Erlebe den Wahnsinn in Apocalypse Now!

20.07.2019 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
This is a Romeo Foxtrot. Shall we dance?
Studiocanal/Moviepilot
This is a Romeo Foxtrot. Shall we dance?
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Apocalypse Now ist mehr als nur ein Kriegsfilm. Keine cool brüllenden Kommandanten und heldenhaft sterbenden Soldaten, sondern ein fieberhafter Abstieg in den menschlichen Wahnsinn.

Kann es einen Antikriegsfilm geben? Kann es einen Film geben, der den Krieg, egal wie grausam, vernichtend und unmenschlich er ihn auch zeigen mag, nicht gleichzeitig auch als etwas zeigt, das Helden erschafft, die Vorbilder sind? Der keine Rechtfertigungen für das ganze Leid gibt? Eben diesen Krieg, welchen auch immer, nicht ein Stück weit glorifiziert? Als Film nicht immer auch in gewisser Weise Propaganda ist, diesen Krieg vielleicht sogar cool erscheinen lässt?

Ja, denn was Francis Ford Coppola 1979 erschuf, geht weit über das Genre Kriegsfilm hinaus. Apocalypse Now IST Vietnam, IST der Krieg, IST der Wahn. Und wenn euch diese Worte von Mattscheibenvorfall überzeugt haben, dass hier ein Stück Filmgeschichte, ein Meilenstein, so viel mehr als nur ein weiterer Kriegsfilm vielleicht noch darauf wartet, von euch entdeckt zu werden, dann solltet ihr die Gelegenheit wahrnehmen, denn der Final Cut von Apocalypse Now läuft gerade im Kino.

Der Kommentar der Woche von Mattscheibenvorfall zu Apocalypse Now

Aus quasi gegebenem Anlass...

Der Wahnsinn im Film ist echt, das spürt man in jeder einzelnen der 202 Minuten Laufzeit. Wer kennt sie nicht, all die Geschichten über die Dreharbeiten? Der Taifun, der das Set zerstörte; der bizarre Deal mit dem hiesigen Militär, um dessen Hubschrauber auszuleihen; der exzentrische Marlon Brando; Martin Sheens schwerer Herzinfarkt; all die Drogen und der Alkohol während der Dreharbeiten. Nach eigener Aussage war Sheen in der Eröffnungsszene so betrunken, dass er kaum stehen konnte und unterschätzte den Abstand zum Spiegel, den er schließlich zerbrach und sich an der Hand verletzte - der Schnitt in der Hand und das ganze Blut im Hotelzimmer waren also echt.

Der Dreh wuchs von den veranschlagten 16 Wochen auf weit über 200 Tage an und Coppola verpfändete sein Privatvermögen, um überhaupt weiter machen zu können. Sein erster Geniestreich und beinahe Sargnagel der ganzen Produktion war, die Dreharbeiten in einen wirklichen Dschungel auf den Philippinen zu verlegen, sich Umständen auszusetzen, die widerspiegelten, worum es im Film gehen sollte, nämlich mitten in diesem Urwald zu sein und sich mit all diesen feindlichen Elementen herumzuplagen, ganz analog zum Vietnamkrieg selbst. Coppola sollte später über Apocalypse Now sagen:

My movie is not about Vietnam… my movie IS Vietnam. There were too many of us, we had access to too much equipment, too much money, and little by little we went insane.

Francis Ford Coppola war zusammen mit großen Namen wie Arthur Penn, Sidney Lumet, Robert Altman, Don Siegel, Sam Peckinpah, William Friedkin, Roman Polanski, Martin Scorsese, Peter Bogdanovich, Stanley Kubrick, Sydney Pollack oder Michael Cimino einer der größten kreativen und treibendsten Köpfen des sogenannten New Hollywood, eben jener Gegenreaktion auf die Golden Era, die von etwa 1967 bis zum Ende der 70er Jahre das traditionelle Kino modernisieren und verjüngen sollte. Apocalypse Now markiert in diesem Kontext 1979 definitiv einen Endpunkt, denn das Blockbuster-Kino eines Spielberg oder Lucas bereitete seinerseits die Ablöse vor und eines war völlig klar: besser konnte es kaum noch werden.

Dennoch ist Apocalypse Now bis heute essentiell prägend, ungemein wichtig und sein Einfluss zweifellos ungebrochen. Erzählerisch ist Coppolas meisterhaftes Drama lose angelehnt an Joseph Conrads Erzählung Hearts of Darkness, aber er verlegt die Handlung vom tiefen Kongo zur Zeit der Kolonisierung in das undurchdringliche Dickicht des Urwalds im Vietnamkrieg. Inhaltlich lassen sich drei Akte erkennen: der Anfang in Saigon, wenn Willard seinen Auftrag erhält, dann die Reise auf dem Fluss Mekong zu seinem Zielort und schlussendlich die finale Konfrontation mit Colonel Kurtz. Unterteilt sind diese drei Akte in einzelne Episoden, die nur bedingt erzählerisch aufeinander aufbauen.

Den erzählerischen roten Faden bildet der Fluss, der alles miteinander verknüpft und je weiter die Reise der Soldaten andauert, je näher sie ihrem vermeintlichen Ziel kommen, desto surrealer gestaltet sich Episode für Episode, bis im Finale fiebertraumartig sämtliche Grenzen aufgelöst werden. Ein schrittweiser Abstieg immer tiefer in den Wahnsinn. Oberflächlich betrachtet ist Apocalypse Now natürlich auch ein (Anti-)Kriegsfilm, obwohl es Kriegshandlungen beinahe nie zu sehen gibt, aber selbst losgelöst von der immer währenden Diskussion um dieses Genre, und ob es das überhaupt geben kann, ist der Film so unendlich viel mehr als nur das, und ihn darauf zu reduzieren wird ihm in keinster Weise gerecht.

Vielmehr bietet der Vietnamkrieg lediglich die Rahmenbedingungen für eine ausgesprochen zeitlose Geschichte, die einen sehr tiefen Blick in die hintersten und dunkelsten Abgründe menschlicher Existenz wirft und im Kongo des Jahres 1895 ebenso gut funktioniert wie im Vietnam der 70er, und es in abgewandelter Form auch heute noch genauso tun würde. Apocalypse Now erzählt keineswegs einfach nur von oder über einen Krieg, sondern thematisiert und zeigt uns weit darüber hinaus, was solche Kriege in den Menschen auslösen, die sie miterleben, welchen emotionalen und seelischen Schaden sie abseits des Offensichtlichen davon tragen, was sie in ihnen hinterlassen.

Man kann diesen Film kaum einfach nur SEHEN, man wird ihn auch unweigerlich FÜHLEN. Das mag nicht immer schön oder vergnüglich sein, sondern eher wie eine kalte Hand, die sich langsam zum eigenen Herzen vortastet, oder eine unweigerlich heraufziehende Dunkelheit, die einen ergreift. Francis Ford Coppola verlangt seinem Publikum so einiges ab und sein Apocalypse Now ist oftmals eher weniger Film und mehr tiefschürfende Erfahrung, weniger einfach nur bloße Unterhaltung und mehr zutiefst philosophisches Gedankenspiel, mitunter anstrengend und vielleicht sogar wahrlich furchterregend, aber es lohnt sich ohne jeden Zweifel, diese 202 Minuten mit offenem Auge und Herzen zu erleben.

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