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Fürchten leicht gemacht mit Bette Davis

01.02.2015 - 11:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bild zu Fürchten leicht gemacht mit Bette Davis
20th Century Fox, Grimalkin
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Über Filme gibt es viel zu erzählen, und bei jedem Thema haben unterschiedliche Filmfans Unterschiedliches zu sagen. Um all diesen Denkansätzen, Meinungen, Gefühlen und Anekdoten gerecht zu werden, gibt es jetzt das MP-Projekt "blog me if you can"!

Träume, Halluzinationen und Wahnvorstellungen hatten für mich immer schon etwas Schauderhaftes. Alles, was unwirklich und verdreht wirkt, löst in mir ein nervös machendes, markerschütterndes Gefühl aus. Das war schon immer so, und Angst im Dunkeln (oder wie ich gern sage, Nachtparanoia) macht das nicht unbedingt besser. Dieser Artikel befasst sich nun damit, wie ich mir an der Seite von Bette Davis die Vorweihnachtszeit zum Kabinett des Schreckens machte.

Als ich mir im Sommer letzten Jahres mit Was geschah wirklich mit Baby Jane? einen der besten und intensivsten Psychothriller der 60er Jahre ansah, war mir auch klar, dass die andere große Zusammenarbeit von Regisseur Robert Aldrich und Hauptdarstellerin Bette Davis bald folgen würde, die ja oft auch als inoffizielle Fortsetzung angesehen wird: Wiegenlied für eine Leiche. Was in der Adventszeit auch geschehen ist. Und es ist ein Film, der ausnahmsweise mal der am Cover abgedruckten Kritik gerecht wird. Denn es wurde schlichtweg nur ein Wort auf die Rückseite gepackt: "Gruselig".

Dieser Artikel wird zwar keine Spoiler enthalten, aber für das maximale Erlebnis sollte man vielleicht gewarnt sein: je weniger man weiß, desto unheimlicher wirkt das Ganze.

Aber eigentlich macht der Film doch auch kein Geheimnis daraus, was passiert. War die Baby Jane ein rein psychischer Psychoterror, spricht das Wiegenlied doch eine ganz klare Bildsprache, wo wir doch in hart kontrastierten Schwarzweißbildern in vollster Aufnahme in überraschend blutiger Weise eine Hand mit dem Hackebeil abgetrennt bekommen. Ein Einstieg, der den Ton für den Film setzen soll. Ein Film, der uns nie eine Ruhepause gönnt, da binnen von Millisekunden die Stimmung von einem alten Drama in eine Parade aus grotesken, alptraumhaften Bildern verwandelt. So wird ein normales Gespräch zwischen zwei Protagonisten schonmal von einem Lichtstrahl gebrochen, der ganz ruhig und allmählich eine im Schatten schlummernde, abgehackte Gliedmaße entblößt. Das Wiegenlied funktioniert durch eine kriechende Inszenierung, die einen in Sicherheit zu wiegen versucht. Doch dann merkt man plötzlich, dass irgendetwas nicht stimmt, bis dann der Schock letztlich eintrifft. Es hilft hierbei nichts, dass Davis, die als einzige Identifikationsfigur dient, psychisch labil ist und der Film großteils aus ihrer Sicht erzählt. Somit sieht sich dieser Streifen... wie eine lange Alptraumsequenz, die von vorne bis hinten verdreht und falsch angeordnet scheint... wie eine Verarbeitung schrecklicher Eindrücke. Diese Aura des falsch Angeordneten kannte ich jedoch nur von Dario Argento's Filmen Suspiria und Phenomena, zwei Werke, bei denen ich blanke Angst verspürte (und nun versuche, sie zu verdrängen).

Die wahre Verstandesapokalypse bereitet mir jedoch eine Szene, als Davis, die zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon instabil und mental gemartert wirkt, Medizin einnimmt. Ihr Verstand beginnt, verrückt zu spielen und sie erträumt sich eine bizarr verzerrte Version jener Vorgänge, die in der Eröffnungsszene zu sehen waren. Das war auch der Zeitpunkt, als für mich das angenehme Unbehagen aufhörte und mir nur mehr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Dadurch, was man in dieser Geschichte zuvor schon an surrealen und verqueren Bildeindrücken vernommen hat, geht man schon davon aus, dass in einem besonders surrealen Szenario erst recht etwas geschehen wird... das schlichtweg 'creepy' ist. Und ich sollte rechtbehalten. Eine Szene hat sich mir besonders eingebrannt, als Davis' Figur Charlotte vor ihrem Angebeteten (dem Mordopfer) einen Knicks macht, und dann aufblickt. Zunächst blickt sie in einen blutigen Armstumpf. Dann schwenkt die Kamera in einer perversen Stille seelenruhig nach oben auf den nicht vorhandenen Kopf, von dessen ehemaliger Existenz nur mehr ein paar Fleischfetzen zeugen.

Wieso finde ich diese (Tag-)Traumsequenz so dermaßen furchterregend? Ich hane schon wesentlich Schlimmeres gesehen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Damit sind wir auch schon am springenden Punkt dieses Artikels: wieso habe ich Angst vor Alpträumen, und Surrealismus? Ich merke es auch in an und für sich harmlosen Filmen: Figuren schlafen ein, oder beginnen, zu halluzinieren, und mein Herz pocht lauter. Es ist vermutlich, da ich genau weiß, dass alles passieren. Träume sind eine Verarbeitung einer Vielzahl an Impressionen, und in Filmen vor Allem in der Form des Angsttraums vertreten. Selbst in einer gut strukturierten und leicht durchschaubaren Werken sind sie an keine Regeln und Gesetze der Physik gebunden. Alles kann passieren. Es muss keinen Sinn ergeben, es muss keine Handlung haben. Eine Abfolge von verzeichneten Bildern, Tönen, Gegebenheiten. Ein Alptraum ist ein Mosaik traumatisierender Ängste, die im Unterbewusstsein schlummert. Ein Film, der es schafft, dass der Zuschauer dabei dasselbe empfindet, wie der Träumende, der ist schlichtweg angsteinflößend. Alptraumsequenzen nutzen Urängste: Orientierungslosigkeit - Raum und Zeit verschwimmen. Bekannte Orte und Gegenstände wirken verrutscht. Meine eigenen (selten stattfindenden und noch seltener guten) Träume spielen an Plätzen, die ich gut kenne - doch es sind irgendwelche Details suspekt. Trennwände fehlen, Zäune erscheinen, der Boden ist mit Wasser bedeckt, die Proportionen und Winkel stimmen nicht. Diese Details machen den eigentlich vertrauten und Geborgenheit vermittelnden Schauplatz zu einer Unbehagen hervorrufenden und bedrohlichen Imitation. Dann sieht man sich noch einmal um, und ist woanders. Personen tauchen auf, die nicht hierhin gehören.

Die Traumszene, eher Wahnvorstellung, in "Wiegenlied für eine Leiche" lässt mich durch diese Sprünge und Unstimmigkeiten genau dieselbe Phobie durchleben. Dabei wirkt der Film von Haus aus schon so verdreht. Er hält sich nicht daran, wie Szenen auszusehen haben. Auch jetzt habe ich noch eisige Gänsehaut. Die gesamte Sequenz liegt unter dem Schatten, dass jederzeit etwas aufblitzt. Ein Horroreindruck. Ein verzogenes, verrücktes Bild. Ohne Vorwarnung. Es gibt mir ein Gefühl von Schrecken und Terror. Wie für unsere Hauptdarstellerin Bette Davis, die zunehmend wahnsinniger wird - und unseren einzigen Halt darstellt.

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Alle Texte des Projektes zum Thema "Traumdarstellungen":

Grimalkin: https://www.moviepilot.de/news/paprika-der-psychotherapeutische-traum-143123

chita91: https://www.moviepilot.de/news/surreale-visionen-in-the-tree-of-life-142857

kobbi88: https://www.moviepilot.de/news/traume-und-menschenexperimente-142813

alex023: https://www.moviepilot.de/news/eine-diffuse-auseinandersetzung-mit-fliegenden-fischen-oder-der-unverhoffte-glaube-an-den-wert-an-sich-143182

Martin Oberndorf: https://www.moviepilot.de/news/furchten-leicht-gemacht-mit-bette-davis-143196

Friedsas: https://www.moviepilot.de/news/alles-nur-getraumt-143316

Mr.English: https://www.moviepilot.de/news/the-artist-verneigung-im-traum-142539

Donny Brandt: https://www.moviepilot.de/news/it-was-all-a-dream-143311

mysteryboy69: https://www.moviepilot.de/news/flight-pub-142670

Absurda.: https://www.moviepilot.de/news/traum-versus-realitat-in-david-lynchs-mulholland-drive-143329



Nächstes Thema: Puppentheater

Datum: 1. März 2015



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