Für wen macht Jean-Luc Godard noch Filme?

28.09.2011 - 08:50 Uhr
Szene aus Film Socialisme von Jean-Luc Godard
Wild Bunch
Szene aus Film Socialisme von Jean-Luc Godard
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Jean-Luc Godard ist einfach jedem halbwegs Kinobewanderten ein Begriff. Weniger im Fokus des allgemeinen Interesses stehen allerdings seine späten Filme. Auch sein neustes Werk – Film Socialisme – droht, in der Versenkung zu verschwinden.

Kraft des Wortes, Schütze deine Rechte, Forever Mozart, eloge-de-l-amour. Sagt das Jemandem etwas? Irgendjemandem? Nicht? Nun, das wundert mich überhaupt nicht. Bei den genannten Titeln handelt es sich um späte Werke des Regisseur-Altmeisters Jean-Luc Godard, der jedem auch nur ansatzweise Cinephilen als ewig verehrenswerter Filmemacher von Meilensteinen wie Außer Atem oder Die Verachtung in Erinnerung ist.

Aber wieso eigentlich? Wieso kennt, um es mal etwas drastisch auszudrücken, keine Sau die neuen Filme des Mannes, der im vergangenen Jahr immerhin für sein Lebenswerk mit einem Ehrenoscar ausgezeichnet wurde? Der auf der Liste der einflussreichsten Regisseure aller Zeiten des britischen Sight & Sound-Magazins den dritten Platz hinter Orson Welles und Alfred Hitchcock bekleidet, an dessen Bekanntmachung er selbst sogar maßgeblich beteiligt war? Wieso findet sich heutzutage kaum noch ein Kino, das einen neuen Godard in sein Programm aufnimmt? Und wieso zum Teufel liefert ein begnadeter Regisseur mit einem solchen Vermächtnis und einem mittlerweile auch ziemlich stattlichen Alter in regelmäßigen Abständen Filme, die außer ein paar tausend Verrückten niemand sehen will?

Was zur Hölle hat hier eigentlich Patti Smith zu suchen?
Morgen kommt mit Film Socialisme ein Werk in die Kinos, das ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. Der neuste Streifen von Jean-Luc Godard feierte seine Premiere in Cannes 2010 und wurde kurz darauf in Frankreich veröffentlicht. Über ein Jahr später erreicht der Film auch endlich uns. Das Problem mit den Festivalfilmen in deutschen Kinos kennen wir mittlerweile zur Genüge.

Ich muss ja selbst zugeben: Film Socialisme ist nicht gerade leichte Kost. Es empfiehlt sich sicher nicht, bei Müdigkeit ins Kino zu gehen, denn der Film wartet kaum mit Handlung auf. Wir sehen eine Collage aus Aufnahmen von verschiedenen Reisen, aufgezogen an einer Mittelmeerkreuzfahrt auf einem dekadenten Luxusliner. Das Schiff steuert geschichtsträchtige Häfen wie Kairo, Odessa oder Neapel an, deren Vergangenheit bildgewaltig aufgearbeitet wird. Zwischendurch sehen wir amateurhaft anmutende Aufnahmen von den Passagieren und immer wenn wir denken, handlungsärmer könne es nicht mehr werden, läuft Patti Smith wortlos mit ihrer Gitarre durch das Bild.

Filme über Höllenfeuer, Kunst und Geschichte
Film Socialisme stellt im Spätwerk von Jean-Luc Godard keine Ausnahme dar. Schon lange hat der Regisseur-Altmeister keinen Publikumserfolg mehr geliefert. Seine Filme wurden während der letzten beiden Jahrzehnte immer avantgardistischer, artifizieller, voller Selbstreflexion. Er nutzt halbdokumentarisches Material, dreht Filme über Kunst und Zeitgeschehen, die zunehmend schwieriger in Kinoprogramme zu integrieren sind.

Auch die Einträge bei moviepilot erzählen davon. Während Filme wie Godard über Godard, Weh mir oder King Lear nicht einmal in der Datenbank zu finden sind, krebsen andere Werke wie Notre musique, Liberty and Homeland oder The Old Place bei unter fünf Bewertungen herum. Nicht wirklich verwunderlich, denn dass Beiträge über Hölle, Fegefeuer und Paradies, die Entstehung eines Bildes von Aimé Pache oder Kunst und ihren Platz in der Geschichte die Menschen nicht in Scharen in die Lichtspielhäuser locken würden, war doch irgendwie abzusehen.

Was also erwarten die Menschen von Jean-Luc Godard? Sie wollen anscheinend seine alten Meisterwerke sehen. Klassiker wie Alphaville – Lemmy Caution gegen Alpha 60 und Elf Uhr nachts sind von den schlechten Resonanzen auf seine späten Filme weit entfernt. Aber lässt sich ein Regisseur wie Godard wirklich auf seine alten Kamellen festlegen?

Philosophie zum philosophierenden Godard
In Film Socialisme kommt der Regisseur sinngemäß zu folgender Hauptaussage: Wenn das Recht nicht gerecht ist, muss die Gerechtigkeit über dem Recht stehen. Was auf den ersten Blick vielleicht verwirrend oder abstrakt klingt, erscheint dem aufmerksamen Zuschauer zum Ende des Films als noch einer der nachvollziehbarsten Gedankengänge. Ich bin mal so frei, die Idee noch etwas auszubauen. Wenn die Kultur nicht vielseitig genug ist, muss die Kunst über der Kultur stehen. Oder anders gesagt: Wenn das kommerzielle Kinoprogramm nicht gut ist, muss der Film an sich über dem Kommerz stehen.

Natürlich: Filmemacher, Kinos, Produktionsfirmen sind zum Großteil auf Einnahmen angewiesen. Darüber hinaus den Kern des Filmemachens zu vergessen, kann dem Kino über kurz oder lang allerdings auch nur schaden. Der Kern: Das ist der Mensch mit der Idee, mit der Vision. Und wenn ein lebender Regisseur das Recht erworben haben sollte, zu drehen, welchen Film er auch immer drehen will – dann ist das wohl Jean-Luc Godard.

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