Happy End – Alles gut, alles tot in Michael Hanekes Europa

22.05.2017 - 09:35 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Happy End
X Verleih/Warner Bros.
Happy End
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Happy End heißt der neue Film von Michael Haneke und er wird seinem Titel gerecht, sofern man sich sein Happy End in Cannes nicht von der unbändigen Sehnsucht nach dem Tod vermiesen lässt.

Ob Michael Haneke einen Snapchat-Account hat? In seinem neuen Film Happy End zeugt der Smartphone-Einsatz auf jeden Fall von Besorgnis hinter der Kamera. Digitale Kommunikation dient in dem Drama als Fluchtpunkt des wahren Ich, das vor der Familie verborgen wird, mit potentiell tödlichen Folgen. Originalität lässt dieser Technikpessimismus vermissen. Dafür haben die Live-Streams, die den Vorspann begleiten, das Zeug zum Horrorfilm. Ein vergifteter Hamster stirbt, kommentiert mit einem saloppen "voilà". "Es ist leicht, jemanden zu beruhigen", heißt es in einer anderen Wortblase, die Schlimmeres vermuten lässt. Wenig später zieht die Handy-Besitzerin zu einer Familie mit Baby. Natürlich. In der Pressevorführung beim Festival Cannes rief Happy End kaum vehemente Reaktionen hervor. Ein paar Buhrufe gingen im Applaus unter, der ebenso schnell verstarb. Wir hams durchgestanden, jetzt raus hier! Tatsächlich wirken einige Elemente von Happy End altbekannt. Ein Best of Haneke über den Stand der Dinge im reichen Europa, das pünktlich zur Flüchtlingskrise Premiere feiert. Kann man einen Filmemacher wie Haneke indes so einfach abkanzeln, der, wenn auch nicht blinde Verehrung, so doch zumindest Interesse verdient?

Die russische Familie im Cannes-Beitrag Loveless von Andrey Zvyagintsev wärmt sich an den Displays, ohne dass dem Zuschauer die Inhalte freigegeben wurden. Sie sind gleichzeitig bedeutungslos und geheimnisvoll. In Happy End steht uns der Voyeurismus zu. Intimste Emails und Facebook-Chats der Familie Laurent quellen aus den Pixeln hervor. Sehnsucht und Leidenschaft breiten sich hier genauso kommentarlos und unheilvoll aus wie die Geröllmassen in den Video-Aufnahmen eines Baustellen-Unglücks. Firmenchefin Anne (Isabelle Huppert) bemüht sich um Schadensbegrenzung, wenn auch der konkrete menschliche Schaden sie nicht zu rühren scheint. Ihr 85-jähriger Vater (Jean-Louis Trintignant) hat die Firmenleitung abgegeben und zeigt Anzeichen von Demenz. Sohn Pierre (Franz Rogowski in einer Joaquin Phoenix-Rolle) ist fürs Geschäft des Kapital-Adels von Calais nicht gemacht und plant die Rebellion gegen seine Manager-Mutter. Bruder Thomas (Mathieu Kassovitz) ist ein frisch gebackener Vater in zweifacher Hinsicht. Ein Baby schläft nebenan in der Villa Laurent und die fast 13-jährige Eve (Fantine Harduin) zieht bei ihm ein. Er habe vergessen, wie es ist, Vater zu sein, sagt er zu seiner Tochter aus erster Ehe entschuldigend. Das Baby hält er im Verlauf des Films nie im Arm. Eve hingegen entwickelt ein Interesse für das Kind. In Live-Stream-Wortblasen erhofft sie sich: Das könnte ihr neuer Bruder werden! Oder doch ihr neuer Hamster?

Happy End

In erkalteten Lava-Formationen namens Einstellungen betrachten wir die Laurents aus der Ferne. Bei Haneke verblüfft das wenig, allerdings mangelt es den Einzelgeschichten an Anziehungskraft. Die Mutter-Sohn-Beziehung von Anne und Pierre verläuft sich im Klischee, ebenso die Methoden seines Aufbegehrens gegen die Familie. Es gereicht deren dysfunktionaler Dynamik in jedem Fall zum Nachteil, dass die kleine Vertreterin der Generation Youtube fast allen die Show stiehlt. Hinter Eves beunruhigend ungetrübten Zügen könnte sich Unbeschreibliches verbergen oder nur die verletzliche Seele eines vernachlässigten Kindes. In anderen Filmen dieses Festivals würde sie aus dem Heim verschwinden, etwa in Wonderstruck oder eben Loveless. Happy End streamt ihren Hilferuf. Ob sie Abonnenten hat, erfahren wir nicht.

Nur fast allen stiehlt Fantine Harduin die Show, denn Jean-Louis Trintignant injiziert dem Geschehen als des Lebens müder Patriarch einen tiefschwarzen Humor. Parallelen zu Liebe eröffnen sich in seiner Figur, wenn er mit Eve Geheimnisse austauscht. Deren Streaming-Hobby vermengt Motive aus Benny's Video und Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte, und Familien dieses gutbürgerlichen Milieus beleuchtete Haneke schon in Der Siebente Kontinent von 1989 und vielen Filmen danach. Die emotionale Leere der Wohlhabenden in Happy End breitet sich nun vor dem Hintergrund Calais' aus, wo bis zur Räumung im Herbst letzten Jahres Tausende Flüchtlinge in einem ungenehmigten Camp unterkamen. Im Wettbewerbskollegen Jupiter's Moon von Kornél Mundruczó wird die Flüchtlingsthematik ausgeschlachtet für eine metaphorische Bruchlandung über einen fliegenden Messias aus Syrien in Ungarn. In Happy End öffnet sich hingegen nicht mehr als ein Türspalt, wenn Anne an der doppelten Stacheldrahtverzäunung vorbeifährt oder ihr Vater im Rollstuhl mit einer Gruppe junger Männer ins Gespräch kommt. Während Europa für die einen Hafen der Sicherheit werden soll, haben sich die Laurents so weit auseinandergelebt, dass sie auf ihren eigenen, geldscheingepolsterten Inseln herumtreiben. Die einzigen Beschäftigungen scheinen Geld, verbotener Sex oder die Befriedigung des Todestriebes zu sein.

Als ideale Verbildlichung schenkt uns Happy End denn auch eine Karaoke-Szene mit Franz Rogowski, so deprimierend in ihrem turnerischen Schrei nach einem Ausweg, wie es eben nur ein Haneke vermag. Es wäre eine schockierende Vision, die in Happy End vom reichen Europa entworfen wird, würde sie einem nicht so bekannt vorkommen. Andererseits kann der Film auch als Kulmination von Hanekes Betrachtung des europäischen Bürgertums im Zeitalter medialer Verwahrlosung verstanden werden. Mit einem Happy End, in der Tat. Vielleicht wendet er sich irgendwann den lebenden Europäern zu.

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