Jede Zeit hat ihre Helden - Pensionäre unter Feuer

11.10.2014 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Denzel Washington in The Equalizer
Sony Pictures
Denzel Washington in The Equalizer
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Was haben die Schauspieler Liam Neeson, Denzel Washington und Kevin Costner gemein? Die stolzen Oscargewinner sind alle um die 60, größer als 1,80 und verkörpern im Kino seit einiger Zeit, mal mehr und mal weniger erfolgreich, einen sehr interessanten Typus von Action-Held.

Geheimnisse sind schon immer und in vielerlei Hinsicht eines der zentralen Handlungselemente des Erzählkinos. So bevölkern nicht nur Figuren, die etwas zu verbergen haben, in einer Vielzahl das Kino, sondern ebenso Agenten und Spione, Detektive und Ermittler, die unentwegt damit beschäftigt sind, den nebulösen Dingen in der Welt auf den Grund zu gehen. Mal leise, mal laut, mal allein oder als Gruppe und hin und wieder auch als Teil einer groß angelegten Geheimdienstoperation. Hierzu erzählte uns Robert De Niro vor rund acht Jahren in seinem Regiedebüt Der Gute Hirte die Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Erstmals erfuhren wir in einem Hollywoodfilm, welche persönlichen Schicksale mit den meist finsteren Geschäften dieser allzu mächtigen Behörde verknüpft sind. Wie Täuschungen und Misstrauen die dort tätigen Menschen korrumpieren und bei ihnen oft zu einer ausgeprägten Paranoia führen, die für den Rest ihres Lebens ihre Spuren hinterlässt. In einer Welt, wo nichts ist, wie es scheint und auf niemanden Verlass ist, gibt es, so lautete die Botschaft des Films, kein Vertrauen und demnach auch keine individuellen Sicherheiten. 

Die unmögliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Das ist natürlich eine schwere Bürde für die Leute in Langley. Denn spätestens seit True Lies - Wahre Lügen wissen wir, dass dieser Mangel an sozialer Geborgenheit sich so überhaupt nicht mit einem bürgerlichen Familienleben vereinbaren lässt. "Ob du willst oder nicht, wenn du für die CIA arbeitest, bestimmt sie dein ganzes Leben", resümiert Kevin Costner als sterbenskranker CIA-Agent und Familienvater in 3 Days To Kill. Dabei haben sich diese Menschen, die ihren Job während ihrer aktiven Zeit vor ihren Liebsten in der Regel geheimhalten mussten, all die Zeit wahrscheinlich nichts sehnlicher gewünscht, als einmal unbeschwert und glücklich mit Frau und Kind am Frühstückstisch zu sitzen. Der einzige Lichtblick in diesem persönlichen Dilemma stellt in gewisser Weise der vorzeitige Ruhestand dar, obwohl sich für die pensionierten CIA-Agenten schon bald die Frage stellen dürfte, ob sie sich so einfach ausklinken und ihrer Vergangenheit den Rücken kehren können.

Hollywood beantwortet diese Frage in letzter Zeit mit einem trügerischen "ja", denn die Oscarpreisträger Liam Neeson in 96 Hours, Kevin Costner in 3 Days To Kill und Denzel Washington in The Equalizer führen zunächst, im Anschluss an ihre Karriere, als Familienväter oder Baumarkt-Angestellte dem Anschein nach ein halbwegs normales Leben - bis, ja, bis das Böse in der Welt sie erneut mit aller Macht herausfordert. "Ich weiß nicht, wer Sie sind. Ich weiß nicht, was Sie wollen", sagt Liam Neeson am Telefon zu den Entführern seiner Tochter. "Falls sie auf Lösegeld aus sind, kann ich ihnen versichern: Ich habe kein Geld. Was ich aber habe", führt er dann drohend fort, "sind ganz besondere Fähigkeiten. Fähigkeiten, die ich mir im Verlauf einer langen Karriere angeeignet habe, Fähigkeiten, durch die ich für Typen wie Sie zum Albtraum werde. Wenn sie meine Tochter jetzt freilassen, ist die Sache erledigt. Aber wenn nicht, werde ich sie jagen. Ich werde Sie aufspüren. Und ich werde Sie töten." Gesagt getan. Über zwei Drittel der Spielzeit des Films geht Neeson als Einzelgänger über sämtliche Leichen, um seine Tochter aus den Fängen von albanischen Kinderhändlern zu befreien. Die Entschlossenheit, die er dabei an den Tag legt, gleicht einer Naturgewalt und lässt das Fehlen jedweder charakterlicher Komplexität mit einem Schlag vergessen.

Vom Charakterfach ins Actionlager

Der hünenhafte Liam Neeson wurde mit dieser Rolle als personifiziertes Getöse über Nacht zum heißgeliebten und knallharten Action-Star. Eine Rolle die Denzel Washington schon seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit besetzt. Aktuell geht er als pensionierter Feldagent in The Equalizer gegen eine Horde gewalttätiger russischer Gangster vor, weil er nicht tatenlos zuschauen will, wie diese sich an der jungen Prostituierten Chloë Grace Moretz vergreifen. Auch in seinem Vabanquespiel ist kein Platz für Zwischentöne, für Psychologie oder Reflexion. Die klaren Feindbilder in 96 Hours und The Equalizer erfordern eine unmissverständliche und gnadenlose Vorgehensweise. Besonders wenn es um die Familie oder andere schutzbedürftige Seelen geht. Auf der Handlungsebene dieser Filme ist dieses kausale Schauspiel sicherlich nur konsequent. Wenn wir uns aber die Berufslaufbahn dieser fiktionalen Charaktere hinzudichten, ist es schon ein wenig seltsam, dass die berufsbedingte innere Unsicherheit und moralische Ambivalenz dieser Figuren keine Rolle mehr zu spielen scheint. Über ihre tödlichen "Skills" verfügen sie ja nach wie vor, aber der Nebel der Paranoia hat sich im Zuge ihrer altersbedingten Resozialisierung offenbar wie von selbst gelichtet. 

Wenn wir so wollen, ist ihr Ausbruch aus den Wirren des Geheimdienstes die erste und wichtigste Bedingung dafür, dass sie in einer unübersichtlichen Welt als "Ritter ohne Furcht und Tadel" für die Gerechtigkeit und die zivile Ordnung tatkräftig in Erscheinung treten können. Gleichzeitig gehören sie als "family men" traditionell zu den vertrauenswürdigsten Gesellschaftsmitgliedern. Das unterscheidet sie fundamental von den vielen anderen Weltenrettern im Kino und vor allem von den seltsam verpönten "Gutmenschen" in unserem Alltag. Im Gegensatz zu denen müssen wir bei den Pensionären unter Feuer nicht nach ihrem Motiv, nach ihrer Moral und der Glaubwürdigkeit ihrer Aktionen fragen. Vielleicht ist das ein entscheidender Grund, warum sie auf der Leinwand aktuell, mehr als jede andere Heldenfigur, die "essence of cool" (Peter Travers) verkörpern.

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