Gestern konntet ihr bei uns lesen, was Daredevil-Hauptdarsteller Charlie Cox über seine Herangehensweise an den Charakter zu sagen hatte. Heute erzählt Showrunner Steven S. DeKnight, was er mit der ersten Staffel erreichen wollte. DeKnight arbeitete bei Smallville schon einmal an einer Superheldenserie mit, außerdem war er bei Buffy und Angel tätig. 2010 erschuf er die TV-Serie Spartacus, für die er auch als Hauptautor und Showrunner fungierte. Den Showrunner-Posten übernahm er bei Daredevil von Drew Goddard, als dieser sich Sonys Spider-Man-Franchise anschloss. Wer Daredevil noch nicht gesehen hat: Vorsicht, das Interview enthält SPOILER.
moviepilot: Was war die Hauptsache, die du mit dieser Version von Daredevil zeigen wolltest?
Steven S. DeKnight: Ich wollte vor allem dem Ausgangsmaterial gerecht werden und wollte eine düstere, geerdete Welt, die sich sehr an die Einflüsse von Frank Miller mit seiner klassischen Phase hält, und später dann Brian Michael Bendis und Alex Maleev. Es also geerdet und so realistisch wie möglich halten.
moviepilot: Wie wichtig war es für dich, den ruhigeren Momenten genauso viel, wenn nicht mehr Zeit zu geben wie den Action-Sequenzen?
Steven S. DeKnight: Sehr wichtig, diese ruhigen Momente machen für mir wirklich die Serie aus und das Tolle an Netflix ist, dass sie es mir erlaubt haben, diese ruhigen Momente zu erforschen und nicht drei große Action-Szenen in jeder Folge haben zu müssen. Zwei meiner Lieblingsfolgen sind Folge acht, die Hintergrundgeschichte von Wilson Fisk, die eigentlich keine Actionszene hat, und Folge zehn, die hin und her geht mit Foggys Beziehung, die nur eine klitzekleine Actionszene hat. In der Lage zu sein, in einer Action-Serie solche Geschichten zu machen, wo es eigentlich keine Action gibt, war sehr wichtig für mich, diese Charaktere zu erforschen und diese Charaktere interagieren zu lassen. Zwei Charaktere an einem Tisch sitzen zu haben, die sich fünf Minuten lang unterhalten, ist sehr ungewöhnlich für diese Art von Serie. Und ich war sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, das zu tun.
moviepilot:
Und glaubst du, das wäre möglich gewesen, wenn es eine Serie wäre, bei der die Zuschauer eine Folge pro Woche bekommen würden statt alle Folgen auf einmal?
Steven S. DeKnight: Ich denke, das wäre viel schwieriger zu bewerkstelligen, wenn sie mit einer Folge pro Woche veröffentlicht würde. Der Druck, sicherzugehen, die Zuschauer in dieser Woche nicht zu verlieren - dass du eine Actionszene haben musst - wäre viel größer, wenn nicht eine Folge nach der anderen gezeigt würde.
moviepilot: Der große Kampf am Ende der zweiten Folge, denkst du, der wäre zum Beispiel in der ersten Folge gekommen, wenn es eine herkömmliche Pilotfolge gewesen wäre?
Steven S. DeKnight: Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Actionszene ans Ende der Pilotfolge gepackt hätten, aber ich denke, es wäre viel mehr Zeug in die Folge gestopft worden. Ich denke, du hättest definitiv mehr von Wilson Fisk gesehen, wenn es ein klassischer Pilot gewesen wäre. Da ist wohl der größte Unterschied, den du gesehen haben würdest.
moviepilot: Allgemein, im Hinblick auf die Struktur der Geschichte, hättest du es anders gemacht, oder anders machen müssen, wenn es eine herkömmliche Serie mit einer Folge pro Woche gewesen wäre?
Steven S. DeKnight: Ja, wenn wir 22 Folgen auf einem normalen Network machen würden, wäre diese einzige Geschichte, die wir erzählt haben, nicht genug gewesen. Also hätte es mehr ein Bösewicht-der-Woche-Gefühl gehabt, unterschiedliche Bösewichte, die er bekämpfen kann.
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moviepilot: Wie wichtig ist es, einen Bösewicht wie Wilson Fisk zu haben, der kein typischer Bösewicht ist, der die Welt beherrschen oder alle töten will, sondern zumindest aus seiner Sicht ein sehr ehrenwertes Motiv hat für das, was er tut?
Steven S. DeKnight: Ich denke, es war unverzichtbar. Ich denke, dass dieser Gegner wirklich notwendig für diese Art von Geschichte ist, wenn du geerdet und realistisch und kompliziert und moralisch grau sein willst. Eine der Sachen, die ich an dieser Staffel geliebt habe, war, dass Matt Murdock und Wilson Fisk genau dasselbe wollen, sie wollen die Stadt zu einem besseren Ort machen. Aber beide haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was das ist. Und für mich war es viel interessanter, den Gedanken zu verfolgen, dass Fisk die Stadt auf seine eigene Art und Weise retten wollte, um sie zu einem besseren Ort für Menschen wie Vanessa zu machen. Und wirklich die missliebigen Personen herauszufegen, anstatt dass er einen großen Plan hat, die Stadt mit einer Atombombe zu erpressen oder so etwas. Dass er einen sehr persönlichen Grund dafür hatte, was er getan hat; und der Grund dafür, dass er die Stadt niederreißen und etwas Neues bauen wollte, letztendlich eigentlich ist, dass er die Erinnerung an seinen Vater endgültig begraben wollte. Was wieder eine sehr viel charaktergetriebenere Motivation ist, als du sie normalerweise in dieser Art von Geschichte findest. Dass es nicht nur ums Geld ging, es ging nicht nur um Macht, in dieser Staffel ging es um etwas anderes. Ich denke nicht, dass die Serie annähernd so erfolgreich wäre ohne diese Art von kompliziertem Gegner.
moviepilot:
Du hast die Folge über die Kindheit von Fisk erwähnt, denkst du, dass es eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist, dass er gewissermaßen von seinem Vater in die Gewalttätigkeit gezwungen wurde, anstatt dass er diese
Gewalttätigkeit
schon immer in sich drin hatte?
Steven S. DeKnight: Das ist eine interessante Sache, weil er von seinem Vater zu diesem gewalttätigen Akt gezwungen wurde, aber auf eine Art ist der wirkliche Effekt, den dies hat, dass Fisk als Erwachsener nicht von diesem Kindheits-Trauma loskommt. Ein Teil von ihm steckt fest darin, ein Kind zu sein. Wenn er sich selbst im Spiegel sieht, sieht er das Kind. Und Vincent D'Onofrio hatte eine großartige Antwort, als ihn jemand gefragt hat, wie er Fisk beschreiben würde. Er sagte, er ist ein Kind und ein Monster. Und es gibt etwas sehr Kindhaftes an Fisk, wenn er einen Ausbruch hat und in Gewalt explodiert. Es ist nicht gänzlich die rationale Gewalt eines erwachsenen Mannes. Es gibt etwas sehr Kindhaftes in der Art, wie er gegen Leute losschlägt, das ich auch faszinierend fand. Etwas, das Vincent dem Charakter wirklich hinzugefügt hat.