Wir schauen Fear the Walking Dead - Staffel 1, Folge 3

15.09.2015 - 09:20 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Traumhaftes Chaos
AMC
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Nach der Pause in der letzten Woche kehrt Fear The Walking Dead endlich zurück auf die Empfangsgeräte. In minutiösen Erörterungen der Apokalypse wird den Figuren langsam, aber sicher bewusst, in welcher Gefahr sie schweben.

Es ist eine der bekanntesten Regeln Hollywoods und des Drehbuchschreibens: Der Hund stirbt nicht. Und obwohl die neue Folge aus der Feder von Jack LoGiudice in einem regionalen Sinne kaum näher an Hollywood sein könnte, stirbt diese Woche ein Hund in Fear the Walking Dead. Dies ist aber nur eine von mehreren Erwartungshaltungen, die Fear nicht erfüllt. Trotzdem hat die Serie in ihren drei Folgen bereits eine sehr interessante Nische gefunden, die überzeugt, Genrefans jedoch verzweifeln lässt.

Woche um Woche liest man es in Foren, Kommentarsektionen und Tweets: Zu wenig Action, kein Zombiegore und wieso überhaupt sind diese Menschen so dumm und versuchen mit den Zombies zu interagieren. Es kann ihnen nicht schnell genug gehen, einen neuen Daryl oder eine neue Michonne zu finden, die postapokalyptische Machtfantasien umsetzen sollen. Und trotz eines vermehrten Aufkommens genretypischer Momente wehrt sich Fear The Walking Dead, seine eigene Mythologie zu betrügen und der Masse zu liefern, was sie ohnehin nach dem Ende dieser Staffel in der Originalserie bekommen wird.

Fear ist nämlich intelligenter als die große Serienschwester. Als Rick Grimes nach ein paar Wochen 28 Days Later-Style in der zombiefizierten Nachwelt erwacht, sind die Regeln bereits etabliert und die Fronten geklärt. Rick erleidet einen Schock, aber er muss sich schnell an diese neue Welt anpassen, um zu überleben. Der Überlebenskampf in dieser Welt ist klar definiert. Dahingegen lässt Fear seine Figuren noch im Unklaren. Der Zuschauer weiß natürlich, worauf dies hinausläuft (ähnlich wie einzelne Figuren, siehe Daniel).

Das spannende Element ergibt sich daher also nicht aus der Frage, ob die Welt untergeht, sondern daraus, wie die Figuren auf dieses minutiös erzählte Untergangsszenario reagieren und es psychisch verarbeiten. In der Originalserie bleibt den Figuren dafür kaum Zeit. Traumata können höchstens in Verschnaufpausen realisiert, aber sicherlich nicht bewältigt werden. Fear gibt sich und seinen Figuren jedoch die notwendige Zeit und zeigt dem Zuschauer durch einnehmende POV-Shots, wie die Welt tatsächlich untergehen könnte und was diese Erkenntnis mit den Figuren zunehmend macht.

Das spiegelt sich auch in den bisher besten Momenten dieses Serienuniversums wider. Das Großartige: Die Figuren tun fast nichts, sie beobachten nur. Nachdem ein Feuer Travis (Cliff Curtis) und Co. aus dem Friseurladen zwingt, verletzt sich Daniels Frau in der Meute am Fuß und muss zum Krankenhaus gebracht werden. Über den Sinn des Aufstands darf man sich sicherlich streiten, doch die Umsetzung von Regisseur Adam Davidson ist zweifellos stark. Im Vorbeilaufen fängt seine Kamera mit einem Schwenk zum Boden einen Zombie ein, der einen Polizisten angegriffen hat. Inmitten der Menge sind einzelne Zombies zu sehen, die vielen Close-ups erlauben dem Zuschauer keinen Überblick. Die Panik ist greifbar. Komponist Paul Haslinger unterstreicht den hochschnellenden Pulsschlag der Figuren mit seiner pochenden Musik. Am Krankenhaus angekommen, fährt Travis in einem langsamen Tempo vorbei, während Menschen aus dem Gebäude flüchten und Polizisten das Feuer auf einzelne Walker eröffnen.

Diese Sequenz ist fantastisch. Es geht keine große Gefahr von einer Horde aus. Leichtes Jogging bringt die Menschen in Sicherheit und es gibt noch eine sichere Distanz zu den ersten wandelnden Toten. Selbst Travis muss nicht das Gaspedal durchtreten, um zu entkommen. Er kann zunächst im Schritttempo das Auto rollen lassen, während sie alle gerade erkennen, dass es keine Hilfe mehr geben wird.

Und dennoch ist die Spannung unerträglich. Man kann den Blick nicht abwenden. Was gerade passiert, ist der Zusammenbruch des Systems. Weiter verbildlicht wird dies durch den anschließenden Blackout in der Großregion L.A.s. Wieder setzt Regisseur Davidson auf Close-ups, während die Lichter in der Spiegelung der Windschutzscheibe erlöschen. Im Gesicht von Cliff Curtis darf man ablesen, wie man womöglich selbst mit diesem imposanten Bild umgehen würde.

Der Stromausfall bedeutet jedoch nicht den Untergang. Noch nicht. Über den gesamten restlichen Verlauf der Folge springt der Strom immer wieder an und aus. Ein Flugzeug am Himmel kommt in Turbulenzen (oder verlor der Pilot nur durch einen Kampf an Bord kurz die Kontrolle?), kann sich aber wieder stabilisieren. Am Ende verabschieden sich die Clarks von ihrer Nachbarschaft, nur, um dann doch von der Nationalgarde gerettet zu werden. Folge 3 verdeutlicht noch besser als die beiden Episoden zuvor, wie die Zivilisation allmählich scheitert und dass die Nachwelt nicht von jetzt auf gleich auf die Figuren hereinbrach. Dies gibt ihnen Zeit zu hoffen, zu reagieren und sich auch gegenseitig zu helfen. „Gute Menschen sterben zuerst“, weiß Daniel zu berichten. Denn gute Menschen helfen sich gegenseitig und dies führt zu Verzögerungen. Es wird sich noch zeigen müssen, ob Madison (Kim Dickens) ihre Entscheidungen am Ende dieser Folge nicht bereuen wird.

Der stufenweise Verfall ist auch auf einer psychologischen Ebene spannend. Travis scheint zum immer größeren Problem der Gruppe zu werden. Er scheint nicht verarbeiten zu können, dass die Walker nicht krank, sondern tatsächlich tot sind. Bei vielen Zuschauern kann das für Unmut sorgen, hat er doch inzwischen genug Beweise mit eigenen Augen gesehen. Doch Fear fragt, wie Menschen in einer Welt ohne das Konzept des Zombies (und des Zombiefilms) tatsächlich auf die Konfrontation mit den lebenden Toten reagieren würden. In The Walking Dead kann man die Tatsachen nicht mehr leugnen, doch wenn der eigene Nachbar als Zombie am Gartenzaun oder im Wohnzimmer steht, sieht die Situation anders aus. Sowieso ist die Gefahr in The Walking Dead ohnehin so offenkundig, dass man gar nicht erst nachdenken kann oder darf. An diese Situation scheint sich Madison besser anpassen zu können als Travis. Sie bereitet sich für den Fall der Fälle auch vor und versichert sich schon bei Travis' Ex-Frau, dass sie aus ihrem eventuellen Elend befreit wird.

Daniels Familie ist hingegen noch wenig interessant und wirkt schon jetzt wie Zombiefutter. Er scheint jedoch die nötige Vorahnung und Härte zu besitzen, um sich in der Welt durchsetzen zu können. Er zögert nicht, den Walker im Wohnzimmer zu erschießen (ein großartiger Splatter-Effekt von Greg Nicoteros Team) und er bezeichnet das Zögern der Clarks als „schwach“. Wird es ihm dieses vorschnelle Urteil womöglich heimzahlen, wenn er selbst seine Frau erlösen muss?

Ein paar Sachen stören jedoch bei all den interessanten Ansätzen schon. Ein Monopoly-Spiel ist trotz der noch latenten Gefahrensituation schwer zu glauben. Weiterhin wirkt das Labyrinth im anliegenden Garten etwas zu speziell. Es ergibt jedoch ein ansprechendes Setpiece. Ebenso ist Nicks (Frank Dillane) Sucht weiterhin nicht wirklich störend, doch sie wird trotz einer guten Darstellung kontinuierlich instrumentalisiert und womöglich am Ende der Staffel für den kalkulierbaren Tod eines Familienmitglieds sorgen. Denn die Kavallerie wird, wie wir wissen, nicht für den Erhalt der Zivilisation sorgen können und am Ende wird die Welt doch untergehen.

Bis dahin können die Clarks nur das tun, was wir auch machen. Zuschauen. Wie die Nachbarn über sich herfallen. Wie der Hund gefressen wird. Aber auch: Wie die Lichter ausgehen. Wie um Kontrolle gerungen wird. Wie das Kartenhaus in sich zusammenfällt. Den Müll vor die Tür zu bringen wird dabei noch zum relaxenden Ausgleich des Tages; in der Hoffnung, so etwas wie Normalität zu finden. Fear findet unglaublich gute Bilder für seine Apokalypse und das völlig abseits von Gore und Zombies. Man muss nur hinsehen.

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