Wir schauen Better Call Saul - Staffel 1, Folge 9

01.04.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Pimento
AMC
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Es kam, wie es kommen musste. Chuck fällt Jimmy in den Rücken und widmet sich lieber der großen Kanzlei als seinem Bruder. Es ist ein Schlag ins Gesicht, den es erst einmal zu verdauen gilt.

Ist es möglich, sich zu ändern, oder sind unsere Überzeugungen, (Ab-)Neigungen, Wünsche und Sehnsüchte und damit der Verlauf unserer Zukunft in Stein gemeißelt? In Pimento stellt Better Call Saul seinen Hauptfiguren existentielle Fragen, auf die sie ganz unterschiedliche Antworten finden, sofern sie sich nicht noch immer in einem unerbittlichen Kampf mit ihnen befinden.

Für Chuck (Michael McKean) ist die Sache eindeutig: Menschen ändern sich nicht. Egal wie sehr sie es versuchen, sie werden im Inneren immer der selbe Mensch bleiben. Deshalb muss er auch dafür sorgen, dass Jimmy (Bob Odenkirk) nicht mit am Tisch sitzen darf, wenn die Mitarbeiter von Hamlin & Hamlin an seinem Fall arbeiten. Er hat, wie er selbst sagt, sein ganzes Leben dem Gesetz gewidmet, er ist ein echter Anwalt, während sein Bruder für immer Slippin' Jimmy bleiben wird - jetzt ist er bloß "Slippin' Jimmy with a law degree. It's like a chimp with a machine gun." Der Glaube in seinen Bruder reicht nur so weit, solange dieser seine Grenzen als räudiger Kleinkrimineller nicht überschreitet, sprich solange er bei seinen Kompetenzen als Briefträger bleibt. Es wurde in den vorangegangenen Folgen bereits angedeutet, doch hier spricht Chuck es ganz deutlich aus, dass er noch nie anders über Jimmy gedacht hat. Sein Handeln ist jedoch nicht bloß ein Schutzreflex, um sein geliebtes Gesetz ("The law is sacred!") vor Jimmy zu bewahren, nicht bloß eine Maßnahme gegen die Kriminalisierung seines Abendlandes - es ist auch, oder vielleicht sogar vor allem ein Kampf gegen die Schmach, von seinem Bruder eingeholt zu werden. Chuck gibt sein ganzes Leben für die Anwaltskarriere auf und erkämpft sich einen Status als Rockstar, während sein Bruder aus dem Nichts kurz vor einer 180-Grad-Wendung und einem kometenhaften Aufstieg steht. Das darf nicht passieren.

Mike (Jonathan Banks) hingegen glaubt fest an die Entscheidungskraft des Menschen: "You are now a criminal. Good one, bad one, that's up to you" erklärt er seinem naiven Neueinsteiger Pryce (Mark Proksch), der völlig erstaunt darüber ist, dass Kriminelle wohl tatsächlich nicht immer schlechte Menschen sein müssen. Für Mike gibt es immer mehrere Wege, mit den Konsequenzen des eigenen Handelns umzugehen, nur bei einer Sache darf es keine Toleranz geben - "You can be on one side of the law or the other. But if you make a deal with somebody, you keep your word." Er könnte in diesem Moment genauso gut Chuck gegenüber sitzen und diese Worte wie eine Anklage klingen lassen. Auch wenn dieser wahrscheinlich erwidern würde, aus rechtlicher Sicht niemals einen Deal mit seinem Bruder eingegangen zu haben. Jimmy sieht das anders. "I'm your brother. We supposed to look out for each other?" fragt er ihn verunsichert. Jimmy hat seinen Teil dieser "Vereinbarung" bedingungslos eingehalten. Er hat sich um seinen Bruder gekümmert, obwohl er selbst davon überzeugt war, dass seine Krankheit keine ist, auch wenn das bedeutete, sich mit Ärzten und Freunden anzulegen.

Im Gegensatz zu Chuck lässt Mike sich zudem nicht von vorgefertigten Meinungen in die Irre führen. Er bewahrt einen klaren Blick und richtet sein Handeln nach den Dingen, die er aktiv erfährt und nicht nach vorangehenden Mutmaßungen, dafür begegnete er in seinem Leben schon viel zu vielen vermeintlichen Widersprüchen, von bösen Priestern bis zu ehrbaren Dieben. Damit steht er in Pimento weitestgehend allein; Pryce kennt keinen Unterschied zwischen Kriminellen und den "bad guys", Mikes (geplanter) Kollege (Steven Ogg) stellt fest, dass der Umgang mit "some of these ethnic types" das Blut kochen lässt ("That's just science") und Chuck ignoriert jeglichen Hinweis darauf, dass Jimmy womöglich tatsächlich das Zeug dazu hat, auch nach seinen Vorstellungen ein guter Anwalt zu sein. Im Universum von Better Call Saul führen diese engstirnigen Vorurteile vor allem zu Unsicherheit. Mikes Kollege bewaffnet sich aus Angst vor diesen ethnischen Gruppen bis an die Zähne, Chuck sieht seine eigene Stellung durch den Schmutz gezogen, wenn Jimmy Erfolg hat. Mike hingegen beweist, dass es auf nichts als unvoreingenommenes, logisches Denken ankommt.

Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen befindet sich Jimmy, der zwar fest daran glaubt, seine Entscheidungen selbst in die Hand nehmen und somit den Weg des angesehenen Anwalts mit der weißen Weste einschlagen zu können, doch allmählich von Zweifeln niedergerungen wird. Die Enttäuschung über den Verrat seines Bruders ist verständlicherweise maßlos, das wird in der finalen Szene dieser Episode deutlich. Der größte Schmerz liegt für Jimmy in dem Ausmaß an Leid, das Chuck auf sich genommen hat, nur um seine Anstellung zu verhindern, "the phone must have felt like a blowtorch in your ear" stellt er erdrückt fest. Und alles nur, um ihm den Erfolg zu verwehren.

Nun hat Jimmy drei legitime Wege, mit dieser misslichen Situation umzugehen. Er könnte das Geld nehmen, die ganze Sache hinter sich lassen und mit der finanziellen Errungenschaft endlich seine Kanzlei aufbauen. Das wäre jedoch ziemlich langweilig. Falls sein Wille und sein Glaube an sich selbst noch nicht gebrochen sind, wird er seinem Bruder beweisen, dass dieser Unrecht hatte. Er könnte über seine Wut hinwegkommen, sich geeignete Partner suchen und ganz groß auftrumpfen, den Fall also übernehmen und gewinnen. Es wäre ein mutiger Schachzug, der ihn auf jeden Fall im Handumdrehen an sein Ziel bringen würde. Vielleicht gibt er dem Druck aber auch nach, entweder aus Verzweiflung und Müdigkeit, oder ganz einfach nach dem Motto "Wenn es eh alle von mir denken, kann ich es auch sein." Hoffen wir mal darauf, dass er sich dazu entscheidet, Chuck und Hamlin zu zeigen, wo der Hammer hängt.

“We can Erin Brockovich the shit out of this case!”

Notizen am Rande:

- Mark Proksch als Mikes temporärer Arbeitgeber ist köstlich: "I have a cooler of water in the car, some soft drinks. I don't drink coffee, but there's a diner on the corner. Also a bathroom in there, in case you need to go before... we go." Immerzu mit einem verkrampft freundlichen Lächeln.

- Chucks Verrat ist auch so schmerzhaft, weil Jimmy ihm gerade erst für seine Rückkehr einen Space Blanket-Anzug angefertigt hat. Abgesehen davon: Wenn Kim nicht wäre, wären sein Schmerz und die Opfer, die er für Chuck aufgebracht hat, unbemerkt und somit noch trostloser.

- Breaking Bad-Veteran Thomas Schnauz hat diese Episode geschrieben und inszeniert und das merkt man ihr an: Von Pryce, der einem 20-Dollar-Schein hinterherläuft bis Nacho, der auf eigene Faust als "Freelancer" Geschäfte macht, während Chuck sich nach den starken Armen der großen Kanzlei sehnt - Pimento steckt voll mit clever inszenierten Dichotomien und Symbolik.

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