Auf der Suche nach der verlorenen Kino-Erinnerung

26.10.2017 - 11:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Die Autorin bei der Artbeit
20th Century Fox
Die Autorin bei der Artbeit
2
12
Stell dir vor, du schreibst anlässlich der Aktion Deutschlands Lieblingskino einen Artikel über deinen liebsten Kinomoment, aber dir fällt keiner ein. Das Ergebnis liest sich so.

Im Rahmen der Aktion Deutschlands Lieblingskino 2017 veranstalten wir einen Schreibwettbewerb, bei dem wir euren liebsten Kinomoment suchen. Wie ihr dabei mitmachen könnt und was es zu gewinnen gibt, lest ihr hier.

Dabei werden nicht nur die Community, sondern auch Teile des moviepilot-Teams ihren liebsten Kinomoment beschreiben.

Tag um Tag wälzte sich vorbei wie Dalís zerfließende Uhren, doch die Beständigkeit meiner cinephilen Erinnerung wollte einfach keinen liebsten Kinomoment zutage fördern. Nun liegt eine Woche hinter mir ohne Ergebnis. So schwer kann es doch nicht sein, einen Lieblings-Kinomoment aufzutreiben, wenn du beruflich wie privat seit Jahren wenig anderes machst, als Filme zu schauen!

Der präfrontale Cortex, das "Kontrollzentrum" im Stirnhirn, muss sich ruhig stellen, damit das Gedächtnissystem angezapft werden kann und Ideen sprießen können. Das habe ich mal im Internet gelesen  und mit "mal" meine ich "vor fünf Minuten". Mein Kontrollzentrum befindet sich seit einer Woche mutmaßlich im Ausnahmezustand, jeder Versuch meine Erinnerungen bezüglich dunkler Kinosäle, obligatorisch leer ausgehender Eisverkäufer und penetranter Sessellehnenmasseure abzurufen, endet in einer drückenden Leere. So schwer und träge erscheint die Leere, dass - so meine optimistische These - sie nur auf eine mentale Verstopfung zurückgeführt werden kann. Ähnlich verhält es sich jedes Mal, wenn andere stolz auf ihren ersten Kinobesuch zurückblicken. Keine Ahnung, weil zu viele (hoffentlich?).

Nun wurde die Deadline für diesen Artikel überschritten, der Artikel mühselig mit neurowissenschaftlichem Trivia gestreckt. Ein letzter Sprung ins Dunkle steht an. Der präfrontale Cortex fährt runter, man stelle sich - der jüngste Kaffee liegt dreieinhalb Stunden zurück, die Energie der Salamistulle hat sich verflüchtigt - ein ausgewrungenes Handtuch auf einer Wäscheleine bei Windstille als geeignete Verbildlichung vor. Cine-Schnipsel treiben an die Oberfläche. Eine Sneak-Peek zu einem ungeborenen Horrorfilm von David S. Goyer, bei der ich vermutlich als einzige im Saal Spaß hatte (ausgehend von den Lachern). Oder erst vor ein paar Monaten eine Vorstellung von La La Land in einem anoymen, aber ausverkauften Multiplex-Saal, bei der ich zusehen konnte, wie ein Publikum einem Film mit Leib und Seele verfällt, was in diesem Fall eine mitreißendere Liebesgeschichte war als jene auf der Leinwand. Keiner der Zuschauer hat einen klugscheißernden Monolog über John Coltrane gehalten. Das half auch.

Schnitt.

Neulich bei einem Filmfestival. Eine knirschende 35-mm-Kopie von The Mission wird gezeigt. Mein absoluter Lieblingsregisseur ist da, in einem schnittigen silbergrauen Anzug, sehr höflich und sichtlich gerührt ob des Jubels aus dem Publikum. Er beantwortet nach der durch Tonprobleme eröffneten Vorstellung Fragen, alles auf Kantonesisch, übersetzt ins Spanische. Ich verstehe kein einziges Wort und es ist trotzdem mein Höhepunkt des Festivals (Jahres). Oder irgendwann im Jahre 2003, ein Kinosaal im wunderschön desolaten Gera, das Finale von X-Men 2. Ihr erinnert euch? Die Kamera gleitet übers Wasser, [dramatische Musik] würde im Untertitel stehen. Erste Hinweise auf Jean Greys Auferstehung als Dark Phoenix setzen sich auf der Wasseroberfläche zusammen. In diesem Kinosaal in Ostthüringen allerdings ist die Musik völlig verzerrt, die Projektion bricht wie ein Läufer zwei Meter vor der Zielgeraden ein. Nur deswegen erinnere ich mich an die Vorstellung eines Films, der mich begeisterte und das noch immer tut. Eine andere Kino-Erinnerung, die sich eingebrannt hat: Der Herr der Ringe: Die Gefährten, damals mit Lasershow (Gera eben), nur wurde der dafür nötige Rauch nicht abgezogen, was Galadriels Monolog über dem Nebelgebirge aus Versehen in 4D-Kino verwandelte.

Die Extreme bleiben naturgemäß in Erinnerung, auch die positiven. Nächtliche bzw. frühmorgendliche Vorstellungen von 70er(?)-Jahre-Lehrfilmen durch Nürnberger Cinephile, bevor der Sprint zum Bahnhof ansteht, um den Zug in die Heimat zu erreichen. Oder Autofahrten durchs Schneetreiben, um rechtzeitig bei einem Wiesbadener Festival für eine Vorstellung von Sparrow auf der Matte zu sehen (diesmal ohne Regisseur, aber nicht minder lohnend). Während ich aber den nächsten Kaffee aufsetze, seien hier die zahllosen Kino-Vorstellungen gewürdigt, ob bei Festivals, im Multiplex oder dem Arthouse-Kino mit Springbrunnen im Saal, die nicht in Erinnerung bleiben. Bzw. wo nicht mehr in Erinnerung bleibt als das Licht auf der Leinwand. Das Ritual mit seinen Wiederholungen der immergleichen Abläufe - Ticket kaufen, (Eismann ignorieren) über Werbung beömmeln, ins Dunkel abtauchen, blitzschnell die Füße zurückziehen, sobald Abspann und Publikum laufen - beruhigt in seiner Ähnlichkeit, egal in welchem Kino man es nun vollzieht. Es ist eintönig, die Mechanik der einzelnen Vorstellungen tritt idealerweise hinter den jeweiligen Film zurück, sie verschwimmen. Eine dunkle Masse, in die nur die blödsinnige Besatzung der Prometheus hineintapsen würde. Sie hat ihren Zweck erfüllt.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News