Ich, Vertigo und ein psychedelischer Albtraum

01.05.2011 - 08:50 Uhr
Mein Herz für Klassiker: Vertigo
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Mein Herz für Klassiker: Vertigo
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Alfred Hitchcock hat einige Klassiker gedreht, die ein Herz verdient hätten, aber trotzdem bekommt diese Woche sein psychotischer Albtraum Vertigo mein Herz für Klassiker.

Bei seiner Kinopremiere im Jahr 1958 erntete Vertigo – Aus dem Reich der Toten von Alfred Hitchcock eher lauwarme Reaktionen bei den Kritikern. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif für diesen ultimativen Hitchcock mit einem ungewohnt unsympathischen James Stewart in der Hauptrolle. Heute gilt er als unbestrittenes Meisterwerk der an Meisterwerken reichen Filmografie des Masters of Suspense. Mein Herz für Klassiker geht diese Woche an Vertigo.

Warum ich Vertigo mein Herz schenkte
Vertigo war der erste Hitchcock, den ich überhaupt gesehen habe und er wurde schnell zu meinem Lieblings-Hitch. Das änderte auch die Tatsache nicht, dass er Thema einer meiner mündlichen Prüfungen während des Studiums war. Solche Kombinationen können einen Film nämlich richtig versauen. Nicht so bei Vertigo, der den Kino-Good Guy James Stewart in einen immer rücksichtsloser werdenden Voyeur verwandelt. Hier kommen schließlich alle typischen Hitchcock-Themen zum Tragen. Die kühle Blonde (Kim Novak) ist da, das Doppelgängermotiv, die obsessive Schaulust und ein ganzer Klotz Freud’scher Komplexe. Zuallererst aber ist Vertigo ein Thriller, der allen Konventionen aus dem Weg geht.

In seiner Struktur ist Vertigo quasi in sich gespiegelt. Die erste Hälfte besteht im wesentlichen aus James Stewart, der einer blonden Frau ins Restaurant, einen Blumenladen, auf den Friedhof und in eine Galerie folgt. Aber wie Hitchcock das inszeniert! Allein die Sequenz im Restaurant, in der Scottie (James Stewart) Madeleine (Kim Novak) zum ersten Mal sieht. Blutrot sind die Wände, dazu gibt es eine schwebende Kamerafahrt auf Kim Novaks Rücken und natürlich ihre Haare. Selten war eine Frisur so wichtig für die Atmosphäre eines Films! Die zweite Hälfte lässt uns diese Orte erneut besuchen, nur unter ganz anderen, düsteren Vorzeichen.

Warum auch andere Vertigo lieben werden
In Vertigo sind alle filmischen Elemente perfekt. Da ist die Inszenierung von Alfred Hitchcock, die geich in mehreren Sequenzen ihren Höhepunkt erreicht: die Restaurantszene, die Frau, die ins Meer stürzt, die Galerie, der Glockenturm, die ins grüne Licht getauchte Kim Novak und und und. Hinzu kommt Stamm-Komponist Bernard Herrmann, dessen Score eine musikalische Analogie zum obsessiven Strudel bildet, in dem James Stewart im Verlauf des Films zu ertrinken droht. Dieser wiederum zeigt hier, dass er mehr kann, als nur den Mr. Nice Guy der Marke Frank Capra zu spielen. Jimmy Stewart hat in Vertigo eine unterschwellige Agression, die er kaum jemals in anderen Filmen herauslassen konnte.

Doch was wäre Vertigo ohne Saul Bass? Der war für das stilprägende Posterdesign sowie die Title Sequence und eine der besten Traumsequenzen aller Zeiten verantwortlich. Saul Bass’ Design kombiniert mit Hitchcocks Psychosen und der Musik von Bernard Herrmann machen Vertigo unvergesslich und natürlich unerreicht.

Warum Vertigo einzigartig ist
Alfred Hitchcock wusste schon immer, wie Unterhaltung und Anspruch verbunden werden müssen, ohne das das eine Überhand gewinnt. Doch Vertigo ist ein Ausnahmewerk in seinem Oeuvre, ein Psychotrip in die Seele eines Mannes, der das Idealbild einer Frau nicht vergessen kann und sich auf der Suche nach diesem beinahe selbst zerstört. Selten war ein Protagonist eines Hitchcock-Films so abstoßend und gleichzeitig dermaßen faszinierend. Lassen sich andere Großtaten von Alfred Hitchcock noch leicht einem Genre zuordnen, ist Vertigo im Grunde nur eines: der Über-Hitchcock.

Warum Vertigo die Jahrzehnte überdauert
Vertigo ist seiner Zeit soweit voraus, das er selbst heute noch ungemein modern wirkt. Es heißt ja oft, das solche und solche Filme heute nicht mehr gemacht werden und dann schauen alle nostalgisch in die Röhre. Bei Vertigo funktioniert dieses Argument eigentlich nicht, denn James Stewarts Reise ins Herz seiner finsteren Obsessionen ist eine Singularität in der Filmgeschichte, nicht nur einer der besten Filme überhaupt, sondern, ja, das muss hier mal gesagt werden: einzigartig.

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