Laurence Anyways ist der jüngste Film des Kanadiers Xavier Dolan, der mit seinen 24 Jahren als “Wunderkind” des Independent- und Autorenfilms gilt, nachdem ihm seine Werke I Killed My Mother und Herzensbrecher, an denen er als Schauspieler, Drehbuchautor, Produzent und Regisseur beteiligt war, viel Zuspruch bescherten. In Laurence Anyways versucht er sich nun an einer Geschichte über nicht ganz so junge Menschen wie zuvor. Mit 30 Jahren verkündet der eigentlich mit seiner Freundin (Suzanne Clément) glückliche Literaturlehrer Laurence (Melvil Poupaud), dass er künftig als Frau leben wird. Der Film ist in den 80er und 90er Jahren angelegt und begleitet Laurence über zehn schwierige Jahre hinweg, während das Paar den Konventionen zum Trotz seine Liebe und sein Begehren immer wieder neu verhandelt.
Englischsprachige Kritiker hatten zu Laurence Anyways Folgendes zu sagen:
Chuck Bowen vom Slant Magazine ist begeistert, vergleicht Dolans Filme mit denen der französischen New Wave und will Einflüsse von Pedro Almodóvar, Paul Thomas Anderson und Rainer Werner Fassbinder entdeckt haben. Er lobt: “Dolan benutzt Laurences Transexualität als Metapher, ohne deren pratkische, soziale Implikationen herunterzuspielen. Ihr Coming out ist ein Versuch, eine Brücke zwischen ihrer Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer zu schlagen und Dolan versteht, dass diese Verbindung schwierig ist, auch ohne die transsexuelle Komponente.”
Auch Stephen Dalton vom Hollywood Reporter stellt den Almodóvar-Vergleich her und ist insgesamt angetan, auch wenn er in der unausgegorenen Story und der Unreife der Charaktere das junge Alter des Autoren und Regisseurs herausgefühlt haben will: “Es war noch nie einfach, Dolan so ernst zu nehmen, wie er sich selbst, aber das ist eben das Privileg von Jugend, Schönheit und kostbarem Talent. Davon abgesehen ist Laurence Anyways trotz seiner teils knirschenden Story absolut genießbar als Orgie der puren, sinnlichen Freude. Und natürlich haben alle fantastische Haare.”
Wie viele andere hat auch Rob Nelson bei Variety nur positives über den visuellen Stil sowie stimmig integrierte 80er- und 90er-Jahre Musik zu sagen und zeichnet das Melodram wohlwollend als “absolut unbescheiden” und “zeitweise erstaunlich” aus, selbst wenn der Film auch für ihn mehr ästhetisch als thematisch einen Erfolg darstellt. Er führt aus: “Zu allermindest mit Leidenschaft erfüllt, erweitert Laurence Anyways auf ambitionierte Weise Dolans Interesse an der kinematografischen Form, zieht die Laufzeit bis zum Äußersten, während er das Format beinahe auf eine quadratische Form reduziert, um die beinahe klaustrophobische Intimität der Charaktere herauszustellen.”
Deutschsprachige Kritiker schrieben unter anderem das Folgende:
Marguerite Seidel vom Film-Dienst ist ganz hin und weg, wenn sie Dolans Laurence Anyways als “frisch, ungezwungen und ungestüm” sowie “zeitlos-aktuellen Film” bezeichnet. Auch die schauspielerischen Leistungen des “minimalistischen Melvil Poupaud” und der “überschäumenden Suzanne Clément” bleiben hier nicht unerwähnt. Abschließend heißt es: “Wie immer in seinen Filmen scheut Dolan sich nicht, große Gefühle in knallige Regiegesten zu übersetzen. Und so gerät auch Laurence Anyways zu einer teils mit Verehrung, teils mit geschicktem ironischen Bruch vorgetragenen Jonglage mit den Bildsprachen von Meistern wie Wong Kar-wai oder Pedro Almodóvar und der pulsierenden Welt der Musikvideos. […] Das ist Kino, in das man sich verlieben kann.”
Haidi Marburger vom schweizer Cineman stimmt in den Chor der visuell begeisterten, aber inhaltlich nicht ganz überzeugten Kritikerinnen und Kritiker ein. Die “epische” Laufzeit beinhalte auch viele repitative und belanglose Momente von rein dekorativem Selbstzweck. Trotzdem schreibt sie: “Doch obgleich die Handlung an Stellen unstimmig und selbstschwärmerisch ausstaffiert sein mag, versteht sich Dolans dritter Spielfilm erneut als visuelles Kunstwerk von emotionaler Tiefe.”
Auf der Seite des “Deutschlandradios” gesteht Anke Leweke dem jungen Regisseur seinen Status als “Wunderkind der internationalen Filmautorenszene” ein und empfiehlt Laurence Anyways als Selbstfindungsfilm und knallbunten Genremix. Eingehend auf seine vorigen Filme, schreibt sie vergleichend: “Sei es der 16-jährige Hubert aus seinem autobiografischen Regiedebüt Ich habe meine Mutter getötet, der für seine Homosexualität kämpft, seien es die beiden Freunde Marie und Francis, die sich in Herzensbrecher in ein und denselben Mann verlieben – stets geht es um Menschen, die nicht die vorgegebene Wege der Liebe beschreiten, sondern sich ihre eigenen suchen.”
Das Kritiker-Fazit zu Laurence Anyways:
Xavier Dolans Film Laurence Anyways löst ähnliche Reaktionen wie seine vorigen Werke aus. Überwiegend positiv besprochen, sind einige eher von der filmisch-kompetenten und maßlos-kreativen Seite seiner Filmarbeit angetan, sprechen ihm aber noch immer eine gewisse Reife ab, die der oft selbstverliebt genannte (und zum ersten Mal nicht selbst in seinem Film schauspielende) Dolan mit seinen 24 Jahren missen lässt. Andere wiederum waren von der intimen und kompromisslosen Darstellung eines komplexen Themas angetan. Mit fast drei Stunden Laufzeit hätte der Film allerdings für viele kürzer ausfallen dürfen.