Emmerich enthüllt Shakespeare als Fakespeare

30.04.2010 - 15:53 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Anonymous - Wer war Shakespeare?
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Anonymous - Wer war Shakespeare?
Der Master of Desaster gibt sich ganz bescheiden und dreht ein politisches Kostümdrama. Anonymous enthüllt die Wahrheit über Shakespeare

Normalerweise füllen 30 Mio. kaum die Portokasse eines typischen Films von Roland Emmerich. Wo Monster toben, Außerirdische angreifen und Welten koppheister gehen, da erreichen die Budgets schnell mal die Höhe des Bruttosozialprodukt eines Kleinstaates. Doch diesmal ist alles anders, wie ein Regiment internationaler Journalisten gestern bei einem Drehbesuch in Babelsberg erfahren durfte.

Denn diesmal stehen eher explosive politische Verstrickungen im viktorianischen Zeitalter auf dem Plan. Ränkespiele und Vertuschungen, Geheimnisse und Intrigen sind die Elemente, die Emmerich zu einem historischen Thriller verbinden will. Als Grundlage dafür dient ihm eine Jahrhunderte alte Diskussion mit der Kernfrage: Ist William Shakespeare wirklich der Autor jener epochalen Werke, die ihm zugeschrieben wurden?

Die Literaturwissenschaft würde diese Frage wohl bejahen, was viele andere aber nicht davon abhält, gewagte Theorien zu entwickeln, die durchaus ihren Reiz haben. Über die Jahre ließen sich kühne Denker wie Freud, Malcolm X oder Orson Welles für die eine oder andere Erklärung begeistern, denen stets eines gemein war: Shakespeare war alles, aber kein begnadeter Autor. Er war bestenfalls ein Strohmann, für einen oder mehrere Autoren, die aus verschiedensten Gründen ihre wahren Namen geheim halten wollten.

Die Argumente dafür sind vielfältig, meist wird angeführt die angeblich zu geringe Schulbildung des echten Shakespeare decke sich nicht mit dem begnadeten Multitalent, das die vielfältigen, kenntnisreichen und von umfassendem Fachwissen und Vokabular geprägten Werke “Shakespeares” verfasst habe. Kurz: Ein halbgebildeter aus einer Familie von Analphabeten könne nicht die wichtigsten Theaterstücke und Gedichte der Weltgeschichte verfasst haben.

Wer der wirkliche Urheber ist, darüber wird heiß diskutiert. Francis Bacon, Christopher Marlowe oder gar ein ganzer Pool von Autoren gelten als Kandidaten, für die sich die unterschiedlichen Theorie-Verfechter begeistern. Einig sind sie sich in ihrer Anti-Stratford-Haltung, also ihrer Position gegen die Anhänger der allgemein anerkannten These, Shakespeare sei eben jener William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon gewesen.

Eine der populären Kandidten für die wahre Urheberschaft der Werke, ist in den letzten Jahren Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford. Ein gebildeter Adeliger, dessen Leben viele Parallelen zu den Inhalten der “Shakespeare”-Stücke aufweist. In haarkleiner Textanalyse belegen die sog. Oxfordianer, woher die genaue Ortskenntnis im “Kaufmann von Venedig” stammt oder wie die Sonette die Lebenssituation de Veres wiederspiegeln.

Auch Anonymus von Roland Emmerich schlägt sich im weitesten Sinne auf die Seite der Oxfordianer und spielt mit den politischen Implikationen dieser Theorie. Als wir den Drehort erreichen, einen aufwendigen und durchaus beeindruckenden Nachbau des Rose-Theater (dem Vorgänger des legendären Globe), wird gerade eine Szene gedreht, in welcher der Earl of Oxford (Rhys Ifans frustriert mitansieht, wie Shakespeare (Rafe Spall am Ende einer Henry V.-Aufführung ungelenk den Applaus einstreicht, der eigentlich ihm gebührt. Über 200 Komparsen jubeln – bei jedem Take aufs Neue.

Später bekommen wir selbst die Möglichkeit, das Theater näher zu inspizieren, denn die Pressekonferenz findet genau in jenem Rose-Theater statt, das für spätere Szenen zum Globe umgebaut werden soll. Hier, genau wie in dem nachgebauten Straßenzug, der zum Theater führt, fühlt man sich tatsächlich für Momente in Shakespeares Zeiten zurückversetzt. Eine Band spielt Schalmei – und bald wissen wir alle, das diese historische Tröte neben Akkordeon und Blockflöte zu den abscheulichsten Instrumenten der Menschheitsgeschichte gehört. “Kennt ihr auch noch ein anderes Stück”, ruft ein entnervter Kollege, als wir nach 20 Minuten immer noch vollgequäkt werden, derweil die Stars draußen den obligatorischen Photocall über sich ergehen lassen müssen.

Die sind dann aber angenehm gutgelaunt, als sie schließlich das Podium der Konferenz betreten. Angekündigt von einem Fanfarenspieler und einem Schauspieler, der kurz die berühmte Rede zum St. Crispins Day aus Henry V. zum Besten gegeben hat. Das hat schon Stil und der eigentümliche Gerüch nach Holz, Erde und Stroh gibt ein gutes Gefühl, wie es wohl damals war in einem Theater zu sitzen.

Emmerich erzählt, dass er das Projekt schon seit Jahren geplant habe, aber erst jetzt finanziert bekam. Das es nicht nur finanzielle Gründe gibt in Deutschland zu drehen, sondern er sich freut in Babelsberg zu sein und wie diebisch er sich vor allem freut, seine Traumbesetzung durchgesetzt zu haben. Kein Hollywood-Starpärchen, sondern durch die Bank großartige britische Akteure. Vanessa Redgrave teilt sich mit ihrer Tochter Joely Richardson die Rolle der Elisabeth, die sie in jungen Jahren wie im reifen Alter spielen. David Thewlis – den meisten wohl als Lupin in den Harry-Potter-Filmen bekannt – gibt den zwielichtigen Berater der Königin, während der noch eher unbekannte Rafe Spall den etwas trottelig-überforderten Shakespeare gibt.

Die Hauptrolle des Earl of Oxford hat Rhys Ifans ergattert, der zuletzt in Radio Rock Revolution oder Greenberg sein Talent für schrägere Charaktere unter Beweis stellte und sicher auch den wahren “Shakespeare” mit Leben füllen wird. Gestern auf der Pressekonferenz, sorgte er auf jeden Fall schonmal für den größten Lacher, als er augenzwinkernd meinte, dass er so in seiner Rolle drin, sei das ihm die Fragen eigentlich nur unwürdige Belästigung seien.

Ob die Theorie des Films jetzt die richtige ist, ob der Earl tatsächlich “Shakespeare” war, ist letztlich sicher nicht entscheidend. Selbst die Darsteller sind sich nicht sicher, David Thewlis gab zu, dass er, je nachdem welches Buch er gerade über das Thema lese, mal die eine, mal die andere Theorie sehr überzeugend fände. Wie der Jack the Ripper-Mythos wird es wahrscheinlich auf die Autoren-Frage nie eine letztgültige Lösung geben. Was es geben könnte, ist ein interessanter Denkanstoß und dank Emmerichs Berühmtheit die Chance, dass sich ein paar mehr Menschen für die Werke Shakespeares und dessen Zeit zu interessieren beginnen.

Ob uns Roland der Aufgabe gewachsen ist? Bei den Kollegen war natürlich Skepsis zu spüren, ob der Weltuntergangsexperte einem solchen Stoff angemessen umsetzen kann. Emmerich selbst betonte zurecht, er sei in erster Linie Regisseur und in Anbetracht der Energie, die er in das Projekt steckt – wo er doch in Ruhe das nächste Blockbuster-Spektakel drehen könnte – wäre es ihm zu wünschen, dass sich die Mühe auszahlt und Anonymus tatsächlich ein Erfolg für ihn und ein spannendes Kinoerlebnis für die Zuschauer wird.

Sein oder nicht sein? Ich sage mal: Sein.

Anonymus wird 2011 im Verleih von Sony Pictures in unseren Kinos anlaufen.

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