Im Großen und Ganzen laufen die Oscars oft wie erwartet ab. Auch bei den Nominierungen für die diesjährige Preisverleihung am 04.03.2018 wurden die großen Favoriten Shape of Water - Das Flüstern des Wassers , Dunkirk sowie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri am häufigsten genannt. Dennoch konnte die Academy mich wieder mit einer Handvoll Entscheidungen überraschen.
Superheldenfilme
Filme über Superhelden wurden bei den Oscars in der Vergangenheit bestenfalls stiefmütterlich behandelt. Zwar gab es einige technische Auszeichnungen wie für die visuellen Effekte oder den Ton, aber in Kategorien wie Bester Film, Bester Regisseur oder Bestes Drehbuch waren die Helden-Filme bisher selten bis gar nicht vertreten (Pixars Die Unglaublichen - The Incredibles war 2005 für das Beste Originaldrehbuch nominiert). Deshalb ist es nun auch eine positive Überraschung, dass James Mangolds schwermütiger X-Men-Beitrag Logan - The Wolverine für das Beste adaptierte Drehbuch nominiert wurde und sich Anfang März unter anderem mit Call Me by Your Name messen wird.
Ein weiterer Film aus diesem Genre, der sich im vergangenen Jahr überraschend zum Kritiker-Liebling mauserte und dem von vielen Seiten Nominierungen auch in den großen Kategorien Beste Regie und Bester Film zugetraut wurden, ging hingegen leer aus: Wonder Woman von Patty Jenkins. Auch wenn, wie oben erwähnt, Superheldenfilme es bei der Academy traditionell schwer haben, werden Freunde des Films wohl ob der Nichtbeachtung enttäuscht sein.
James Franco und The Disaster Artist
Bereits als The Disaster Artist, James Francos Film über The Room, den besten schlechten Film der Welt, und dessen Schöpfer Tommy Wiseau vor beinahe einem Jahr zum ersten Mal vor Publikum gezeigt wurde, wurde er mit zahlreichen Lobeshymnen bedacht. Dies schlug sich Anfang 2018 dann auch darin nieder, dass James Franco bei den Golden Globes als Bester Hauptdarsteller in einer Komödie/Musical ausgezeichnet wurde und The Disaster Artist als Bester Film - Komödie/Musical ins Rennen ging. Es schien fast sicher, dass der Schauspieler und Regisseur auch bei den Oscars für seine Darstellung nominiert würde. Aber Fehlanzeige: Lediglich die Drehbuchautoren Scott Neustadter und Michael H. Weber dürfen sich Hoffnungen auf eine Auszeichnung machen. Möglich, dass die parallel zu den Globes lautgewordenen Belästigungsvorwürfe gegen James Franco das Zünglein an der Waage waren.
Fatih Akin geht leer aus
Ebenfalls bei den Golden Globes noch mit einer Trophäe bedacht und für die Oscars nicht nominiert ist Aus dem Nichts von Fatih Akin in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film. Das Rache-Drama mit Diane Kruger in der Hauptrolle schien ebenfalls ein sicherer Nominierungskandidat zu sein - doch die Academy entschied sich anders, und Deutschland muss weiter auf den ersten Auslands-Oscar seit 2007 (für Das Leben der Anderen) warten.
Junge Regisseure
Steven Spielberg, Martin McDonagh, James Franco, Denis Villeneuve - sie alle haben sich wahrscheinlich zumindest leichte Hoffnungen auf eine Oscarnominierung als Bester Regisseur gemacht. Doch statt ihnen finden sich nun mit Jordan Peele (Get Out) und Greta Gerwig (Lady Bird) zwei junge Filmemacher auf dieser Liste wieder. Der Horrorfilm Get Out stellt für Peele sogar das Regiedebüt dar, auch für Gerwig ist die Coming-of-Age-Komödie Lady Bird erst die zweite Regiearbeit.
Zwar galten beide Filme schon im Vorfeld als aussichtsreiche Kandidaten für mehrere Nominierungen, doch das gleich beide Nachwuchs-Filmemacher die Chance auf einen Goldjungen erhalten, ist schon überraschend - vor allem, wenn man betrachtet, dass es sowohl für eine Frau als auch für einen schwarzen Regisseur erst die jeweils fünfte Nominierung überhaupt in dieser Kategorie ist.
Netflix
Netflix ist bei den Oscars angekommen! Wohl nur die wenigsten haben im Vorfeld der Nominierungen geahnt, dass das Rassismus-Drama Mudbound des Streaming-Giganten gleich in vier Kategorien ins Rennen gehen könnte. Dabei gibt es sogar gleich zwei Nova: Zum einen ist mit Rachel Morrison zum allerersten Mal in der Geschichte der Academy Awards eine Kamerafrau nominiert, des Weiteren ist Mary J. Blige die Erste, die sowohl als Beste Nebendarstellerin als auch für den Besten Song nominiert ist.
Doch damit nicht genug für Netflix: Neben den vier Nominierungen für Mudbound konnte die Academy mit gleich drei Dokumentationen überzeugt werden. So haben Ikarus und Strong Island Chancen auf die Auszeichnung als Bester Dokumentarfilm, Heroin(e) als Bester Dokumentar-Kurzfilm. Ein überraschend starkes Jahr für den Streaming-Dienst - Konkurrent Amazon, der im vergangenen Jahr noch mit Manchester By The Sea abräumte, ist lediglich einmal nominiert (The Big Sick für das Beste Original-Drehbuch).
Weitere überraschende Nominierungen
Das waren für mich die größten Überraschungen der gestrigen Oscar-Nominierungen. Weitere Entscheidungen, die von großen Entertainment-Magazinen wie Entertainment Weekly , Slash Film oder Screen Crush angeführt werden und denen ich mich zum Teil auch anschließen würde, sind zum Beispiel die Nicht-Nominierungen von Michael Stuhlbarg oder Armie Hammer (beide aus Call Me by Your Name) als Bester Nebendarsteller und die gleichzeitige Doppel-Berücksichtigung von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Woody Harrelson und Sam Rockwell) sowie die Nominierung von Christopher Plummer (Alles Geld der Welt) in dieser Kategorie. Ebenfalls als sehr überraschend gilt, dass sowohl das Drama Florida Project als auch die Komödie The Big Sick nur jeweils einmal nominiert sind (Willem Dafoe als Bester Nebendarsteller bzw. Bestes Original-Drehbuch).
Aber im Grunde können wir doch froh sein, dass es auch in diesem Jahr wieder einige nicht so vorhersehbare Entscheidungen gab. Bleibt zu hoffen, dass dies bei der Verleihung Anfang März ebenfalls der Fall ist.
Welche Nominierungen bzw. Nicht-Nominierungen bei den Oscars 2018 haben euch am meisten überrascht?