Wenn Iko Uwais Fäuste orange aufleuchten, reist die neue Netflix-Serie Wu Assassins geradewegs zurück in eine Zeit, in der junge Augen Auf der Suche nach dem goldenen Kind oder Big Trouble in Little China im Nachmittagsprogramm aufsaugen konnten. Viel wurde über die Nostalgie von Serien wie Stranger Things geschrieben, doch Wu Assassins liefert ein Update der schlagfertigen Unterhaltung, wie sie es in den 80ern und 90ern ins Kino (und oft direkt auf DVD) schaffte, statt diese zu imitieren.
Die neue Netflix-Serie wird niemanden mit ihrem komplexen Drehbuch oder pointierten Dialogen umhauen. Fängt Iko Uwais jedoch ein Messer im Flug mit der bloßen Hand oder vermöbelt er einen Triaden-Schurken in der Enge eines Food Trucks, dann macht sich der Wunsch nach "Prestige" oder gar dem düsteren Ernst eines Daredevil aus dem Staub.
Wu Assassins: Ein Direct-to-Video-Traum bei Netflix
Die neue Netflix-Serie Wu Assassins - seit vergangenem Wochenende online - bietet altmodischen Genre-Spaß, der den Geruch stundenlang abgesuchter Videothekenregale ins Streaming-Zeitalter bringt. Das Wasser läuft einem beim Schnuppern vielleicht nicht im Munde zusammen, aber das Gefühl der Vertrautheit wärmt den Bauch.
Es gibt mittlerweile sehenswerte prestigeträchtige Martial-Arts-Serien aus den USA, um Welten bessere Produktionen als Marvel's Iron Fist. Das sind zuallererst AMCs Into the Badlands und Warrior von Cinemax. In Wu Assassins geht es jedoch weder um eine aufwendige Fantasy-Welt noch um eine detailliert nachgestellte historische Periode.
The Raid-Star Iko Uwais spielt den Koch Kai Jin, der vom eigenen Food Truck träumt (mehr lassen die Immobilienpreise in San Francisco wohl nicht zu), stattdessen aber durch ein Artefakt magische Kräfte erhält - und einen Auftrag. Kai Jin ist der Wu Assassin, was ihm von einer professionellen Expositions-Lieferantin aus der Zwischenwelt geflüstert wird.
Er muss fünf Warlords der Gegenwart töten, die drauf und dran sind, ihre magischen Kräfte (symbolisiert durch die fünf chinesischen Elemente) zu vereinen. Schon früh in der Serie lernen wir den mutmaßlichen ersten kennen: Uncle Six (Byron Mann), Ziehvater von Kai Jin und ein mächtiger Gangsterboss der Stadt. Gehen ihm die Kugeln aus, verkohlt er seine Gegner. Oder er macht's, wenn er Lust drauf hat. Das Feuer ist sein Element.
Kai Jin steht nicht allein da. Die Restaurantbesitzerin Jenny (Li Jun Li), ihr drogensüchtiger Bruder Tommy (Lawrence Kao) und der Autohehler Lee (Lewis Tan) bilden die Figuren-Basis der Serie. Rechnet man die Undercover-Polizistin C.G. (Katheryn Winnick ) dazu, kommen praktischerweise fünf Helden gegen fünf mögliche Schurken zusammen.
Die Vikings-Darstellerin Winnick erhält Gelegenheit, ihren kriegerischen Look für die Gegenwart zu aktualisieren. Sie spielt befreit auf in der fadenscheinigen Rolle, nicht zuletzt weil in Wu Assassins Gender-Parität in den Kampfszenen gewahrt wird.
Wu Assassins überzeugt mit fachmännisch inszenierter Action
Iko Uwais, Virtuose der indonesischen Martial Arts, bildet den verlässlichsten Schauwert von Wu Assassins. Die Fights der Serie werden häufig auf engem Raum choreographiert, in Wohnungen, Restaurants oder Hausfluren.
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Statt der konstruiert wirkenden Long Takes aus Netflix' Daredevil oder dem Schnitt-Stroboskop aus Iron Fists erster Staffel setzen die Macher von Wu Assassins auf klar geschnittene, dynamische Action, die der aufwendigen Stunt-Arbeit Rechnung trägt. Mit Stephen Fung (Tai Chi Hero) gibt ein Into the Badlands-Veteran den Stil vor in der Serie von John Wirth (Hell on Wheels).
Letztlich erfreut Wu Assassins mit fachmännisch umgesetzter Genre-Unterhaltung samt charismatischen Schurken (unter anderem Tommy Flanagan aus Sons of Anarchy). Die Story könnte kaum egaler sein, wirkt aber nicht lieblos, was immer dann auffällt, wenn die Details der asiatisch-amerikanischen Herkunft ihrer Hauptfiguren eingearbeitet werden. Zwischen den Fäusten kollidieren auch die Generationen von Migranten, ihre Kinder und ihre Umwelt.
Netflix' Wu Assassins ist eine feine Weiterentwicklung der Genre-Vorgänger aus Hollywood, die häufig von außen auf das exotisch "Fremde" im Innern der amerikanischen Gesellschaft blickten und so Stereotype weitertrugen.
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Kai Jin hat dieselben Träume wie andere Hollywood-Helden, nur schaut er eines Tages in den Spiegel und sieht das Gesicht von John Wick 3-Bösewicht Mark Dacascos. Der spielt eine Art magisches Alter Ego von Iko Uwais. Vielleicht ist die Story also doch nicht so simpel. Jedenfalls boxt Uwais in einer Szene auf einen riesigen CGI-Findling ein und dabei erinnern die Effekte an chinesische Blockbuster anno 2005. Das solltet ihr durchaus als Lob verstehen.
Als Grundlage für diesen Eindruck von Wu Assassins dienen die ersten 5 von insgesamt 10 Episoden der 1. Staffel auf Netflix.
Habt ihr schon in Wu Assassins auf Netflix reingeschaut?