Der Schreibzusammenschluss Textgeschenke zum Geburtstag richtet seine Geburtstagsgrüße im Monat November an eine Frau, die es gekonnt schafft sich zwischen Independent- und Blockbusterkino tatsächlich meist künstlerisch auszudrücken: Tilda Swinton.
Stefan Ishii über Edward II (1991)
Ah, Mortimer, now breaks the king's hate forth, and he confesseth that he loves me not.
Dass Tilda Swinton nicht kategorisierbar ist, sollte einleuchten. Mal zeigt sie ihr Können in Hollywoodfilmen, mal ist sie Göttin des Arthouse. Sie hat etwas an sich, dass sie für so viele unterschiedliche Ansprüche und Rollen interessant macht: Eine Persönlichkeit, eine Ausstrahlung und eine uneingeschränkte Hingabe. Eine weitere Eigenschaft sollte man nicht vergessen: Ihr Liebe für das Außergewöhnliche, den etwas anderen Film und die Hinwendung zur Experimentierfreudigkeit. Typisch für diese Neigung war ihre Zusammenarbeit mit dem vielseitigen Künstler und Filmemacher Derek Jarman. In der Kooperation mit Jarman entstanden acht Filme. Insbesondere Swintons Androgynität musste sie für den Engländer als geradezu prädestiniert erscheinen lassen, da sich dessen zentrale Motivation aus den Themen Homosexualität und Kunst erschöpfte.
„Edward II“ war in dieser Hinsicht vielleicht Jarmans politischster Film. Der Film setzt sich für jeden offensichtlich für eine Stärkung des homosexuellen Aktivismus ein. Bezeichnend dafür läßt sich im Film beispielsweise eine Demonstration finden, die sich für die Rechte Schwuler einsetzt. Ein künstlich wirkender, zurückgenommener Inszinationsstil, der als Widerstand gegen Ungerechtigkeit und als Aufruf für mehr Verständnis wahrgenommen werden kann und auf verschiedenen Ebenen Chaos, Empathielosigkeit und entmenschlichte Gewalt leidenschaftlicher Liebe, enttäuschter Verzweiflung und hilfloser Empörung gegenüberstellt.
Jarman verfilmte mit „Edward II“ eines der frühesten englischen Theaterstücke, geschrieben im 16. Jahrhundert von Christopher Marlowe, einem Zeitgenossen William Shakespeares. Genauso wie der etwas berühmtere Engländer - und Derek Jarman - übte das Thema der Homosexualität eine starke Faszination auf Marlowe aus, was sich in dessen Werken sehr stark wiederfinden läßt. „Edward II“ erzählt vom gleichnamigen jungen König aus dem 14. Jahrhundert, dessen obsessive Liebe zum adligen Piers Gaveston sowohl Machthabende als auch Kirche gegen sich aufbringt und das Land in Unruhe versetzt. Eine zentrale Rolle in den Widerständen, die in weitreichender Homophobie begründet liegen und in menschenverachtender Gewalt gipfeln, spielt die Königin Isabella, die sich in ihrer Situation von ihrem Mann verschmäht fühlt und sich mithilfe des machtversessenen Lords Mortimer an Edward rächen möchte.
Jarmans Muse Tilda Swinton verkörpert Königin Isabella auf perfekte Weise. Sie zeigt sie zunächst enttäuscht und verletzt. Später verleiht sie ihr eine eiskalte Aura und läßt sie als Racheengel erscheinen. Swintons Figur ist sicherlich diejenige, die sich im Verlauf der Handlung am stärksten wandelt. Verstärkt wird diese Wahrnehmung noch durch den Einsatz von Licht, Kleidung oder anderen Accessoirs, doch ohne Swintons faszinierende Spielweise käme die Persönlichkeit Isabellas wohl weitaus weniger zur Geltung.
„Edward II" ist ein wunderbares Beispiel für Swintons Vielseitigkeit und Neigung für andersartige Filme mit gesellschaftlich relevanter Ausrichtung. Hoffentlich wird es, auch heutzutage, lange nach dem Tode Derek Jarmans, noch viele weitere solcher experimenteller oder außergewöhnlicher Filme mit Tilda Swinton geben. Mach weiter so, Tilda!
Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.
Amarawish über I am Love (2009)
Zu zweit sein ist ist genauso schön wie allein sein. Wir müssen entscheiden, ob wir mutig sind.
Es kommt eine Zeit im Leben, wo man aus Liebe bekanntes mit unbekanntem tauschen mag. Dazumal scheint das Verlassen der Heimat leicht gefallen zu sein, hatte man doch durch seinen Partner fürs Leben eine mehr als große Stütze gefunden, die auch als Schutz vor Fernweh gelten konnte. Eben dies hat Tilda Swintons Charakter im Film "I am Love" erlebt. Nun lebt sie ein Leben im Wohlstand, geküsst von der Sonne Mailands. Inmitten melodramatischer Opulenz und Familientradition entfacht sie Eleganz wie ein Juwel, welches der reiche Sohn von seiner Reise aus Russland mitgebracht hat. Doch gerade in der Mitte ihres Lebens erfährt sie eine Neuerweckung ihrer bereits begrabenen Sexualität und vielmehr auch ihrer Identität.
Das melancholische Zusammenspiel von Familientragödie und Sinnesneuerweckung ist alles andere als leicht ertragbar, vielmehr rührend auf eine sehr charmante Weise. Die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens gleichermaßen illustrierend ist "I am Love" abseits der spannenden Bildkompositionen und der Musikuntermalung durch Tildas einnehmenden Schauspielakt eine wahre Bereicherung.
Absolut direkt, verletzlich und pur: Ihr Kampf um Identität und Inspiration im mittleren Alter ist sinnlich und verführerisch. Was kühl und zurückhaltend beginnt wandelt sich im Laufe des Films zu mehr und mehr offenkundiger Emotionalität und Lebensgenuß bis hin zu Trauer und Starrheit. Sie webt nicht nur mit einer bemerkenswerten Subtilität durch die zarten Ebenen des Erzählstrangs, sondern entfacht in der endgültigen, prägnanteren End-Sequenz des Films ihre letzte verzweifelte Entscheidung mit einer romantischen Imposanz zwischen Begehren und Pflicht, dass man durchaus zu Tränen gerührt sein könnte. Zweifelsohne ein Film über die Liebe, ihre Turbulenzen und ihren Stellenwert im Leben.
Ihre Rollen folgen keinem offensichtlichen Muster, sondern bieten faszinierende Möglichkeiten für sie, die vielen verschiedenen Facetten einer Frau zu erkunden. Tilda Swinton ist nicht nur in diesem Film wunderbar. Ihre Stimme, die sie durch ihre zahlreichen, besonders sorgfältig ausgewählten Rollen erklingen lässt ist wertvoll, aber auch immer wieder ein optisch emotionaler Genuß. Alles Gute zum Geburtstag!
Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.
doktormovie über We need to talk about Kevin (2011)
I am the context.
Die Wandlungsfähigkeit von Tilda Swinton gipfelt wahrscheinlich im 2011 erschienenen Drama „We Need To Talk About Kevin“. Ein Film, der sich so intensiv mit dem kontroversen Thema eines Amoklaufs beschäftigt, braucht auch eine starke Rolle, die diesen Film trägt, das macht Swinton hier tadellos.
Der Film beleuchtet das katastrophale Verhältnis einer Mutter zu deren Sohn, der von Ezra Miller als das totale Böse dargestellt wird. Nachdem dieser in seiner Schule Amok läuft, und dabei keine Reue verspürt, wird seine Mutter geächtet und gehasst. Tilda Swinton setzt in ihrer Rolle als Mutter, die am Abgrund steht, schauspielerische Maßstäbe und kann durchwegs überzeugen. Wenn sich also wer von der schauspielerischen Genialität dieser Frau überzeugen lassen mag, so kann ich nur „We Need To Talk About Kevin“ empfehlen und mich vor dieser Leistung verbeugen.
(VincentVega) über A Bigger Splash (2016)
To be a genius is to be unruled. To be unruled is to be alone.
Im Jahr 2016 inszenierte Luca Guadagnino mit "A Bigger Splash" eine Neufassung des 60er Jahre Klassikers "La Piscine", an den richtigen Stellschrauben drehend liefert er ein interessantes und modernisiertes Konstrukt aus Liebe, Sex und Eifersucht im Gewand eines zurückgenommenen Kriminalfilms mit dem Fokus auf seine darstellerischen Leistungen.
Die wichtigsten Entscheidungen jedoch hat Guadagnino im Vorfeld beim Casting getroffen.
Mit Tilda Swinton als David Bowie-hafte Rocksängerin setzt er nicht nur eine Frauenfigur ein, die im Gegensatz zu Schneiders ambitionsloser Marianne stark über ihren Beruf und ihren Erfolg darin definiert ist - er verschiebt auch die libidinösen Gewichte weg von der klassichen Filmstar-Erotik hin zur lässigen Androgynie.
Das Künstlerpaar Paul und Marianne reist auf die Insel Pantelleria, um in der malerischen Abgeschiedenheit Süditaliens einen romantischen Urlaub zu verbringen, allerdings gibt es auch Vorfälle zu verarbeiten. Marianne ist nach einer Stimmband-OP fast stumm und Paul hat das ein oder andere Ereignis zu verarbeiten. Doch als sie unerwartet Besuch von ihrem alten Freund Harry und dessen äußerst attraktiven Tochter Penelope bekommen, werden alle immer tiefer in einen gefährlichen Sog der sexuellen Obsession gezogen.
Durch die erzwungene Sprachlosigkeit ihrer Figur, muss Swinton durch andere Aspekte ihrer Schauspielkunst ihren divenhaften Charakter verkörpern. Dies erreicht Sie mit ihrer unvergleichbar-lasziven Körpersprache ihrer ausgeprägten und lebhaften Mimik, die sich wunderbar ergänzt mit dem impulsiven Spiel eines Ralph Fiennes wobei prägende Szenen zustande kommen, bei der sich eine Dakota Johnson hier fragen muss ob sie wohl den richtigen Beruf gewählt hat.
Durch diese einzigartigen Gesichtszüge, die Tilda Swinton ihr eigen nennen darf und die Kunst dies einzusetzen kann sie eigentlich jede Rolle spielen die es gibt, was sie ja auch macht.
Dieser Auftritt, in einem Film der sicherlich nicht perfekt ist, bahnt sich jedoch als nahezu perfekt an.
Durch die in den Fokus gesetzte Körperlichkeit dominiert sie diesen Film auf ihre ganz eigene Weise und wie es nur ganz wenige könnten.
Auf das uns Tilda Swinton noch lange mit ihrer Variabilität und Kunst beglücken wird, wünsche ich hiermit alles Gute zum Geburtstag!
Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.
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