A Prayer Before Dawn boxt sich durch eine gnadenlose Knast-Hölle

21.05.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
A Prayer Before Dawn
Senorita Films
A Prayer Before Dawn
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A Prayer Before Dawn führt mit schonungslosem Blick in ein Gefängnis, wo Kampfsport Überleben verspricht, und die brandaktuelle Doku Promised Land sucht Elvis und findet Donald Trump.

Ist das die Zukunft der USA, über der goldenen Toilette jämmerlich zu verrecken? Oder schon die Gegenwart? Der Dokumentation Promised Land liegt eine megalomanische Idee zugrunde: Mit dem Rolls Royce von Elvis Presley spürt Eugene Jarecki (Drogen: Amerikas längster Krieg) dem Leben des King nach, um von Stadt zu Stadt ein Mosaik über die Vereinigten Staaten von Amerika anno Trump zusammenzusetzen. Nicht alle Blättchen sitzen perfekt auf der Reise von Tupelo, Mississippi nach Las Vegas, Nevada. Den Größenwahn dieses alles umfassenden Metaphernnexus zwischen Elvis und den USA gehört es dabei zu ertragen und es lohnt sich. Unter anderem, weil der Zuschauer Mike Myers als Kommentator der amerikanischen Kulturgeschichte schätzen lernt (Mike Myers!). Promised Land läuft beim Festival Cannes außer Konkurrenz, genau wie das schweißig-blutige Midnight Movie A Prayer Before Dawn, das seinen Blick auf einen britischen Stiernacken im thailändischen Knast verengt, der mit Hilfe von Muay Thai -Kämpfen überlebt.

A Prayer Before Dawn

Google spuckt 450.000 Ergebnisse aus, wenn man nach "deutsche meckern" sucht. Deswegen sei die kurze Anmerkung, dass meine Cannes-Unterkunft dieses Jahr aufs Hinterhof-Sammelbecken aller Dunstabzüge im Radius von 50 Metern herabblickt, durch diese kulturelle Erbkrankheit entschuldigt. Nun könnte man entgegenhalten, dass es auf der anderen Seite lärmt (das tut es), was bei sporadisch verlässlichen Klimaanlagen (hach, wieder Gemecker) zum schwitzigen Alptraum leichter Schläfer werden kann (und es ist). Man könnte auch entgegenhalten, dass Meckern bei einem Cannes-Aufenthalt von Berufswegen komplett unangebracht ist (ist es). Der Weg zur Arbeit führt hier schließlich entlang einer glitzernden Bucht, in der Superreiche ihre Yachten parken. Der epidemische Luxus lädt allerdings zum Meckern ein. Über die verschärften Security-Bestimmungen (zu unseren Gunsten), die den Einlass verlangsamen. Über den Moment, in dem eine blaue oder gelbe Akkreditierung vor mir ins Kino kommt, wenn die Angst vor dem eigenen pinken Statusverlust ins Herz sticht und ich mich eine dreiviertel Millisekunde lang wie in einer Ruben Östlund-Szene fühle. Was ich damit sagen will, nun ja, vorne strömen die Partygänger in den Block und hinten bei mir schnupperts jeden Abend nach altem Bratenfett. Da riecht der Hintern von Okja ohne Frage lieblicher.

Für eine fruchtbare Imagination ist A Prayer Before Dawn Fünf-Sinne-Kino, ohne dass er seine zwei Dimensionen verlässt. Die Schweißtropfen rinnen in dem Film von Jean-Stéphane Sauvaire (Johnny Mad Dog) über die ausladend tätowierten Rücken der Gefängnisinsassen. Der Drehort, ein leerstehendes Gefängnis in Thailand, scheint auf seine Weise über die Jahre die vielen Gefangenen eingesogen zu haben, in die Ritzen am Boden und jede dunkle Ecke. Aus den Lautsprechern schnarren Schmerzensschreie, während die glücklicheren Gefangenen über den Hof schlurfen, auf Befehl in die Hocke gehen, die Arme ausbreiten oder die Zunge rausstrecken, um die Mundhöhlen nach Heroinkügelchen durchsuchen zu lassen. Der Brite Billy Moore (Joe Cole aus Green Room) landet im Gefängnis Klong Prem, im sogenannten "Bangkok Hilton", und das Mitleid hält sich in Grenzen. A Prayer Before Dawn, eine wahre Geschichte, ist nicht Brokedown Palace. Es ist nicht die Geschichte eines zu Unrecht drangsalierten Ausländers im barbarischen Ausland, obwohl die Zustände im Knast barbarisch sind und Billy Furchtbares durchmachen muss. Das Inferno des boxenden Junkies ist im Grunde selbstgemacht. Nur hat es die Maße eines thailändischen Gefängnisses.

Viel wird den lieben langen Tag in Presseheften heruntergebetet, wie aufwendig die Recherche und Vorbereitung für einen Film war, wie zeitintensiv die Konstruktion von Authentizität. In A Prayer Before Dawn zahlt sich das tatsächlich mal aus, wenn echte Häftlinge neben Cole in der Zelle sitzen oder ihm rechte Haken verpassen. Es wäre wohl verdammt aufwendig gewesen, die traditionellen Gefängnistätowierungen abzupausen, die sich vom Rücken ins Gesicht der Thais ziehen. Wie in The Wrestler klammern wir an Billys Schulterblättern und sehen mit seinen Augen den Alltag im Gefängnis. Erklärt wird glücklicherweise wenig, gesehen viel. Das drängt zur Monotonie, doch um die 40-Minuten-Marke hält der Kampfsport Einzug. Die Muay Thai-Wettkämpfe zwischen den Gefängnissen sind ein potenzieller Ausweg für den Süchtigen, der seine Gruppenzelle bis dahin mit Heroin verpuffen lässt. Inszeniert werden die Fights ohne stilisierte Eleganz, vielmehr rau und desorientierend, wenn Tritte und Schläge ins Ringen und Verkrampfen wechseln. Und Joe Cole, dessen Billy sich weder erklären kann, noch will, trägt den Film auf beeindruckend breiten Schauspielerschultern.

Promised Land

Promised Land wiederum holt so weit aus, bis der legendenbehaftete Tod von Elvis Presley über seiner goldenen Toilette irgendwie mit der Wahl von Donald J. Trump als zertifizierter Niedergang eines Imperiums parallelisiert wird. Da hat der Rolls Royce bereits Las Vegas durchfahren. Auf dem Weg von Elvis' Geburtsstadt im tiefen Süden der USA bis zur "radioaktiven Mutation des Kapitalismus" (Mike Myers) lassen Eugene Jarecki und seine Crew Begleiter des Musikers, aber auch Chuck D, Ethan Hawke, Emmylou Harris, Alec Baldwin oder David Simon zu Wort kommen. Manchmal, um einander zu widersprechen, beispielsweise wenn es um die kulturelle Aneignung des schwarzen Blues durch den weißen Sänger geht. Wobei es vielfach eher Satzschnipsel sind, die in Promised Land am Fenster vorbeirauschen. Clips aus den Wahlkampfreden von Donald Trump oder Anmerkungen über den Charakter von Colonel Parker gehören dazu, der als Manager Elvis' destruktivste Instinkte hervorkitzelte, um sich selbst zu bereichern. So ist Promised Land ein manchmal zu bemühtes, aber vielfach erhellendes Porträt eines zweifachen Mythos. Von den ambivalenten Deutungen des amerikanischen Traums, im Film mal als Fantasie, Lüge oder schlicht Scheiße bezeichnet, und einem Mann, der ihn repräsentierte. Das tat Elvis Presley sowohl als ungezügelter Rock'n'Roll-Rebell aus kleinen Verhältnissen als auch pillensüchtig und aufgedunsen, im glitzernden Overall, als er 1977 traurig Unchained Melody anstimmte.

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