Es besteht kein Anlass zur Untertreibung. Die Gunst der Fans hat sich Constantine schon vor Monaten verspielt. Zwar ist er jetzt blond, britisch und nicht Keanu Reeves, dafür wurden aber ein paar andere Komponente seines Charakters kurzerhand über Bord geworfen, um ihn TV-gerechter zu gestalten. Das heißt: Kein Tabak, kein Sex mit Männern . Diese beiden Verbote sind insofern besonders kurios, als dass a) der selbe Sender kein Problem damit hatte, seine Figur vor der Kamera das eigene Gesicht essen zu lassen und b) wir das Jahr 2014 schreiben. Zum Kopf in den Sand stecken ist es jedoch zu früh, also versuchen wir mal, so unvoreingenommen wie möglich an diesen Piloten heranzugehen.
Non est Asylum, so der Titel dieser ersten Episode von Constantine, ist nämlich ein ziemlich eigenartiger Pilot: Er hat so viele Probleme, dass er an sich nicht wirklich Spaß macht und trotzdem besteht eine nicht unbegründete Hoffnung, dass der Rest der Staffel doch noch die Kurve kriegt.
Kurz zum Inhalt: John Constantine (Matt Ryan) ist Exorzist und wird damit einhergehend für verrückt gehalten und behandelt. Während einer Therapie-Sitzung bringt ein dämonischer Vorfall ihn endgültig dazu, die Sache sein zu lassen und wieder Jagd auf Höllenkreaturen zu machen. Seine Recherche bringt ihn zu der ahnungslosen Liv Aberdine (Lucy Griffiths), Tochter eines verstorbenen Prominenten in Okkult-Kreisen und aufgrund eben jener Abstammung Opfer von übernatürlichen Wesen. Liv tritt zum ersten Mal in Kontakt mit schwarzen Mächten und muss deshalb von John zunächst zur Mitarbeit überredet und an die Hand genommen werden. Zusammen hecken sie einen Plan aus, um einen Dämonen anzulocken und zu vernichten. Der Plan glückt, doch die ganze Sache ist Liv schlussendlich doch zu viel des Guten - sie steigt aus und verlässt die Stadt. John ist wieder auf sich allein gestellt.
Wie bereits angedeutet, macht Non est Asylum so viel falsch, dass es einem vor Mitleid fast das Herz zerreißt. Er möchte den Zuschauer nicht nur in ein vielschichtiges Setting einführen und ihm einen psychologisch interessanten Hauptcharakter präsentieren, sondern dabei auch noch lustig, gruselig und voller Action sein, während permanent die (mehr oder wenigen) dicken Fähigkeiten des CGI-Teams zur Schau gestellt werden müssen - und das auf knappe 45 Minuten, wohlgemerkt. Das Ergebnis dieses vollkommen überambitionierten Skripts macht den Eindruck, als könnte Peter Jackson dafür einen dreistündigen Extended Cut zusammenschustern. Hier wird teilweise dermaßen voreilig von Szene zu Szene gehastet, dass es einem unmöglich gemacht wird, sich auf irgendetwas einzulassen. Dummerweise verzichtet Constantine dabei zusätzlich auf jeglichen Versuch von Innovation. Ein zitternder Protagonist, der mit gehobener Hand vor seinem Gegner steht und ihn mit verzerrt tiefer Stimme in Fantasiesprache bezwingt? Das ist doch eher so ein Ding für das letzte Jahrzehnt, oder nicht?
Das allergrößte Problem liegt jedoch an anderer Stelle und hat sogar einen Namen: Liv Aberdine. Am Ende dieser Staffel wird sie aller Voraussicht nach mit dem Titel des überflüssigsten Seriencharakters aller Zeiten vom Platz gehen, was vielerlei Gründe hat. Erstens ist Lucy Griffiths der mit Abstand schwächste Teil eines ohnehin schwachen Casts (Matt Ryan außen vor gelassen, doch dazu später mehr). Selten wurde ich so schnell von einer Figur genervt, die eigentlich dafür konzipiert wurde, damit der Zuschauer eine Identifikationsfigur hat. Sie ist der Schlüssel für das Publikum, das durch ihren Mund alle dummen Fragen stellen kann, die es auf dem Herzen hat. Dass Liv, die im Übrigen kein Teil der Vorlage ist und von den Autoren erfunden wurde, eine außergewöhnliche Vollkatastrophe ist, ist natürlich nicht bloß Griffiths' Schuld. Ihre Figur ist schon von ihrer Grundkonzeption her für eine charakterliche Sackgasse prädestiniert, was glücklicherweise auch die Autoren bemerkt haben. Liv wurde direkt aus der Serie gestrichen und wird ab der nächsten Folge von Angélica Celaya als Zed abgelöst.
Die allererste Konsequenz aus dieser "Neubesetzung" ist natürlich, dass der vorliegende Pilot endgültig ad absurdum geführt wurde und nicht mehr ernstzunehmen ist. Da verbiegen sich die Autoren in alle Himmelsrichtungen, um uns mit Liv eine Identifikationsfigur zu geben, nur um sie in den letzten Minuten der selben Folge denkbar lieblos ins Nichts zu verbannen. Wenn Chas (Charles Halford) auf John zugeht und ihm aus heiterem Himmel sagt, dass Liv zu ihrer Cousine gezogen ist und nie mehr zurückkommen wird, ist es, als würde David S. Goyer persönlich vor die Kamera treten und eine Rede halten. Okay, zugegeben, die letzten 40 Minuten waren echt scheiße. Wir fangen nächste Woche nochmal von vorne an. Aber ich schwöre: Es wird besser. Das Interessante daran? Ich glaube ihm.
Constantine hat den fundamentalen Vorteil, dass Matt Ryan einen tollen Protagonisten abgibt. Sein britisches Englisch trägt sicherlich dazu bei, aber auch sonst hält sein Auftreten eine angenehme Balance zwischen John, dem zynischen Badass, John, dem gepeinigten Melancholiker und John, der von seinen Sünden geplagt ist. Vor allem zum letzteren Thema scheinen die Autoren auf eine ambivalente Betrachtung aus zu sein, ganz im Gegensatz zu der Kinoversion. Und es ist ja nicht so, dass ausnahmslos alles um Ryan herum schlecht gelaufen ist. Ob es nun die Kakerlaken-Herde, der zappelnde Leichensack oder Livs Haare-kämmende Oma ist - Non est Asylum hat einige wirklich angsteinflößende Momente, auf denen aufgebaut werden kann. Zwar haben sie aufgrund der angesprochenen Eile im Erzähltempo und Schnitt bei weitem nicht ihr volles Potential entfaltet, doch ich bin optimistisch, dass das noch werden kann. Zumal NBC ja bereits mit Hannibal bewiesen hat, dass die Chefetage durchaus bereit ist, explizites Horrormaterial auszustrahlen.
Hinzu kommt, dass Co-Creator Daniel Cerone in einem Interview quasi zugegeben hat, dass die Idee mit Liv komplett für den Eimer ist. Und das Monate vor der offiziellen Erstausstrahlung. Dieses mutige Statement allein lässt darauf hoffen, dass die Jungs und Mädels im Writer's Room vielleicht doch ein Gespür für ordentliche Skripts haben. Diese vollkommen befremdliche Plot-Notbremse könnte also die ganze Serie gerettet haben.
Mein erster Eindruck von Constantine könnte unterm Strich demnach zwiespältiger nicht sein. Isoliert betrachtet ist der Auftakt ein schlechter Scherz - überladen, holprig, unentschlossen. Doch das Konzept mit Liv als Schülerin, was hier noch als Kern der gesamten Serie präsentiert wird, wurde glücklicherweise direkt über den Haufen geworfen. Wir dürfen somit womöglich schon in der zweiten Folge eine komplette Restauration des Ausgangsmaterials erwarten. Das ist eine ungewöhnliche, aber die einzig richtige Entscheidung, denn das Potenzial ist vorhanden. Wenn die entsprechenden Bausteine jetzt auch noch richtig angeordnet werden, darf Non est Asylum stillschweigend unter den Teppich gekehrt werden. Wenn nicht, dann darf, nein, dann sollte lauthals über diesen Reinfall gelacht werden.
Habt ihr euch den Piloten von Constantine angeschaut? Wenn ja: Wie hat er euch gefallen?