Willkommen in der Welt des Peter Greenaway

14.12.2011 - 08:50 Uhr
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
Miramax Films
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
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Unser User Jack_Torrance hat an Regisseur Peter Greenaway einen Narren gefressen, speziell sein Werk Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber hat es ihm schwer angetan. In seinem Text bringt er uns diesem Film näher.

Es war im Jahre 1942, genauer gesagt war es der 5. April des Jahres 1942. Ein Tag, in dem ein kleines Baby die Welt erblickte und die Weltbevölkerungszahl um 1 erhöhte. Keiner hätte damals gedacht, dass aus diesem kleinen Baby mit dem einfachen Namen Peter irgendwann mal ein großer Regisseur werde.

Dieser große Regisseur entlarvte mich in seinen Filmen. Er hielt mir konsequent den Spiegel vor, einem einfachen Typen, der seine Inkompetenz hinter “schönen Worten” und dem Schauen intellektueller Filme verbarg. In seinen Filmen schickte er mich wie seine Charaktere auf einen Laufband. Ich kann mich dem entfliehen, sie nicht, denn diese Laufbände stellen ihre Lebenswege dar. Das Leben als Teufelskreis; ein Thema, das schon David Lynch u.a in Lost Highway ansprach (Beispiel bezüglich Greenaway: Ein Z und zwei Nullen).

Dieser große Regisseur erschuf im Jahre 1989 ein Meisterwerk von Film. Dieses Meisterwerk ist eine einzigartige Histoire d’Amour, ein kompromissloses Rachedrama, eine wahnsinnige Burleske, eine große Oper! Das Meisterwerk, von dem ich rede, hat den langen Namen Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber und der Regisseur, den ich die ganze Zeit beweihräuchere, hat den wesentlich kürzeren Namen Peter Greenaway.

Dieser Peter Greenaway widmete sein Meisterwerk mit dem ellenlangen Namen allen Personen, die er hasst. Dementsprechend ist auch sein Film gestaltet: Schon zu Beginn wird ein Mann von Albert Spica, einem Teufel, der nur ein Herz fürs Fressen hat, ausgezogen und mit Kot beschmiert – die allerhöchste Geste der Entwürdigung und Demütigung. Insbesondere Demütigung gehört neben dem Fressen zu den Lieblingsbeschäftigungen Spicas (Michael Gambon – eine Naturgewalt!): Da erzählt er in aller Öffentlichkeit, wie seine Frau Georgina (Helen Mirren – so zart und zerbrechlich und zugleich so kühl und kompromisslos) auf der Toilette festgeklemmt ist, oder wie sie im Restaurant die ganze Zeit “scheißen” muss….

Doch Georgina will mehr als nur “scheißen”: Vor allem will sie sich mit einer Person treffen, die sie wirklich liebt: Ihrem Liebhaber Michael. Während Albert seine unterwürfigen Kameraden (unter ihnen: der brilliante Tim Roth) wie Dreck behandelt, lieben und küssen sich Georgina und Michael an dem Ort, an dem das ehemals so noble und deliziöse Créme Brulet als braunes, stinkendes Etwas in der Versenkung verschwindet; Gefühle wie Liebe aber (hoffentlich) noch lange erhalten bleiben werden: in der Toilette. Aber auch dort kommt ihre Liebe nicht zur vollen Entfaltung.

Liebe; ein Wort, das ich in Zusammenhang mit dem Film das gefühlte 1000. Mal auf den Computerbildschirm banne. Denn Greenaway widmet sich hier einem Thema, das viel wichtiger ist als Kalligraphie, Architektur oder Bildhauerei: die Liebe.

Um dies zu erläutern, stelle ich ihnen die vier Hauptcharaktere vor:

DER KOCH
Der Name des Koches ist Richard Borst. Borst tut das, was er tun muss: Er kocht für Albert Spica, beobachtet seine Pöbeleien und Faxen zugleich aber mit verbittertem Abscheu. Georgina und Michael gibt er Schutz. Er versteckt sie. Er ermöglicht ihnen das, was sie ihr Leben lang tun wollen: Liebe machen. Gleichzeitig aber beobachtet er ihre flüchtigen Romanzen mit verbittertem Neid. Generell erscheint er als stiller Beobachter.
Er dürstet nach Liebe.

DER DIEB
Der Name des Diebes ist Albert Spica. Albert Spica tut das, was er tun will: Er stopft pöblend und demütigend Richards Delikatessen in sich rein. Gleichzeitig will er aber seine heiß geliebte Georgina nicht verlieren (oder liebt er doch nur ihren Busen ?). Hierfür verwendet er Tyrannei und Demütigung, um (Schein-)Dominanz aufzuweisen.
Ja, auch er dürstet nach Liebe (oder doch nur nach Sex ?).

SEINE FRAU
Der Name seiner Frau ist Georgina Spica. Man weiß nicht, wieso sie Albert geheiratet hat, vielleicht war er früher anders… Jedenfalls liebt sie ihn nicht. Sie liebt Michael und trifft sich mit ihm. Sie ist ein reines Geschöpf, das dem Bösen nach all der Demütigung den Spiegel vorhält.
Auch sie dürstet nach ihrer wohlverdienten Liebe.

IHR LIEBHABER
Der Name ihres Liebhabers ist Michael (Nachname unbekannt). Er liebt Bücher und Georgina. Eines Tages hat er sich einen Film angesehen. Der Hauptcharakter dieses Filmes redete eine halbe Stunde lang nicht. Michael war fasziniert. Doch als nach dieser faszinierenden halben Stunde der Hauptcharakter zu reden begann, verlor Michael fünf Minuten später jegliches Interesse. An Georgina ist er nach wie vor interessiert, egal, ob sie spricht oder nicht, denn er liebt sie.
Auch er dürstet nach Liebe.

Am Ende dieser Tour de Folie schließt sich ein roter Vorhang: Soll man aufstehen und klatschen ? Sollen sich die Schauspieler allesamt vor der Kamera verbeugen ? In seinem großen Theater hat Greenaway zu viel Falschheit und Ekel der menschlichen Seele dargelegt, aber zugleich so viel Liebe gezeigt wie in keinem anderen Film… Dies ist eine cineastische Offenbarung, meine Damen und Herren!


Vorschau: In der nächsten Woche gibt es bereits einen Hauch von Frühling auf moviepilot. Lasst euch überraschen, wer uns damit in der Winterszeit überrascht.


Dieser Text stammt von unserem User Jack_Torrance. Wenn ihr die Moviepilot Speakers’ Corner auch nutzen möchtet, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und schickt anschließend euren Text an ines[@]moviepilot.de

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