Bauer würgt Frau - Wenns im Stadl wieder röchelt

19.11.2009 - 09:30 Uhr
Tannöd
Pathé
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In Tannöd wird eine Familie auf einem abgelegenen Bauernhof brutal ermordet. Im Dorf will niemand etwas von den Vorgängen bemerkt haben. Doch kommt der Film bei den Kritikern an seine preisgekrönte Krimi-Vorlage heran?

Andrea Maria Schenkels Debütroman Tannöd war 2006 auf Anhieb ein Erfolg. Die fragmentarische Rekonstruktion eines Familienmordes, die noch dazu auf einem realen Fall basierte, erfreute Leser und Kritiker. 2007 folgte, neben anderen Auszeichnungen, der Deutsche Krimi-Preis.

Heute kommt die Verfilmung des Bestsellers in die deutschen Kinos. Da sich der aus ständig wechselnden Perspektiven bestehende Krimi so nicht verfilmen ließ, wurde eine neue Figur eingeführt: Kathrin (Julia Jentsch) bündelt für den Zuschauer die verschiedenen Handlungsfäden und ist sogar in die Handlung involviert. Die am 13. Mai verstorbene Schauspielerin Monica Bleibtreu ist hier in ihrer letzten Rolle zu sehen.

Die Kritiker sind geteilter Meinung und schwanken zwischen Zustimmung und Ablehnung. Das Lob konzentriert sich hauptsächlich auf die Schauspieler (allen voran Monica Bleibtreu) und die visuelle Kraft des Filmes. Kritisiert wird hingegen die verächtliche Haltung gegenüber ländlichen Strukturen, die Kompromisse bei der Roman-Adaption und das im Gegensatz zur Vorlage sehr geschwätzige Drehbuch.

Kirsten Liese von BR-Online hat bis auf kleinere Kritikpunkte wie abgenutzte Stimmungsbilder wenig zu bemängeln: “Tannöd, das ist ein allemal sehenswerter Film, der mit seinem archaisch anmutenden Mikrokosmos ein wenig an Joseph Vilsmaiers Schlafes Bruder erinnert und wie Michael Hanekes Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte hellsichtig zeigt, wie Wegschauen, Lügen und Schweigen den Nährboden für ein Verbrechen bereiten. ‘Der Dämon sitzt in jedem und jeder kann seinen Dämon jederzeit herauslassen’, heißt es am Ende des Romans. Diese Einsicht vermittelt auch der Film, und es ist diese Erkenntnis, die einen erschauern lässt.”

Alexandra Wach vom Film-Dienst betont vor allem das Schauspiel Monica Bleibtreus: “Was sich im Buch als erzählerisches Mosaik zur so komplexen wie spannenden Struktur steigerte, verliert sich im Film mitunter im allzu wohl dosierten Stimmenrauschen. Nur Monica Bleibtreu setzt einen Kontrapunkt: Als verhasste Kassandra stiftet sie in der Dorfkneipe Unruhe, spricht unangenehme Wahrheiten aus und setzt sich in ihrer letzten Kinorolle mit einer atemberaubenden Wut im Bauch selbst ein Denkmal. Und dann ist auf einmal auch der Sog wieder da. Das liegt nicht zuletzt an dem hervorragenden Set-Design, das die Räume mit religiösen Utensilien mystisch auflädt und dabei das Kunststück schafft, die Gefahr des Ausstattungsstücks mit der nötigen Portion Naturalismus zu umschiffen. Ohnehin wandelt sich der Film gegen Ende von der unheimlichen Mär eines vom Bösen heimgesuchten archaischen Dorfs zu einem soliden Stück Gesellschaftskritik, einer universellen Parabel über bigotte Strukturen, die das Wegschauen befördern und erst das Verbrechen ermöglichen.”

Georg Seeßlen von epd Film würdigt die großen Schwierigkeiten, vor welche die Regisseurin durch die sperrige Romanvorlage gestellt war. Mit vielerlei Tricks und Kniffen wollte Bettina Oberli eine adäquate Umsetzung zustande bringen. “Fatalerweise aber war diese Aufgabe von Anfang an unlösbar. So bleiben von dem, was hätte ein revivre von Heimat als Horror werden sollen, nur die Spuren einander durchkreuzender Genres und Konzepte. Das Bild trügt: Dieses Tannöd brennt nicht.”

Für diejenigen, die schon dem Buch nichts abgewinnen können, liefert Werner Busch von Schnitt die Polemik zum Film: Tannöd sei “noch etwas platter als das Buch, bis zur völligen Unglaubwürdigkeit.” Der Film gebe sogar die einzige Stärke des Romans, seine Verschlossenheit, auf. Die daraus entstehende Haltung des Filmes sei “die nach Filmförderung heischende Kompromißmaximierung, die Suche nach der Ausgewogenheit, der Allgemeinverträglichkeit – dem Mittelmaß.” Lob erhält lediglich der Schnitt von Michael Schaerer, der die eigentlich als Zwischenschnitte geplanten Waldaufnahmen “länger stehen läßt als dies handwerklich nötig wäre. […] Statische Einstellungen eines Tannenwaldes im Halbdunkel, mal regungslos, dann wieder mit sturmneigenden Spitzen, dazu auf der Tonspur das Rauschen und Knacken des unbelebten Holzes. Es ist beinahe erschreckend, wie viel dieser blasse Film durch diese einfachen und deshalb so ansprechenden Bilder gewinnt.” Dennoch empfiehlt er lieber einen einsamen Waldspaziergang als den Kinobesuch.

Hier noch einmal zur Erinnerung der Trailer zu Tannöd:

Wer sich von Filmkritiker Werner Busch nicht abschrecken lassen will, der kann Tannöd ab heute in diesen Kinos in seiner Nähe sehen.

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