BoJack Horseman - Das Leben ist keine Sitcom

08.02.2018 - 11:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
BoJack HorsemanNetflix
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In BoJack Horseman leben Menschen und anthropomorphe Tiere selbstverständlich miteinander - warum auch nicht? Mein Herz für Serie geht an die tolle Netflix-Produktion.

Sitcoms. Was wären wir nur ohne sie? Als Kind der 1990er Jahre bin ich mit gleich mehreren von ihnen groß geworden. Diesen Serien, in denen es meistens um Familie geht und die man auch sehr gut zusammen mit der eigenen Sippe "method watchen" kann. Schließlich passiert in ihnen nie etwas, das unvorhergesehen für errötete Wangen oder anschließend gar für betretene Stimmung sorgt. Sie eignen sich wunderbar zur Ablenkung vom eigenen tristen Alltag und versichern uns gleichzeitig mit einem warmen Lächeln, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wirklich ernst werden muss und darf es dafür eigentlich auch gar nicht. Nun gibt es aber diese Show - BoJack Horseman - über ein abgehalftertes Pferd mit menschlichen Eigenschaften, das einst der große Star einer eben solchen kuscheligen Sitcom war, selbst jedoch nie besonders viel zu lachen hatte. Margaret Lyons beschrieb den Zeichentrick 2014 für Vulture  als "lustigste Serie aller Zeiten über Depressionen" und traf damit den Nagel auf den Kopf.

Schon die Prämisse von BoJack Horseman lässt ein gigantisches Potenzial erahnen, welches über mittlerweile 4 Staffeln hinweg praktisch bestmöglich ausgeschöpft wurde. Die Geschichte nämlich spielt in einer von Menschen und anthropomorphen Tieren besiedelten Welt, die einen schier unendlichen Raum für Heiteres, Abgründiges, Überraschendes und Grenzüberschreitendes freigibt. Hier zum Beispiel lieben sich ein Labrador Retriever und eine Feministin ebenso wie eine Katze und eine Maus. Wer nun also vermutet, dass Showrunner Raphael Bob-Waksberg niemanden vergisst, liegt goldrichtig, denn Lob  erntete der Animationshit zuletzt insbesondere für seinen asexuellen, chaotischen, etwas einfältigen und manchmal doch unverhofft lebensklugen Nebencharakter Todd Chavez (im Original gesprochen von Aaron Paul), der wirklich in keine Schublade passt.

Ziemlich beste Freunde: Todd Chavez und BoJack

Die innere Leere

Die Hauptfigur (Originalstimme: Will Arnett) der Serie mutet dagegen erst einmal an wie ein wandelndes (und wieherndes) Klischee, kennen wir die bittere Story rund um das Haifischbecken Hollywood samt dessen vernichtender Langzeitgefahren von Alkoholismus bis chronischer Lethargie doch nicht erst seit Californication. Selten allerdings wirkt der ernüchternde Blick hinter die Kulissen so aufrichtig, ungeschönt und mitfühlend wie beispielsweise in jenen bittersüßen Momenten, als BoJack und seine ehemalige Co-Darstellerin aus Horsin' Around - der Serie in der Serie - nach langer Zeit ein bisschen Zweisamkeit genießen, weil nur sie den Schmerz des jeweils anderen verstehen. Dass uns der mitunter ziemlich selbstmitleidige ewige Junggeselle ans Herz wächst, hängt aber vor allem mit seiner tragischen Familiengeschichte zusammen, die die Autoren behutsam vor unseren Augen ausrollen und die rein gar nichts zu tun hat mit der relativ heilen Welt einer herkömmlichen Sitcom.

So lernen wir nicht etwa nur BoJacks Mutter Beatrice und Vater Butterscotch, sondern auch deren Eltern kennen. Spätestens im Verlauf der 4. Staffel wird sodann deutlich: Je weiter wir auf dem Zeitstrahl zurückgehen, desto mehr müssen wir den Figuren nachsehen, denn vielleicht hatten sie nie eine Chance, anders zu werden, als sie heute sind. Bereits in Staffel 2 fasst Beatrice das ganze schicksalsschwere Elend zusammen:

Geh' endlich um mit dieser inneren Hässlichkeit. Du wurdest schon kaputt geboren. Das ist Vererbung. Und jetzt füllst du dein Leben mit tollen Projekten, mit deinen Büchern und deinen Filmen und deinen kleinen Freundinnen, aber... das wird nicht viel nützen.

Doch BoJack Horseman ist noch sehr viel mehr als ein wirkungsvolles Depressivum. Die Serie ist voll von film- und popkulturellen Anspielungen - wohlgemerkt während sie geschickt den ihr eigenen Mensch-Tier-Kosmos verhandelt. Mein liebster Kurzauftritt ist der der hyperaktiven Spinne Quentin Tarantulino, bei der ihr euch sicher schon denken könnt, welchem berühmten Regisseur sie nachempfunden ist. Oft genug aber steckt selbst hinter dem Klamauk einiges an Tiefsinn. Was ich von BoJacks liebstem Feind Mr. Peanutbutter (gesprochen von Paul F. Tompkins) halten soll, weiß ich daher absolut nicht. Er versprüht überall gute Laune und fragt andere euphorisch nach ihrem Befinden, hat aber ein paar Sekunden später sicher schon wieder deren Antwort vergessen. Von allen Charakteren trägt er am ehesten den oberflächlichen Geist der Unterhaltungsindustrie in sich (dazu passend moderiert er eine Gameshow), wogegen BoJack als Leidtragender ebenjener auf der anderen Seite steht.

Zwiespältig: Mr. Peanutbutter

Überhaupt gibt es wahrscheinlich kaum ein bedeutsames Thema, das in BoJack Horseman noch nicht zur Sprache kam: Waffenbesitz, Abtreibungen, Kunstfreiheit, Schönheitsideale oder die Last des Älterwerdens - alles findet wie selbstverständlich seinen Platz. Manchmal darf unsere liebgewonnene Hauptfigur sogar ein wenig Hoffnung schöpfen. Abzuwarten bleibt nicht zuletzt, ob BoJacks Halbschwester Hollyhock, die erst in Staffel 4 auftauchte, ihm langfristig Trost spenden kann oder ob er es sich früher oder später auch mit ihr dauerhaft verscherzt. Möglicherweise tritt Letzteres ein, aber selbst dann muss es irgendwie weitergehen. Nein, das Leben ist wahrlich keine Sitcom - Gott sei Dank.

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