Märchen sind süße kleine Feengeschichten mit Glitzerstaub, sprechenden Tierchen und dem Sieg des Guten über das Böse? Fehlanzeige. Märchen können blutig, plastisch und vor allem verstörend sein, wenn wir uns in der Ausgabe der jeweiligen Geschichte vergreifen. Die handelsübliche Disneyinterpretatation lässt diese Grausamkeiten der Originale meist in Form vom Tod von zumindest einem Elternteil des Hauptcharakters aus. In alten Märchenbüchern ereilen uns meist ganz andere, viel grausamere, sexuell aufgeladene und deformierte Körper, sowie verrückte Storylines. Rumpelstilzchen reißt sich selbst entzwei, der Jäger schlitzt den bösen Wolf auf und befüllt ihn mit Steinen und Dornröschen wurde in der Originalgeschichte im Koma geschwängert und gebar neun Monate später Zwillinge.
Dass Disney gerne weichspült ist kein Geheimnis und soll nicht angeprangert werden, doch viel spannender sind die Projekte, in denen sich das Märchen mit seinem Genre-Vetter, dem Horrorfilm, verbindet und als gruselige Fantasygeschichte das beste aus beiden Gattungen vereint. Kindliche Naivität trifft auf abgeklärte Brutalität und warum dies eine so brillante Mischung ist, verrate ich euch in meinem Beitrag zu unserer Fantasy-Woche anlässlich des Starts von Der Hobbit: Smaugs Einöde.
Märchenfilm – Von Black Swan bis Wer ist Hanna
Die Gattung des Märchenfilms ist hier in einem weiten Sinne zu fassen. Darunter fallen nicht nur Neuinterpretationen Grimmscher Vorlagen wie Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen oder Snow White and the Huntsman, sondern auch Filme, die nicht nacherzählen, aber das Wesen des Märchens einfangen, nämlich die übernatürliche Erzählung mit fantastischen Charakteren und Figuren. Ab und an basieren auch eindringliche Filme wie Black Swan oder Hard Candy auf den simpelsten Märchenvorlagen.
Denn nicht jedes Märchen braucht eine Prinzessin, Hexen, Zwerge und einen Zauberwald. Viel mehr sind Märchenfilme fantasievolle Werke, die sich mit ihrem beeindruckenden Setting, ihren fantastischen Figuren und Kreaturen sowie dem ewigen Kampf zwischen dem Bösen und der Unschuld auseinandersetzen. Als Beispiel für einen atmosphärischen Märchenfilm nenne ich Wer ist Hanna?, in dem die kindliche Saoirse Ronan als schlagkräftige Protagonistin gegen eine übermächtige Cate Blanchett antritt und nicht nur deren Figuren sind angelegt wie das archetypische Gute und Böse eines Märchens, auch das Setting wird irgendwann in einen nebeligen Märchenwald verlegt, gedreht im verlassenen Berliner Spreepark.
Warum sich Märchen und Horrorfilme so gut vertragen
Horrorelemente sind in beinahe jedem Märchen zu finden und beinahe jeder Horrorfilm bedient sich an den selben Grundmustern wie der Mär vom ultimativen Bösen, das Jagd auf das Gute macht und es vernichten möchte. Der Weg vom Dämonen-besessenen Mädchen zum verhexten Dornröschen ist nicht mehr weit. Vor allem die ältesten Märchengeschichten erinnern an die gewalthaltige Gore-Fraktion des Horrorfilms und sind die blutigsten und brutalsten, ist bei Brooke Jordan zu lesen. Die expliziten Gewaltdarstellungen, welche wir aus Horrorfilmen gewöhnt sind, bringen dabei die eigentlichen, abschreckenden und moralischen Intentionen der Märchen plastisch und blutig zum Ausdruck.
Denn nicht nur sind Märchen geprägt von gruseligen Hexen, tyrannischen Stiefmüttern und anderen Bösewichten, vernachlässigten Kindern und blutigen Gewalttaten, auch enden sie meist damit, dass der Bösewicht in Flammen aufgeht oder einen anderen brualten Tod stirbt. Jeder weiß wie lange und qualvoll sich der Tod eines Horrorfilm-Bösewichts ziehen kann. Horrorfilme werden auch nicht umsonst meist mit blutigen Gewalttaten assoziiert und stellen, so wie das Märchen den Tod, Gut und Böse und den unschuldigen Held mit sündigem Gegenüber in den Mittelpunkt.