Anne Hathaway erhält mit Colossal ihr eigenes Pacific Rim

09.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Nacho Vigalondo verwandelt Anne Hathaway in Colossal in ein Party-Monster, das sein Leben nicht auf die Reihe bekommt und nebenbei Großstädte zerstört. Der Beitrag beim Festival in Sitges ist nicht nur Kaiju-Fans zu empfehlen.

Stellt euch Pacific Rim vor. Die in der Nacht leuchtende Skyline von Hongkong. Der Regen plätschert auf die neongetränkten Straßen. Im Klatschen der Brandung kündigt sich die Ankunft von etwas Großem an. Ramin Djawadis Gitarren dröhnen elektrisiert über die Tonspur. Idris Elba verspricht mit donnernder Stimme, die Apokalypse werde heute abgesagt. Blitze zucken durch den pechschwarzen Himmel. In den wabernden Energiewolken materialisiert sich ein Gigant. Das Grauen auf zwei Beinen. Die personifizierte Zerstörung. Anne Hathaway.

Anne Hathaway?

Das ist die Ausgangsidee von Colossal, dem neuen Film von Nacho Vigalondo, der im Rahmen des Festivals des fantastischen Films in Sitges gezeigt wurde. Der spanische Regisseur feierte mit dem Zeitreise-Thriller Timecrimes - Mord ist nur eine Frage der Zeit seinen Durchbruch und gelangte beim Aufstieg in der Genrewelt an den Punkt, an dem er Oscarpreisträgerin Anne Hathaway als Kaiju besetzen und ihr Horrible Bosses-Bezwinger Jason Sudeikis als eine Art Jaeger entgegenstellen kann. Vigalondo wäre natürlich nicht Vigalondo, würde er einfach "nur" einen großangelegten Monsterfilm à la Pacific Rim oder Godzilla mit ein paar Hollywood-Stars aufpeppen. Wir können Colossal guten Gewissens als Monsterfilm bezeichnen. Ein Kaiju trampelt hier immerhin durch Seoul und zerstört unterwegs Hochhäuser, aber es kratzt sich eben auch gedankenverloren am Kopf, legt ein paar Tanzschritte hin und teilt eine wundersame Verbindung mit einem tausende Kilometer entfernt lebenden Partygirl, das auf einer aufblasbaren Matratze jeden Morgen seinen Rausch ausschläft: Anne Hathaway!

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Schon vor ihrem Oscargewinn für Les Misérables geriet Anne Hathaway in den Verdacht, eine Hollywood-Streberin zu sein. Dieses Schicksal teilt sie mit anderen Schauspielerinnen wie Reese Witherspoon, Amy Adams oder Hilary Swank, deren Ehrgeiz bei der Rollenwahl als unverstellt, ergo bedrohlich wahrgenommen wird. In der immensen Popularität von Jennifer Lawrence, die ja - ihr gutes Recht - dieselben Oscarrollen in ihrer Vita hortet, lässt sich der Gegenentwurf ausmachen. Eine wie Anne Hathaway wird nicht auf dem Balkon beim Pot Rauchen fotografiert, bricht neben Jack Nicholson auch nicht in Fangirl-Extase aus oder stolpert bei jeder Preisverleihung über ihre Füße. Lawrence wurde zum Star, weil sie den Rollenanforderungen eines Stars widerstrebte, aber unsere übertraf. Hathaway ist ein Star, der außerhalb der Filmsets seinen unglaubwürdigsten Charakter spielt: sich selbst. Bei ihrem Auftritt in Between Two Ferns etwa oder ihrer Oscarrede, in Momenten vorgegaukelter Authentizität, kann einen Hathaway die Künstlichkeit ihrer Performance nicht vergessen machen. Eine Performance, die vor der Filmindustrie verlangt wird, wohlgemerkt. Es gehört zur grausamen Ironie Hollywoods, dass jemand, der nach allen Regeln spielt, nur verlieren kann. Als Try Hard abgestempelt wird (bitte einmal Google öffnen und "Anne Hathaway + Try Hard" eingeben und erleuchtet werden von den Think-Pieces). Als "meistgehasster Star in Hollywood". Anne Hathaway kann nicht gewinnen . Denn wir lieben Stars, wenn sie unserer Liebe nicht bedürfen. Oder wenigstens so wirken.

Anne Hathaways arbeitslose Online-Journalistin Gloria aus Colossal bettelt nicht um Liebe oder Anerkennung. Ein Hocker am Tresen, ein Zapfhahn in Reichweite und eine lange Nacht genügen ihr. Gloria ist der Typ Trinkerin, der tagsüber nur nicht besoffen ist, weil sie sowieso bis in die Puppen schläft. Ihr posher Freund Tim (Dan Stevens) setzt sie vor die Tür, aus New York reist sie in eine dieser undefinierbaren Städte im Umland, die nur Jim Jarmusch charmant aussehen lassen kann. Nacho Vigalondo versucht das gar nicht erst. Das alte Haus ihrer Eltern hält als Glorias neue Bleibe her, aber noch bevor die Matratze aufgeblasen ist, steht sie in einer Bar. Der Blick durchmisst millimetergenau den Raum und schießt zu den Schnapsflaschen hinterm Tresen. Es ist keine Wiedersehensfreude, es ist die Antizipation, dass der verhasste Wärter nach Tagen wieder Wasser und Brot in die Zelle schiebt. Schulfreund und Barbesitzer Oscar (Jason Sudeikis) bietet ihr einen Aushilfsjob direkt an der Quelle und bringt ihr Möbel in die leere Bleibe. Ein richtiger Nice Guy eben. Aber da wäre noch die Sache mit den Monstern. Ein Monster, das jeden Abend in der südkoreanischen Hauptstadt materialisiert und dort durch die Häuserschluchten rumpelt; immer in jenen Minuten, in denen Gloria bei Morgengrauen von der Bar nach Hause taumelt.

Nacho Vigalondos Filmideen erinnern an Knobelaufgaben mit möglichst abwegigen Variablen und 90 Minuten Lösungszeit. Der Normalo, der neben einer Zeitmaschine wohnt. Die Beziehungskomödie via Alien-Invasion. Der Thriller, der ausschließlich über den Desktop erzählt wird. Schließlich die Tragikomödie über eine angehende Alkoholikerin, die in eine missbräuchliche Beziehung stolpert und parallel dazu der sich entfaltende Kaiju-Film in Korea. Vigalondos schwarzer Humor speist sich daraus, dass seine Figuren augenscheinlich Kräften unterliegen, die ihnen jede Kontrolle abnehmen. Sie wachen in einem Kinofilm auf, die Helden dösen anderswo weiter. Gloria ist die letzte (bzw. vorletzte) Person auf dem Erdenrund, die ein tonnenschweres Monster kontrollieren sollte und genau das verwandelt sie in die ideale Kandidatin, für Vigalondo und uns Zuschauer. Wäre ihre dauer-verdutzte Fashion-Novizin aus Der Teufel trägt Prada gescheitert und danach in den 24-Stunden-Party-Moloch von New York City gestürzt, sähe sie in etwa so aus wie Gloria. Und würde man aus jedem nachsichtigen Rom-Com-Love-Interest eine menschliche Hülle schneidern, käme Jason Sudeikis' Oscar dabei raus, ein zweibeiniges Traktat gegen den Mythos des Nice Guys, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich es in meinem Leben brauche.

Wenn per Handy aus Südkorea gestreamt wird, während Gloria durch einen Sandkasten stampft, dürfte sich kein Monsterfilmfan mehr dem munteren Ton von Vigalondos Genre-Melange entziehen. In Hathaway und Sudeikis stehen ihm die idealen Schauspieler zur Verfügung, um das Spiel jederzeit in Ernst umschlagen zu lassen. Denn einer von ihnen wird, wie die Figuren in Timecrimes oder Open Windows, früher oder später raffen, dass so ein Film auch einen Drehbuchautor braucht. Selbst ein fantasiereicher Drehbuchmechaniker wie Nacho Vigalondo hätte sich indessen ein gräuliches System wie Hollywood nicht ausdenken können.

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