Wir kriegen nur selten die Gelegenheit zu sehen, wie aus einem Menschen ein Monster wird. In Interview mit einem Vampir bekommen wir genau eine von diesen Gelegenheiten, als wir Zeuge davon werden, wie die etwa 10-jährige Claudia (Kirsten Dunst) erst von Louis (Brad Pitt) gebissen und dann von Lestat (Tom Cruise) in einen Vampir verwandelt wird. Gerade lag da noch ein sterbendes Kind auf dem Bett, das vom Leben gezeichnet ist, einen Moment später sehen wir, wie sich ihr fahler kränklicher Teint in ein makelloses Weiß verwandelt und sich ihr krauses Haar zu perfekten Locken dreht. Wie ihre Sterblichkeit legt Claudia in diesem Moment auch ein Gewissen ab und ist von jetzt an kein unschuldiges Kind mehr, sondern ein Killer. Dennoch verraten uns auf den ersten Blick nur ihre spitzen weißen Eckzähne, dass Claudia nicht einfach nur ein ungewöhnlich hübsches Kind, sondern ein Wesen der Nacht ist.
Mit ihrem engelsgleichen Äußeren ähnelt sie eher einer
Porzellanpuppe als einem Monster, aber von Anfang an stellt Regisseur Neil Jordan klar, dass Lestat mit ihrer Verwandlung ein unersättliches Monster in
die Welt gesetzt hat. Schon ihre ersten Worte nach der Verwandlung I want some
more lassen keinen Zweifel daran, dass Claudia ab diesem Zeitpunkt Lestats
eifrigste Schülerin sein wird und von ihrem Erschaffer alles lernt, was es über
das kunstvolle Töten von Menschen zu wissen gibt – und so zu einer Meisterin
ihres Fachs wird, denn gerade den Widerspruch ihres Äußeren nutzt sie, um ihre
Opfer heranzulocken und sich an ihnen zu laben.
Während wir Zuschauer bei ihren ersten Beutetouren und den
Maßregelungen von Lestat noch ins Schmunzeln geraten, nimmt ihre Existenz bald
eine Wende. Denn während ihre Monströsität hier noch mit ihrer Unschuld und
ihrer Kindlichkeit korrespondiert und sie im Gegensatz zu Louis gerade so
gewissenlos handeln kann, weil sie noch so jung war, als sie verwandelt wurde
und mit einer gewissen Naivität ihr Spiel mit ihren Opfern treibt, wird
Claudias Existenz selbst zu etwas Monströsem und Widernatürlichem.
Denn das Geschenk der ewigen Jugend wird für Claudia bald zum Fluch, wir sehen in ihrem Auftreten und ihrem Gebaren, dass in ihrem kindlichen Körper kein kleines Mädchen, sondern eine erwachsene Frau steckt, die an sich selbst leidet und der dieses Dasein aufgebürdet wurde. Wie jeder Jugendliche begehrt auch Claudia gegen ihre Autoritätspersonen auf, sie stellt Louis und Lestat zur Rede und verübt am Ende das Unverzeihliche: Sie bringt ihren Vater Lestat um, der sie zu dieser Existenz verdammt hat.
Die Szene, in der sie ihn richtet, hat nichts von der
Schwarzhumorigkeit und Verspieltheit ihrer früheren Auftritte mehr, denn um
Lestat auszulöschen, mit dem sie und Louis Jahrzehnte lang eine glückliche
kleine Familie bildete, lockt sie ihn in eine Falle und richtet ein Massaker
an. Nach dem Mord an ihrem Schöpfer klebt das erste Mal Blut an ihren Händen
und Claudias ganze Existenz wird von Abscheulichkeit, aber auch Tragik
bestimmt. Als sie an einem späteren Zeitpunkt der Sonne ausgesetzt wird,
empfinden selbst wir es fast als Erlösung, dass diese Kindfrau endlich von
ihrem ewigen Leben befreit ist.
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