The Crown und das Menschliche hinter der Fassade

12.11.2016 - 09:00 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Claire Foy und Matt Smith in The CrownNetflix
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Mit The Crown startete Netflix eine prestigeträchtige Dramaserie, die sich um das Leben von Queen Elizabeth II. dreht. Im Interview mit Hauptdarstellerin Claire Smith und ihrem Co-Star Matt Smith geht es um die Verantwortung, die damit einhergeht.

Rund eine Woche ist es her, dass Netflix eine seiner ambitioniertesten Eigenproduktionen an den Start gebracht hat. Die Rede ist von The Crown, einer 100 Millionen teuren Dramaserie, die zudem perfekt auf die britischen Nutzer des US-amerikanischen VOD-Dienstes zugeschnitten ist. Während House of Cards wie im Sturm das Weiße Haus eroberte und Gérard Depardieu als französischer Staatsmann Marseille regieren darf, dreht sich in The Crown alles, um das Leben von Queen Elizabeth II. Den Anfang nimmt die episodische Geschichtsstunde in den 1940er Jahren, danach folgt die 1. Staffel der Monarchin bis in die 1950er Jahre. Auf der einen Seite eine überaus prestigeträchtige Unternehmung, auf der anderen Seite ein verantwortungsvoller Drahtseilakt: Zusammen mit Claire Foy und Matt Smith blicke ich hinter die Kulissen der Serie.

Claire Foy verkörpert in The Crown niemand Geringeres als die ikonische Regentin, um die sich ein Gros der Handlung dreht. Am Anfang ist sie eine junge Frau, die gänzlich überrumpelt wird von all den royalen Aufgaben, die ihr nach dem Tod ihres Vaters mehr oder weniger ungefragt in den Schoß fallen. Doch Elizabeth II. wächst mit ihren Aufgaben und so denkt sich Claire Foy auch immer mehr in die Rolle einer entschlossenen Königin. Philip, ihr Gatte, rückt dagegen immer weiter in den Hintergrund. Matt Smith haucht also einem Mann Leben ein, der entgegen aller Konventionen jener Zeit, die zweite Geige spielt, ja, sogar vor seiner Frau (und Königin) niederkniet. Oft steht er nur brav in einer Ecke der eindrucksvollen Gemächer. Im Hotelzimmer, in dem ich die beiden Hauptdarsteller interviewen durfte, kann er seiner Begeisterung jedoch kaum Einhalt gebieten und gestikuliert euphorisch in der Gegend herum.

Aufgeschlossen, herzlich und voller Energie: So einen Empfang hatte ich nicht erwartet. Vor allem nicht, nachdem ich frisch aus der sorgfältig, bedächtig erzählten Serie zurückgekehrt bin. Wie war es also, in diese Zeit einzutauchen, in der es mehr Regeln als Freiheiten im gesellschaftlichen Umgang gab? Claire Foy schwärmt:

Unglaublich! Es war eine unglaublich Erfahrung. Besonders, wenn man überlegt, wie selten man eine solche Chance bekommt, diese Zeit zu erforschen. Es war wirklich unglaublich, die Zeit ein paar Dekaden zurückzudrehen und all die Schauplätze in ihrer alten Form zu erleben.

Matt Smith stimmt seiner Kollegin zu. Für ihn gestaltete sich der Reiz besonders darin, die Leben von Figuren zu erforschen, die so unterschiedlich von unseren heutigen waren. "Amazing" und "exciting" - das Eintauchen in die Vergangenheit muss ein unvergessliches Abenteuer gewesen sein. Doch wie fühlt es sich an, wenn man Figuren verkörpert, deren echte Vorbilder noch am Leben sind? Existiert da nicht ein unfassbarer Druck, wenn es sich um die Darstellung von Monarchen im eigenen Land handelt?

Ja, der Druck ist definitiv da. Es mag schwierig sein, die Personen adäquat darzustellen. Gleichzeitig ist es überaus vergnüglich, einer solche Figur Leben einzuhauchen. Es gibt so viel Material, auf das man zurückgreifen und ausbauen kann. Aber klar, so aufregend es ist, Menschen zu spielen, die noch am Leben sind, so groß ist auch die Verantwortung gegenüber der echten Person.

Während Matt Smith diesen Gedanken zu Ende bringt, wirkt er zum ersten Mal in diesem Gespräch ruhig und konzentriert. Als wolle er selbst in diesem Interview den Respekt vor dem historischen Stoff und seinen Protagonisten demonstrieren. Claire Foy führt weiter aus:

Ich glaube, seltsamerweise ist der Druck jetzt größer, als zu der Zeit als wir die Serie gedreht haben. Damals sind wir komplett in diese Welt eingetaucht und haben jede Szene gespielt, als wäre sie Wirklichkeit. Nun, da wir die Dreharbeiten jedoch abgeschlossen haben und alle Menschen das Ergebnis sehen können, fühlt es sich irgendwie komisch an. Jeder kennt sie [Queen Elizabeth II. und Prinz Philip] und jeder hat gewisse Erwartungen, was ihre Darstellung angeht. Ich hoffe, sie sind glücklich mit unserer Arbeit, unserer Interpretation - und das ist wichtig: Es ist nur unsere Interpretation, und die Interpretation von [Serienschöpfer] Peter Morgan.

Wie sich die Schauspieler auf diese Herausforderung, Queen Elizabeth II. und Prinz Philip zu porträtieren, vorbereitet haben? "Unfassbar viel Recherche", lautet Claire Foys zügige Antwort. Matt Smith ergänzt, dass es überaus hilfreich war, dass ihnen nicht nur schriftliche Erzeugnisse jener Zeit zur Verfügung standen, sondern auch zahlreiche Filmaufnahmen die Vorbereitungen erleichtert haben. "Es macht einen großen Unterschied, ob man distanzierte Aufzeichnungen liest, oder sich direkt einen Eindruck machen kann." Die kniffligste Angelegenheit war aber immer noch eine andere, wie Matt Smith erläutert:

Es gab einige Herausforderungen. Die größte, für mich als Schauspieler, war es allerdings, die Balance zu finden, ihm [Prinz Philip] sowohl als Person respektvoll zu begegnen als auch ihn als den Mensch zu porträtieren, der er wirklich ist. Dazu kommt der Umstand, dass wir eine Geschichte erzählen wollten, die interessant und thematisch ansprechend ist. Das war das Kniffligste... auf diesem schmalen Grat zu balancieren. Nur so kann man den Vorbildern gerecht werden und sie als Figuren tatsächlich zum Leben erwecken.

Bei so vielen prominenten Persönlichkeiten, die sich in einem Netz aus Macht, Intrigen und Manipulation verlieren, stellt sich natürlich die Frage, woher die große Faszination Politdramen aller Couleur kommt. Wie bereits erwähnt setzt Netflix nach House of Cards (USA) und Marseille (Frankreich) zum dritten Mal auf ein politisches Format, um mit einer Eigenproduktion die Zuschauer einer ganzen Nation zu gewinnen. Warum funktioniert das so gut?

Ich glaube, es liegt daran, dass wir Normalsterblichen sehr viel Vertrauen und sehr große Hoffnungen in diese Menschen [Politiker] setzen. Es ist ein bisschen so wie bei einem Arzt. Wenn man krank ist, vertraut man ihm unter Umständen das eigene Leben an - also etwas, das unheimlich wichtig für einen ist. Wenn es nun darum geht, ein Land zu regieren, handelt es sich ebenfalls um eine wichtige Angelegenheit und man hofft, dass die auserwählte Person alles daran setzt, um das Land am Leben zu erhalten. Diese leidenschaftlichen Geschichten wollen wir sehen, selbst wenn die Protagonisten nicht perfekt sind. Sie alle verfehlen irgendwann die Erwartungen hinsichtlich ihres Urteilsvermögen. Aber das tun wir alle. Das ist menschlich. Wir machen Fehler. Niemand kann sich vorstellen, unter welch einem gewaltigen Druck so eine Person steht. Das macht die Serie so interessant. Man kann den Druck förmlich greifen - und das, obwohl wir lange Zeit gar nicht wussten, wie sehr sich das Politische auf ihr [Queen Elizabeth II.] persönliches Leben ausgewirkt hat. Trotzdem hat sie damals nicht aufgegeben, sich für ihr Land eingesetzt und hat darüber hinaus den Kopf der Kirche repräsentiert. Das ist genauso beeindruckend wie erschreckend. Aber am Ende ist es vor allem eines: menschlich.

War Matt Smith bisher der engagierteste Redner im Raum, hat spätestens jetzt Claire Foy ihn mit ihrer Leidenschaft für The Crown abgelöst. Absolut begeistert schwärmt sie von dieser menschlichen Note, die die Serie über ein Thema offenbart, das heutzutage nur noch aus äußerlichen Förmlichkeiten zu bestehen scheint. Ob sie glaubt, dass die Queen The Crown jemals sehen wird? "Ich weiß nicht ... vermutlich nicht", antwortet Claire Foy gleichermaßen erheitert wie traurig über die naive Vorstellung, die sich in meiner Frage versteckt. Auch Matt Smith schätzt die Wahrscheinlichkeit als verschwindend gering ein. Dennoch ist er überzeugt davon, dass die Geschichte trotz ihres Alters den Menschen im 21. Jahrhundert viel zu sagen hat.

The Crown besitzt ein beachtliches Gefühl dafür, wie anstregend, aber auch wie wichtig es ist, durch schwere Zeiten zu kommen. Es geht darum, füreinander da zu sein, einander zuzuhören. Man darf auf keinen Fall aufgeben, egal wie schlimm die Situation ist - besonders im Fall von zwischenmenschlichen Beziehungen. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Jeder erlebt seine Höhen und Tiefen. Aber wenn man zusammenhält, dann übersteht man selbst die dunkelste Kapitel der Geschichte.

Vermutlich hätte er diese Worte so kurz vor der US-Wahl, die nur wenige Tage nach diesem Interview stattgefunden hat, nicht besser treffen können.

Das Potential von The Crown liegt folglich auf der Hand. Es ist eine Serie, die Vergangenheit und Gegenwart leichtfüßig miteinander verknüpft und in den Kontext stellt. Netflix konnte allerdings bereits im Rahmen vieler Eigenproduktionen lernen, wie eine ordentliche Dramaserie im Idealfall aussehen sollte. Hat sich womöglich aber im Verlauf der Zeit eine gewisse Routine eingependelt? Oder ist das Gegenteil der Fall? Welche Erwartungen lasten seitens des VoD-Anbieters auf seinem kostspieligem Debüt in Großbritannien?

Das Tolle bei Netflix ist, dass man nie das Gefühl hat, dass sie krampfhaft versuchen, einen Hit zu landen. Das spürt man wirklich. Sie glauben einfach an ihre Serien und sie haben den Mut und die Überzeugung, diese zu realisieren. Momentan können sie es sich leisten, alles auf eine Karte zu setzen und das Gefühl zu vermitteln, dass es in erster Linie darum geht, die bestmögliche Arbeit abzuliefern. Also haben wir eine großartige Serie gemacht, auf die wir stolz sind. Wenn die Zuschauer sie dann sehen und die einzelnen Episoden genießen, dann ist das genug für uns. Wir erwarten nicht, dass die Serie die Welt verändern wird. Ich glaube, wir haben das Beste aus den Möglichkeiten gemacht, die uns gegeben wurden.

Und wie sieht es mit der Zukunft aus? Gibt es bereits Pläne für eine Serie, die sich über mehrere Staffel erstreckt? Bleibt Queen Elizabeth II. für immer die Hauptfigur? Oder wechselt The Crown den Fokus, etwa wie es bei Narcos ab nächstem Jahr der Fall sein wird?

Ja, wir arbeiten auf alle Fälle an einer Weiterführung der Geschichte. Aktuell wird die 2. Staffel gedreht und es wird definitiv größer. Wie groß, das kann ich momentan noch nicht sagen. Auf der einen Seite gibt uns der Lauf der Geschichte ein klares Muster vor, auf der anderen Seite befindet sich die Serie aber noch ganz am Anfang und muss erst noch richtig geformt werden.

Wir dürfen also gespannt sein, was uns in Zukunft bei The Crown erwartet. Schenken wir Claire Foys Worten Glauben, befindet sich die Serie zumindest in den besten Händen. Während Billy Elliot-Regisseur Stephen Daldry zwei der bisher zehn Episoden inszenierte und weiterhin als Produzent fungiert, lastet die kreative Verantwortung auf den Schultern von Peter Morgan, ein überaus fähiger Vertreter seines Fachs.

Beide sind extraordinär. Sie sind Genies. Die Besten, die man für so ein Projekt finden kann. Sie sind professionell und wir waren sehr glücklich, unter ihrer Leitung in der Serie zu spielen. Es war so eine Ehre mit ihnen Zusammenzuarbeiten. Es ist wirklich großartig, wenn die Kreativen so gut als eingespieltes Team funktionieren. Sie waren sehr engagiert bei der Umsetzung und haben sehr viel Herzblut hineingesteckt - und das ist nicht selbstverständlich. Obwohl Peter schon zuvor so tief in der Materie drin war, ist trotzdem kein Tag vergangen, an dem er nicht versucht hat, noch weiter zum Kern der Geschichte vorzudringen. Diese Art von Engagement ist wahnsinnig inspirierend und hat uns alle motiviert.

Während Cast und Crew bei der Produktion offensichtlich alles gegeben haben, frage ich mich, ob diese Mühen bei der aktuellen Frequenz, mit der Netflix eigenen Content veröffentlicht, überhaupt zur Geltung kommen. Fast jeden Freitag erwartet uns mittlerweile ein neues Original. Es ist unmöglich geworden, alles zu schauen. Muss sich The Crown da gegen eigene Schwester-Produktionen durchsetzen und mit Alleinstellungsmerkmalen glänzen? Matt Smith klingt sehr zuversichtlich, was meine Bedenken angeht:

Die Serie ist ziemlich einzigartig, weil sie einen umfangreichen Einblick in eine Geschichte liefert, die jeder zu kennen glaubt. Tatsächlich kennt sie jedoch keiner in voller Länge und ich glaube, The Crown beinhaltet viele dieser Elemente, die die meisten Menschen so noch nicht gesehen haben. Abgesehen davon gibt es so viele offensichtliche und weniger offensichtliche Schauwerte. Die Kostüme, die Schauspieler, die Musik, die Regisseure, die Drehbuchautoren... und das Beste ist, dass sich am Ende der zehn Episoden eine richtige Erfahrung verbirgt. Es ist wirklich fesselnd.

Würden wir also bei Serien von Blockbustern sprechen, The Crown würde anno 2016 auf alle Fälle in diesen Kreis gehören. Dahingehend betont Claire Foy den Eventcharakter von The Crown:

Das Entscheidende ist wirklich die Größe, die The Crown so einmalig macht. Die Serie ist geradezu majestätisch und erhaben, nur wenige Serien besitzen so etwas. Hier geht es um die königliche Familie und die außergewöhnlichen Leben, die jedes einzelne Mitglied führt. Dabei steht nicht nur das Außergewöhnliche im Vordergrund, sondern auch das Gewöhnliche. Diese Herangehensweise ist wirklich rar. Du siehst das Öffentliche und das Private - und du verlierst dich ein bisschen in beidem. Denn wir erfahren in der Serie alles, was wir uns bisher immer bloß vorstellen konnten.

So verlockend sich diese Umschreibung anhören mag. Abschließend will ich erfahren, wie authentisch The Crown den wirklich ist. Oder ist Authentizität in diesem Fall überhaupt ein maßgebender Faktor?

Naja, dadurch, dass die Serie auf wahren Begebenheiten basiert, wissen wir grob, was passiert, aber wir wissen nicht, was passiert ist, wenn sie die Türen zu ihren Schlafzimmern schließen. Was du also siehst, ist lediglich unsere Interpretation dieser Ereignisse. Wir erfinden keine Sachen, die nicht passiert sind. Wir interpretieren nur auf Basis der Dinge, die wir wissen.


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