. Amüsiert stimmt Guy zu. Doch Bruno macht Ernst und verlangt von Guy die Gegenleistung für seine mörderische Tat.

Alfred Hitchcock griff für Der Fremde im Zug auf die Romanvorlage Zwei Fremde im Zug von Patricia Highsmith zurück. Die klug durchdachte Idee des überkreuzten Doppelmords braucht dabei nicht lange, um den Master of Suspense und Surprise sowie Liebhaber guter Kriminalgeschichten davon zu überzeugen, die Story auf die große Leinwand zu bringen. Die Idee des perfekten Mords lies Hitchcock auch später nicht los. So inszenierte er unter anderem in dem ebenfalls großartigen Bei Anruf: Mord 1954 einen weiteren geplanten Tod, doch der Doppelmord bleibt in der Filmografie des Genies einzigartig.

Der Fremde im Zug: Robert Walker und Ruth Roman

Von Doppelgängern und verborgenen Identitäten
Getragen wird der Thriller von ebendieser Idee. Ein Doppelmord. Zwei Protagonisten. Zwei potenzielle Opfer. Doch das sind nicht die einzigen Elemente, die in Der Fremde im Zug zweigleisig fahren. Guy hat zwei Frauen in seinem Leben: seine Ehefrau Miriam und seine Liebhaberin Anne. Miriam sieht Annes Schwester Barbara dagegen durch ihre Frisur und die beinah identische Brille sehr ähnlich. Bei Miriams Tod ist sie mit zwei männlichen Freunden zusammen - um nur einige Beispiele zu nennen. Das Doppeltsehen zieht sich durch den gesamten Film und schafft eine Reihe von Verwechslungssituationen und Verwirrung um Figuren und Handlungsverläufe. Es finden sich sogar zwei Hitchcocks in Der Fremde im Zug. Während Alfred auf dem Regiestuhl Platz nahm, zeigte sich seine Tochter Patricia in der Rolle der Barbara vor der Kamera.

Bei den Dopplungen handelt es sich häufig um sehr ungleiche Paare. So könnten Guy und Bruno auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Guy ist ruhig, unauffällig und überlegt. Bruno ist dagegen flamboyant, redegewandt und aufdringlich. Der Vorschlag Brunos zum Mord eröffnet Guy eine Seite seiner selbst, die er zuvor nicht wagte auszusprechen, welche aber nun durch sein aufbrausendes Gegenstück langsam zum Vorschein kommt. Hier geht es oberflächlich natürlich allem voran um die Frage von Gut und Böse. Der Film wurde jedoch ebenfalls nicht selten für seine homosexuelle Konnotation diskutiert. So gilt Bruno, der ewige Junggeselle, der noch bei seinen Eltern lebt, eine für Hitchcock typisch beunruhigende Beziehung zu seiner Mutter zu pflegen scheint und sich nach eigener Aussage nicht für junge Mädchen interessiert, als homosexuelle Seite Guys, die ihn vielleicht weniger zum Mord, sondern eher zur Offenbarung seiner selbst zu überreden versucht - sicherlich auch nicht ganz uneigennützig.

Der Fremde im Zug: Farley Granger und Robert Walker
Von Großaufnahmen und Actionszenen

Neben der überlegten Figurenkonstellation und dem geschickt entwickelten Plot besticht Der Fremde im Zug jedoch vor allem mit seinem visuellen und inzenatorischen Handwerk, das trotz des technischen Fortschritts aktuellen Filmen in diesem Genre in nichts nachsteht. Kameramann Robert Burks gibt mit Der Fremde im Zug sein Hitchcock-Debüt und sollte dem Ausnahmeregisseur noch viele weitere Male große visuelle Prachtstücke bescheren. Vor allem Frontal- und Großaufnahmen fängt er in beängstigender Weise ein, die den spannenden Charakter des Films besonders in der zweiten Hälfte großartig unterstreichen. Hier ist ebenfalls die Lichtsetzung interessant, die in der Manier des Film noirs auf ein Spiel von Licht und Schatten setzt.

Den bleibendsten Eindruck vermittelt wiederum ein Szenen-Paar: Der Mord und der Showdown auf dem Karussell. An Psycho erinnernd wird der Mord so inszeniert, dass wir alles sehen, indem wir nichts sehen. Lediglich in der Spiegelung eines Brillenglases dürfen wir die Gräueltat beobachten. Eine Entscheidung, die viel Spielraum für Fantasie lässt und uns ebenfalls die Wichtigkeit der Sehhilfe näherbringt. Der Showdown am Ende ist dagegen der eines erstklassigen Actionfilms. Wenn ich an das Alter des Meisterwerks und die technischen Möglichkeiten, die damals Filmschaffenden zur Verfügung standen, denke, kann ich nicht anders als vor dieser Sequenz den Hut zu ziehen.

Der Fremde im Zug: Showdown auf dem Karussell


Im Laufe der Zeit haben viele Filme, egal welchen Genres, das Motiv des Doppelmords, des Doppelgängers oder die visuellen Eigenheiten von Der Fremde im Zug kopiert. David Fincher plant zusammen mit Autorin Gillian Flynn momentan sogar ein Remake des Thrillers. Auch wenn wir an Fincher große Erwartungen haben dürfen, bleibt Alfred Hitchcocks Original ein absolut zeitloser Klassiker und für mich immer wieder eine gute Alternative zu den meist weniger innovativen Werken der aktuellen Filmlandschaft.

Wie findet ihr Der Fremde im Zug?

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