Die zwei Leben des Takeshi Kitano

18.01.2012 - 08:50 Uhr
Takeshi Kitano in Kinji Fukasakus Battle Royale
Toei
Takeshi Kitano in Kinji Fukasakus Battle Royale
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TV-Entertainer und Arthouse-Regisseur, Meister subtiler Gesten und brutaler Gewaltausbrüche. Das Werk und der Stil von Takeshi Kitano können kaum auf einen Nenner gebracht werden. Wir gratulieren dem Tausendsassa aus Japan zum Geburtstag.

Meine erste Begegnung mit dem Werk von Takeshi Kitano fand nicht in irgendeinem geschmackvollen Arthouse-Kino oder bei einem asiatisch angehauchten Filmabend statt. Zum ersten Mal vernahm ich das Antlitz der japanischen Legende in einer trashigen TV-Show beim DSF. Der Titel: n/a. Um die hundert Ottonormalverbraucher machen sich darin auf, die Burg des Fürsten Takeshi zu stürmen, Hindernislauf und störende Gegner inklusive. Die simpel gestrickte Show ist in ihrer Einfachheit das ultimative Entertainment, bei dem in über 100 Folgen immer wieder Leute stolpern, ins Wasser fallen oder sonstwie scheitern. Takeshis Castle ist das Werk von Beat Takeshi, der Kunstfigur, mit welcher Takeshi Kitano in den 80ern in Japan berühmt wurde. Denn im Grunde schlagen zwei Seelen in seiner Brust, die der TV-Personality mit dem Hang zum Trash und jene des Regisseurs tiefschwarzer Yakuza-Stories, die bei Festivals weltweit abräumen. Heute feiert das Multitalent Takeshi Kitano seinen 65. Geburtstag.

Kitano-sensei
Bei der englischen Wikipedia wird Takeshi Kitano als Filmemacher, Comedian, Sänger, Schauspieler, Cutter, Moderator, Drehbuchautor, Schriftsteller, Dichter, Maler und Videospieldesigner geführt. Die vielseitigen Tätigkeiten des Japaners unter einen Hut zu bringen, grenzt deswegen an eine Unmöglichkeit. Doch über die Jahre haben sich zwei Tendenzen in seinem Hauptwerk herauskristallisiert. In den 70er Jahren begann die Karriere des Takeshi Kitano als Teil des Comedy-Duos Two Beat. Sein besonders in Japan geläufiger Künstlername Beat Takeshi rührt daher. Beat Takeshi stand auf der Bühne und schockierte die Zuschauer, er testete die Grenzen des guten Geschmacks in Takeshis Castle aus und wurde sechs Mal hintereinander zum Fernsehstar des Jahres in Japan gewählt.

Für den Rest der Welt zählt das andere Leben des Takeshi Kitano, das 1983 mit einer Nebenrolle in Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence von Meisterregisseur Nagisa Ôshima (Im Reich der Sinne) begann. Zwar wurde Takeshi Kitano häufig als Erbe des Akira Kurosawa gehandelt. Doch der Einfluss von Kinji Fukasaku (Graveyard of Honor, Battles without Honor and Humanity) darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Für den sollte Kitano 1989 den Violent Cop spielen. Es kam anders, Fukasaku sprang ab und der Schauspieler und Comedian entwickelte eine neue Persönlichkeit: den Amateur-Regisseur. Mit Violent Cop lieferte Takeshi Kitano ohne jede Erfahrung ein Regie-Debüt, das in vielerlei Hinsicht schon seine Markenzeichen beinhaltete: die Yakuza-Story, die extremen Nahaufnahmen und plötzlichen Schnitte, welche er in Boiling Point, Sonatine und schließlich Hana-bi – Feuerblume perfektionieren sollte. Mit Kinji Fukasaku arbeitete er doch noch, aber erst im neuen Jahrtausend. In dessen Kultfilm Battle Royale gibt Takeshi Kitano den nur als “Kitano” betitelten Lehrer, der seine Schüler in den Kampf um Leben und Tod schickt. Es ist eine Art Takeshi’s Castle in extremo.

Schicksalsschläge
In den 90ern machen die Regiearbeiten vermehrt Station bei den internationalen Festivals. Höhepunkt der weltweiten Anerkennung bleibt der Goldene Löwe, den Takeshi Kitano mit Hana-Bi in Venedig abräumte. Da hatte er schon den schweren Motorradunfall überstanden, der ihn so schwer verletzte, dass seine rechte Gesichtshälfte bis heute gelähmt ist. Von Depressionen vor dem Unfall war die Rede. Im Nachhinein liest sich das Ereignis als eine Art Wiedergeburt. Takeshi Kitano entwickelte während der Reha eine neue Persönlichkeit, den Maler und die entstandenen Bilder spielen eine wichtige Rolle in Hana-Bi und Kikujiros Sommer.

Der große Wandel im Werk des Takeshi Kitano vollzog sich erst nach der Jahrtausendwende. Der Ausflug in die USA (Brother) missglückte, das Update eines Klassikers (Zatoichi – Der blinde Samurai) gelang, ebenso der melancholische Episodenfilm Takeshi Kitanos Dolls. Doch am wichtigsten, wenn auch nicht am besten oder verständlichsten, bleibt für sein jüngeres Werk eine autobiografische Trilogie. Die surrealistisch angehauchten Filme Takeshis’, Glory to the Filmmaker! und Achilles and the Tortoise arbeiten sich an ihm selbst ab, am Maler, Filmemacher und Comedian Beat Takeshi. Hier scheinen die beiden Identitäten des Takeshi Kitano zu verschmelzen.

Welchen Einfluss diese Phase der Selbstreflexivität auf das Werk des Takeshi Kitano hat, bleibt unklar. Sein folgender Film Outrage scheint zum einen eine Rückbesinnung zu den Anfängen anzukündigen. Ultrabrutal geht es da wieder zu im Gangstermilieu, aber auch reduzierter, düsterer und karger als in den Werken zuvor. Seinen Status als Kritikerdarling hat Takeshi Kitano mit seinen letzten Werken verloren. Vielleicht ist das gut so, vielleicht tüftelt Takeshi Kitano gerade seine nächste künstlerische Inkarnation aus. Bis dahin können sich alle Fans auf Outrage 2 freuen.

Wir wünschen Takeshi Kitano zum 65. Geburtstag alles Gute!

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