Warum wir kaum Festivalfilme sehen

13.09.2011 - 08:50 Uhr
Eine Perle Ewigkeit gewann 2009 den goldenen Bären
good movies!
Eine Perle Ewigkeit gewann 2009 den goldenen Bären
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Dieses Jahr hat das Filmfestival Venedig mit hochkarätigen Werken aufwarten können und nicht nur Arthaus-Filmer, sondern auch Hollywoodstars in die Lagunenstadt gelockt. Ins Kino kommen aber nur die wenigsten. Warum eigentlich?

Bei einem Filmfestival kürt eine Jury von Filmschaffenden und Experten besonders gelungene Werke. Erstaunlicher Weise kommen aber die meisten dieser prämierten Filme gar nicht in unseren Kinos an. Das ist nicht nur verwunderlich, sondern oft auch richtig ärgerlich, weshalb wir uns heute mal über die Gründe dieses Phänomens Gedanken machen wollen.

Ein Blick zurück: Welche Festivalfilme haben wir eigentlich gesehen?
Wenn wir unseren Blick mal auf die großen europäischen Filmfestivals der letzten 4 Jahre richten, fällt auf, dass nur ein Bruchteil der Filme, die die großen Preise einheimsen durften, auch in unseren Kinos gelaufen sind. Wer hat hat schließlich schon mal etwas von Paper Soldier oder If I Want To Whistle, I Whistle gehört, die 2008 in Venedig bzw. 2010 auf der Berlinale große Preise gewannen?! Beide Filme schafften es nicht in die deutschen Lichtspieltheater. Die Berlinale Gewinner der letzten vier Jahre liefen zwar in unseren Kinos, doch Standard Operating Procedure, Gewinner des Silbernen Bären 2008, zog nur 672 Menschen ins Kino und auch Eine Perle Ewigkeit (Goldener Bär 2009) werden wohl nur die wenigsten kennen.

Aber halt: Natürlich gibt es auch Festivalfilme, die später durchaus erfolgreich im Kino liefen. Es handelt sich hierbei selbstverständlich nicht um Blockbuster, die die Milliarden-Grenze bei den Einspielergebnissen knackten, aber doch durchaus um Werke, die in aller Munde und zumindest in vielen DVD-Regalen zu finden sind. Filme dieser Art sind beispielsweise Der Ghostwriter (Berlinale 2010, 338.308 Besucher), und The Tree of Life (Goldene Plame 2011, 273.262 Besucher).

Ein Blick voraus: Welche Festivalfilme werden wir sehen?
Schauen wir uns außerdem einmal an, welche der aktuellen Festivalfilme von Venedig bereits einen deutschen Kinostart planen. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Filme, die mit international bekannten Superstars aufwarten können, wie z.B. Eine dunkle Begierde mit Michael Fassbender und Keira Knightley (Start 10.11.2011) oder The Ides of March – Tage des Verrats von und mit George Clooney (22.12.2011). Asiatische Filme wie den viel diskutierten Warriors Of The Rainbow: Seediq Bale sucht man beispielsweise auf der Liste der Kinostarts vergebens.

Warum mich die Berlinale traurig macht
Ich persönlich gehe jedes Jahr mit Begeisterung zur Berlinale und schaue dort in der Regel keine großen Wettbewerbsfilme mit amerikanischen Top-Schauspielern und gigantischer Medienwirksamkeit. Das liegt nicht (nur) daran, dass ich dafür meist keine Tickets bekomme. Vielmehr interessieren mich gerade die „kleinen“ Filme aus Ländern, die mir filmtechnisch noch wenig vertraut sind. Jedes Jahr bin ich von neuem tief betrübt darüber, dass Werke, die nicht nur mich, sondern offensichtlich auch eine hochkarätige Jury überzeugen, ihren Weg entweder gar nicht ins Kino schaffen oder vollkommen unbemerkt in kleinen Off-Kinos vor leeren Rängen aufgeführt werden.

Was ist die Ursache für Deutschlands schlechten Filmgeschmack?
Wem soll jetzt meine Wut und Enttäuschung gelten? Wer ist daran Schuld, dass meine persönlichen Berlinale-Perlen wie der rührende asiatische Film Spider Lilies oder die immens unterhaltsame amerikanische Satire Teeth – Wer zuletzt beißt, beißt am besten es nicht in die deutschen Kinos schafften? Ich glaube nicht, dass wir dafür den bösen Multiplex-Kinoketten und raffgierigen Verleihern die Alleinschuld geben können. Wir müssen uns vielmehr auch an die eigene Nase fassen. Und ich gleich doppelt. Denn mindestens genauso viel Schuld tragen die Presse und das Publikum. Wenn nicht über einen Film berichtet wird, weiß auch keiner, dass es ihn gibt. Stattdessen lenken die ewigen Berichterstattungen über endlos lange und nicht unbedingt qualitativ hochwertige Franchises uns von den außergewöhnlichen und anspruchsvollen Werken ab. Wenn ich dringend den aktuellen Twilight, Harry Potter, Fluch der Karibik, Transformers und ich weiß nicht was noch alles gucken muss, bleibt natürlich weder Zeit noch Geld für weniger stark beworbene Filme wie z.B. den sehenswerten Actionfilm Tropa de Elite, der 2008 die Berlinale gewann.

Aber auch die Presse dürfen wir nicht allein beschuldigen, denn auch diese ist in gewissem Maße auf die Reaktion ihrer Konsumenten angewiesen. Zeitschriften wollen gekauft, Internetseiten geklickt werden. Hier geht es nicht nur um künstlerische Selbstverwirklichung: Ich kann kein Geld damit verdienen, einen Artikel nach dem anderen über meine liebsten Arthaus-Filme zu schreiben, wenn diese dann keiner liest! Genauso wenig wie der Kinobesitzer davon leben kann, kleine Filme vor noch kleinerem Publikum zu spielen. Auch wir als Kinogänger müssen uns also bewusst machen, dass wir dazu beitragen, welche Filme es in unsere Säle schaffen und welche nicht. Immer nur darüber meckern, dass wir die Schnauze voll haben von Fortsetzungen, Remakes und dem 3D-Wahn hilft einfach nichts, wenn wir trotzdem weiterhin in die Tickets für diese Streifen investieren.

Die Lösung: Ein kleiner Schritt für uns, ein großer Schritt für das Arthaus-Kino
Ich habe keine Patentlösung parat, dafür verstehe ich zu wenig von den komplexen Mechanismen der Film- und Verleihindustrie. Aber wie mit vielen anderen Dingen, kann es auch in Hinsicht auf die Festivalfilme nicht schaden, klein anzufangen. Zum Beispiel könnten wir uns einfach vornehmen, mindestens einmal im Monat ein Programmkino zu besuchen. Eine andere Variante, die zwar nicht die Kinosäle, aber vielleicht die Regale der Videotheken füllt, wäre, sich Blockbuster und Arthausfilme immer im Wechsel aus der Videothek auszuleihen. Auf den Homepages der großen Festivals lässt sich ganz leicht herausfinden, welche Filme bei den Festivals gepriesen wurden.

Damit ihr gleich loslegen könnt, zeigen wir euch hier die Links zu den Archiven der drei großen europäischen Festivals in Venedig, Cannes und Berlin:
Berlinale
Filmfestival Cannes
Filmfestival Venedig

Hier findet ihr unsere Berichterstattung zu den großen Festivals:
Berlinale
Festival Cannes
Filmfestival Venedig

Und hier eine Auflistung der noch ausstehenden deutschen Kinostarts einiger Festivalfilme:
29.09.2011 – Der große Crash – Margin Call
06.10.2011 – Melancholia
20.10.2011 – Die Haut, in der ich wohne
27.10.2011 – Poliezei
27.10.2011 – The Future
10.11.2011 – Eine dunkle Begierde
24.11.2011 – Der Gott des Gemetzels
08.12.2011 – Habemus Papam – Ein Papst büxt aus
22.12.2011 – The Ides of March – Tage des Verrats
05.01.2012 – Huhn mit Pflaumen
26.01.2012 – Drive
26.01.2012 – The Artist
02.02.2012 – Dame König As Spion

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