Lars von Triers neuer Film: Wer das ernst nimmt, ist selber schuld

15.05.2018 - 17:20 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The House that Jack Built
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The House that Jack Built
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Lars von Trier steigt mit uns in seinem neuen Film The House That Jack Built in die Hölle eines Serienkillers herab, der seine Taten für Kunst hält. Beim Festival Cannes hielten das nicht alle Zuschauer aus.

Wer sich an dem neuen Film von Lars von Trier wund reiben will, der wird von ihm alle paar Minuten mit Kusshand ans filmische Waschbrett eingeladen. Hält Serienkiller Jack (Matt Dillon) einen Monolog darüber, wie doch Männer automatisch die Schuldigen seien und Frauen am liebsten die Opfer spielen würden, dann entwirft unser aller liebster Skandaldäne quasi schon die Pitches für die empörten Artikel, die über seine Höllenreise geschrieben werden können. Dass Jack dies einer Frau mansplaint, die er und niemand anderes als er zu einem Opfer machen wird, sei mal dahingestellt. Lars von Trier, das zeigt The House That Jack Built wieder mal, labt sich an der Konstruktion solcher Fallen und kommentiert sie mit der Figur von Bruno Ganz sogar, als läge er neben dem Schweizer selbst auf der Couch. Dabei hat der Beitrag, der außer Konkurrenz beim Festival Cannes Weltpremiere feierte, dieses Stochern in aktuellen Befindlichkeiten nicht einmal nötig. Ein überaus persönlicher Film des Regisseurs, thematisiert Lars von Trier in The House That Jack Built sich und sein künstlerisches Schaffen offensiv - und auch ein bisschen offensive.

The House That Jack Built zeigt den Serienkiller als Künstler - mal wieder

Die ruhige Stimme von Bruno Ganz, Hitler und Damiel, geleitet uns als "Verge" durch die Höllenkreise des Infernos, das sich künstlerisches Schaffen nennt. Einem Psychoanalytiker gleich spricht er im Off mit Jack, der mindestens 61 Morde begangen hat. Fünf Fälle will dieser Dante seinem persönlichen Vergil vorstellen. Für Jack sind die Taten ein künstlerischer Akt. An und für sich ist das keine originelle Idee für einen Serienkillerfilm. Die Dynamik zwischen Ermittler und Täter erinnerte in dem Genre schon in Manhunter-Tagen an Kritiker und Künstler, während Filme wie I Come with the Rain die Verwendung der Körper als Material für Skulpturen aufgreifen. In "Jack" spielt die Polizei nur dann eine Rolle, wenn sie versagt, was sie in schöner Regelmäßigkeit tut. Er kommt im Prinzip mit allem davon, selbst wenn er eine Leiche an seinen roten Van bindet, mit dieser über die Landstraße davon braust und ihr aufgebrochener Schädel eine Blutspur hinterlässt, die bis zu Jacks Kühlraum führt.
The House that Jack Built

Aufgebrochene Schädel gibt es einige zu sehen, der erste gehört Uma Thurman, und wer beim Fenstersturz des Kindes aus Antichrist an seine Grenzen kam, sollte The House That Jack Built lieber auslassen. Womöglich sind ein paar Zuschauer bei der Weltpremiere deswegen aus dem Kinosaal geflohen. Bei der Pressevorführung am nächsten Morgen hielten sich die Fluchtversuche in Grenzen, Buhrufe waren ebenfalls nicht zu hören, dafür reichlich Jubel. Geschmacksgrenzen stehen auch diesmal auf der Zielscheibe des Regisseurs, allerdings strotzt The House That Jack Built von Anfang an mit schwarzem Humor und der damit einhergehenden Distanziertheit, die allzu großer Empathie für irgendeine der Figuren im Wege steht. In Antichrist und Melancholia hatte von Trier die bloßliegenden Seelen seiner Figuren und seine eigenen formalistischen Genüsse besser zu verbinden gewusst (Ein sprechender Fuchs und/oder Charlotte Gainsbourg fehlen leider in "Jack"). Wir sind in den meisten Szenen des Thrillers mindestens drei Meter vom Bilderrahmen entfernt und manchmal steht noch eine blitzlichternde Touri-Gruppe vor uns. Obwohl der Film inszenatorisch die Nähe sucht, blicken wir auf Jacks Opfer wie er es in einer schauderhaften Sequenz durchs Zielfernrohr seines Gewehrs tut.

Killer Jack ist ein Lars von Trier-Fan

Eine Ausnahme bildet Riley Keoughs Figur, deren "Werkwerdung" für die kontroversesten Diskussionen sorgen dürfte. Sie wird von Jack als blondes Dummchen heruntergemacht mit Beleidigungen, die den Kinosaal sonderbar auflachen ließen. Da denkt sie noch, Jack wäre wegen eines Dates in ihrer Wohnung. Mit einem Stift zeichnet er Linien auf ihre Brust, dem Zuschauer schwant, wie ihr Körper als Rohstoff verwendet wird. Lars von Trier wäre nicht Lars von Trier, würde Jack das Messer an diesem Abend ruhen lassen. Das ist widerlich und schwer anzuschauen, aber: Jaqueline, so ihr Name, hat ihm etwas voraus. Sie flirtet, sie tröstet, sie schreit, sie fleht, während Jack daheim am Spiegel üben muss, wie diese Sache mit dem Lächeln funktioniert.

Jack ist Erzähler und Bildarrangeur des Films, so zieht er als Vergleich für seine Taten keinen Geringeren als Pianist Glenn Gould heran. Er schwadroniert über seine Werke, wird als Bob Dylan mit seinem eigenen Subterranean Homesick Blues auf Karten in einer Gasse gezeigt. Wer das todernst nimmt, ist selber schuld. Von Triers eigene Filme werden ebenfalls zitiert, als Verteidigung von Jacks Standpunkt natürlich. Noch so eine Falle, die der Regisseur legt. Liebe, hält Verge seinem Begleiter vor, sei der Quell von Kunst. Jack hält ihm entgegen, es sei vielmehr der Zerfall. Was von Jack - Täter wie Film - jedoch bleibt, ist eine beinahe traurige Leere.

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