Warum ich es hasse, Ripper Street zu lieben

17.11.2016 - 11:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Ripper Street mit Jerome Flynn, Matthew MacFadyen und Adam RothenbergBBC
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Mein heutiges Herz für Serie geht an eine der cleversten und atmosphärischsten Krimiserien, die England zu bieten hat. Doch Ripper Street gibt nicht nur, sie nimmt auch.

Es gibt Serien, da stimmt einfach alles. Das Setting ist harmonisch, die Charaktere sind liebenswert und am Ende wird doch immer alles gut. Ich bin ein harmoniesüchtiger Mensch und freue mich deshalb immer sehr über solche Serien. Seltsam also, dass ich Ripper Street so liebe. Denn hier wird nicht immer alles gut. Wer in diese Serie einsteigt, muss darauf gefasst sein, dass sie einem wehtut. Immer und immer wieder. Am Ende ist sie es jedes Mal wert. Lasst mich euch erklären, warum.

Das Setting

Ripper Street ist dem Namen entsprechend zur Zeit von Jack the Ripper angesiedelt, im späten viktorianischen Zeitalter. Schauplatz: London, Whitechapel, um genau zu sein. Die viktorianische Zeit ist wohl mein liebstes Kapitel in der Weltgeschichte. Der Erfindergeist und die Inspiration im Konflikt mit bitterer Armut und der sozialen Frage geben immer jede Menge Stoff zum Nachdenken. Ripper Street fängt genau das ein. Die Atmosphäre, die hier herrscht, ist atemberaubend und so real, dass ich oft Schwierigkeiten habe, in die Jetztzeit zurückzufinden. Doch statt den Glanz von Ballsälen zu zeigen, befördert einen die Serie mit dem Gesicht voraus auf die Straße.

Viertel wie Whitechapel waren gezeichnet von Gewalt auf offener Straße, von Armut und einer hilflosen Ohnmacht der Behörden. Mitsamt Detective Inspector Edmund Reid (Matthew Macfadyen) und seinem treuen Sergeant Bennet Drake (Jerome Flynn) werden wir mitten in die Hölle geworfen. Unterstützt vom amerikanischen Gerichtsmediziner Homer Jackson (Adam Rothenberg) versuchen sie, die Straßen irgendwie sicher zu halten. So erhalten wir als Zuschauer eine einzigartige Ermittler-Perspektive. Reid und Drake zeigen, wie es auf Londons Straßen wirklich zuging und dass der Polizeijob ein lebensgefährlicher war. Knallhart wird uns der verklärte Blick auf die Zeit genommen.

Ripper Street - S01 E06 Clip Straßenkampf (English) HD
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Die Möglichkeiten

Es bietet sich uns ein völlig neuer Blick auf Ermittlermethoden und ethische Fragen, die für uns heute zur Normalität geworden sind. Ende des 19. Jahrhunderts war es aber durchaus eine absolute Neuerung, Fotos vom Tatort zu schießen oder Fingerabdrücke nehmen zu können. Im Gegensatz zu den von Technologie verhätschelten Detectives in irgendeinem CSI-Streifen ist für Reid und Jackson Köpfchen gefragt.

Die Fälle selbst drehen sich um andere Themen, die oft grausam sind und mich ein ums andere Mal mit einem Kloß im Hals zurückließen: Frauen, die durch Quacksalber getötet werden, weil sie sich von ihnen die Abtreibung versprechen, die Ärzten im Krankenhaus verboten ist. Rebellierende Afghanistan-Veteranen, die nach ihrem Einsatz auf der Straße ihr Dasein fristen müssen, weil es kein Sozialsystem gibt. Korrupte Polizisten, die sich in dem wenig kontrollierten System alles erlauben können. All das ist nur ein kleines Stück vom vergifteten Kuchen. Bei all dem Schrecken werden wir aber durch unvergleichlich cleveres Whodunit und gekonnte Spannung stets auf grandiose Auflösungen zugeführt. Bingewatching geht bei dem Spannungsbogen der Serie nicht nur, es muss sein. Ripper Street ruft immer wieder wach, wie wenig selbstverständlich Menschlichkeit ist und macht nachdenklicher als die meisten Dramen.

Die Charaktere

Kommen wir zum vielleicht schmerzhaftesten Teil der Serie. Von Game of Thrones (aus der zahlreiche Schauspieler übrigens Gastauftritte in Ripper Street haben) sind wir heutzutage abgehärtet und auf Charaktertode und Gewalt vorbereitet. Doch in besagter HBO-Produktion besteht eine gewisse Distanz zum Geschehen. Eine Distanz, die Ripper Street durch seine Erzählweise und Realitätsnähe unmöglich macht. Fast schon gewaltsam schweißt sie uns mit den Hauptfiguren zusammen, denn sie alle sind irgendwo angeknackst, aber liebenswert und vielschichtig. Inspector Reid versucht verbissen, seine kleine Tochter wiederzufinden, die zwar für tot erklärt wurde, deren Leichnam aber nie gefunden wurde. Homer Jackson und seine geliebte Long Susan (MyAnna Buring) laufen vor ihrer grausamen Vergangenheit in den Staaten davon und hassen und lieben einander dafür gleichermaßen. Bennet Drake ist zwar ein Rauhbein, aber ein herzensguter Mann, der sich in all der Unmenschlichkeit seines Jobs nach Nähe sehnt. Hinzu kommen viele kleine Nebenfiguren, die zu absoluten Sympathieträgern werden.

Das für sich wäre nicht ungewöhnlich. Doch Ripper Street hackt hämisch grinsend auf mich ein, wenn diese Charaktere pausenlos verletzt werden. Physisch und seelisch, und ich leide durch die Unmittelbarkeit der Serie mit. Niemand ist auf den Straßen je sicher, ständig müssen wir um unsere Lieblinge bangen. Passiert ihnen etwas Schönes, wird es kurz darauf zerstört. Wenn jemand stirbt, erhalten wir oft einen Nachfolger. Den hasse ich meist erst, weil er nicht ist wie sein Vorgänger, und muss bald feststellen, dass ich auch den Neuen plötzlich ins Herz schließe. Anfangs unsympathische Charaktere werden meist nach und nach um Schichten erweitert und gewinnen meine Zuneigung. Es ist beinahe unmöglich, für die Guten von Whitechapel keine warmen Gefühle zu entwickeln. Sie sind all das Leiden wert.

Das Wort zum Schluss

So verpasst mir Ripper Street immer wieder Tiefschläge. Aber es werden mit frischen Charakteren, mit immer neu gefundenen, spannenden Problemen und ganz selten einem ehrlich guten Ereignis Pflaster auf die Wunden geklebt. Jede Staffel wartet mit neuen großen Handlungsbögen auf, einer atemberaubender als der nächste. Die Intensität der Ereignisse ist zugleich Fluch und Segen. Ich hasse die Serie dafür, dass sie mir solche Gewalt antut, und ich liebe sie zugleich für ihre Intelligenz, für ihren Einfallsreichtum und natürlich für Edmund, Bennet, Homer und noch ein paar mehr. Vielleicht habe ich aber auch einfach ein Stockholm-Syndrom entwickelt.

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