Wer die Berichterstattung vom bzw. über das Festival Cannes eher von Seiten des Boulevards verfolgte, dürfte wie so oft den Eindruck vermittelt bekommen haben, die Filmfestspiele an der Côte d’Azur drehten sich vorrangig um die „Stars und Sternchen“ Hollywoods. In diesem Jahr stand dabei recht eindeutig Michael Douglas im Vordergrund – weniger der Schauspieler selbst, oder seine Leistung als Pianovirtuose Liberace in Liberace, als vielmehr seine Krebserkrankung. Weil Michael Douglas sich im Zuge der Pressekonferenz zum Film erstmals konkret über seine Krankheit und die Angst vor dem Tod äußerte (im August 2010 gab er bekannt, dass er an einem Tumor im Hals leide), lieferten sich hiesige Promimedien geradezu ein Rennen um die beste scheinwehleidige Schlagzeile. Der Krebs, so Michael Douglas, sei nun endgültig besiegt und könne nicht erneut auftreten. Eine schöne Nachricht, mit der es dann auch hätte gut sein können.
Selektive Wahrnehmung
In der Sendung RTL Exclusiv, dem sogenannten Starmagazin mit Frauke Ludowig, wurde über diese Pressekonferenz aber bezeichnenderweise wie folgt berichtet: Das Übertragungsbild zoomten die Verantwortlichen so auf, dass nur Michael Douglas und Regisseur Steven Soderbergh deutlich in einer Einstellung zu sehen waren. Den konkreten Dank des Schauspielers an die namentlich erwähnten Kollegen übersetzten sie mit „und allen anderen“, mittels Kontrasten hoben sie zudem die Gesichtsausdrücke der beiden besonders hervor. Zu schade wohl, dass Michael Douglas’ Ehefrau Catherine Zeta-Jones nicht nach Cannes gereist ist – deren derzeit klinisch behandelte Depression hätte sich als thematisches Doppel selbstredend noch für eine lukrativ aufgebauschte Sensationsberichterstattung angeboten. So musste das „Starmagazin“ leider wieder nur auf Archivbilder ausweichen, die eine am Flughafen von Paparazzi bedrängte und sichtlich hilflose Catherine Zeta-Jones zeigen.
Missverständlicher Medienzirkus
Der Boulevard-Terz um Michael Douglas erreichte seinen kuriosen Höhepunkt jedoch erst in den letzten Tagen. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian sagte er in Zusammenhang mit seiner Erkrankung, dass „dieser bestimmte Krebs von HPV (Humane Papillomviren) verursacht und die tatsächlich beim Oralverkehr übertragen“ würden. Entsprechende Überschriften ließen selbstverständlich nicht lange auf sich warten, Tenor weitgehend eindeutig: Michael Douglas habe seinen Krebs durch Oralsex bekommen. Das passte natürlich ins Boulevard-Bild, immerhin gestand der 68jährige einst seine Sexsucht. Doch dann dementierte Sprecher Allen Burry die Aussage von Michael Douglas, der lediglich auf eine der möglichen Ursachen für den Krebs im Rachen hinweisen wollte. Ein Missverständnis? Medienzirkus? Promi-News, die sich selbst ad absurdum führen? Der Guardian veröffentlichte prompt einen verrauschten Audioausschnitt des Interviews, um dem Vorwurf der Täuschung entgegen zu wirken.
Douglas’ Oralsex, Jolies Brüste
Wie eine derartige Irrelevanz medial verhandelt wird, ist natürlich absurd. Gleichwohl sie adäquat an die andere große medizinische Intimitätsneuigkeit der jüngeren Zeit anknüpft, das Nachrichten-Bohei um Angelina Jolie und ihre Brüste. Nachdem die Schauspielerin im Opposite Editorial der New York Times einen Beitrag veröffentlichte, in dem sie über ihre vorsorgliche Brustamputation (prophylaktischen Mastektomie) berichtete, entfachte sich ein vordergründig spekulativer und sensationsorientierter Medienrummel. An dessen Ende schien es weniger um einen (produktiven) Diskurs über Möglich- und Notwendigkeiten der Krensvorsorge zu gehen (das stark erhöhte erbliche Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, bewog Angelina Jolie zu ihrer Entscheidung), als um die Frage, wie denn Ehemann Brad Pitt nun mit den Implantaten zurechtkäme. Oder um einen pathetischen medialen Schulterschluss, in dem es offenbar den „Mut“ dieser „starken Frau“ zu diskutieren galt – als hätte es diesbezüglich ernsthaft irgendetwas zu diskutieren gegeben.
Im System der Trivialmedien
Michael Douglas und Angelina Jolie haben ihre unterschiedlichen Erfahrungen mit Krebs zwar selbst in den medialen Äther geschossen, das doch aber aus deutlich nachvollziehbaren Gründen. Der eine, um dem Interesse für die eigene Person nachkommen und über seine Krankheit informieren zu können. Die andere, um in ihrer ehrwürdigen Heilsbringerfunktion ein tatsächlich relevantes Thema in den Vordergrund zu stellen (und möglicherweise auch eifrigen Boulevardjournalisten zuvor zu kommen). Mag sein, dass beide so sehr Teil des eingeschworenen Systems der Trivialmedien sind, dass deren Karussell sich konsequent um sich selbst dreht, die entsprechend niveaulose Berichterstattung also folgerichtig erscheint. Aber weder möchte ich noch länger etwas über den Cunnilingus des einen noch über den aufgestockten Ausschnitt der anderen etwas lesen, hören oder sehen. Und wenn Angelina Jolie auf der Berlin-Premiere von World War Z erscheint, dürfen die gaffenden Blicke auch gern mal in eine andere Richtung gehen.
Als Mr. Vincent Vega polemisiert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft, gern auf der Suche nach dem kleinstmöglichen Konsens. Denn “interessant ist lediglich Übertreibung und das Pathos – alles andere ist langweilig, leider.” (Christian Kracht). Wenn er nicht gerade auf Moviepilot seine Filmecke pflegt, bloggt Rajko unter anderem für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond.