Der gebürtige Hessener Romuald Karmakar lebte lange Jahre in Athen, bevor er 1985 seinen ersten Film auf Super 8 drehte. Zehn Jahre später führte er Regie bei Der Totmacher. Zuletzt drehte er Hamburger Lektionen. Hier spricht er über seinen Beitrag Ramses.
Sie haben zu Deutschland 09 den kurzen Dokumentarfilm “Ramses” beigesteuert. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Ramses ist der Deckname, den das Ministerium für Staatssicherheit meiner Hauptfigur gegeben hat. Und diese Hauptfigur ist ein persischer Staatsbürger, der Anfang der 60er Jahre nach Westberlin gekommen ist und bis heute in Westberlin lebt. In den Fokus der Stasi war er geraten, weil er Anfang der 70er Jahre zum Vergnügen und um Frauen kennen zu lernen nach Ostberlin gefahren ist. Und eines Tages hatte er eine Beziehung zu einer Frau, die beschuldigt wurde, die DDR illegal verlassen zu wollen. Des Weiteren ist es so, dass dieser Protagonist ein bisschen repräsentativ für eine persische Gruppe ist, die bis Anfang der 70er Jahre Teile der Halbunterweltszene in Westberlin kontrolliert hat. Heute betreibt er in einer Seitenstraße des Ku’damm eine kleine Animierbar, die offiziell als Champagnerbar bezeichnet wird. Über dieses Leben dieses Mannes und seines Arbeitsortes habe ich den Film gemacht.
Wie sind Sie auf Ihren Protagonisten gekommen?
Es ist eigentlich ganz einfach, weil er einer meiner Nachbarn ist. Ich hatte ihn oft gesehen, weil ich immer an dieser Animierbar vorbeikomme. Als dann das Projekt Deutschland 09 an mich herangetragen wurde, hatte ich die Idee, dass ich die Geschichte dieses Mannes erzählen könnte. Ich habe ihn gefragt, und er hat gleich zugesagt.
Was hat Sie dazu bewogen, sich in Ihrem Kurzfilm auf Geschichten aus dem Arbeitsleben des Protagonisten zu konzentrieren?
Man muss vielleicht zum Verständnis anfügen, dass das Konzept, diesen Kurzfilm zu machen, so aussah, dass ich auch die Grundlage für einen langen Film gelegt und mehr gedreht habe, als ich für diese 12 Minuten bräuchte. Beim Dokumentarfilm, anders als beim Spielfilm, ist relativ klar, dass sich das, was man sich vorstellt, in der Realität nicht eins zu eins übertragen lässt, sondern man hat eine Idealvorstellung, die man zu Papier bringt. Dann setzt man sich mit dieser realen Person auseinander und hat ein Ergebnis, und von diesem Ergebnis aus muss man sehen, was man damit macht, was sich erzählen lässt und wie man daraus einen Film bauen kann. Und am Ende war es klar, dass man sich auf einen einzigen Aspekt seiner umfangreichen Biografie konzentrieren und den konsequent durch erzählen musste.
Ich habe im Laufe des Drehs gemerkt, dass es für ihn am einfachsten ist, über das zu reden, was sein tägliches Brot ausmacht, nämlich Umgang mit Sexualität, Geschichten in seinem Laden, Geschichten mit Kunden. Und so erzählt er jetzt, was in seinem Laden passiert, was für Gäste da sind und wie das Verhältnis zu seinem Personal ist, vor der Wende und nach der Wende. Das sind zwei Komponenten, mit denen er arbeitet, vor und nach der Wende und als der Euro kam.
Es hat sich viel geändert, auch in den Konsumgewohnheiten der Sexualität. Spielt das eine Rolle in diesem Film, dass Ihr Protagonist inzwischen ein älterer Herr ist, vielleicht sogar ein bisschen aus der Zeit gefallen?
Ja, ganz sicher. Der Betreiber dieser Bar ist jetzt 68 Jahre alt, und man merkt, dass er etwas berufsmüde geworden ist und es nicht mehr schafft, sich den neuen Gegebenheiten, die er sehr wohl registriert, anzupassen. Viele Gäste scheinen offenbar diese stehen gebliebene Zeit in seinem Ort als etwas Positives zu sehen, mit dem sie sich auch identifizieren können. Und gleichzeitig macht es für mich natürlich schon den Reiz aus, diesen Ort, der fast etwas Museales hat, kennen zu lernen. Und wenn man dann aus diesem Ort rausgeht, der sozusagen auf der B–Ebene des Ku´damms liegt, merkt man, dass andere Vertreter der „Emerging Markets“ das jetzt übernehmen, Inder, Türken, Russen. Es gibt eine wahnsinnige Romantisierung des Deutschen bei ihm, er sagte einmal, er vermisse die ganzen Deutschen in der Gegend.
Geht es bei diesem Ort und seiner Geschichte auch um so etwas wie eine kleine Mikrosoziologie dieser Gegend?
Er ist nur ein Teil davon, aber ein Teil, glaube ich, den man auch ganz gut indirekt lesen kann. Je mehr man sich auf etwas konzentriert, desto mehr erzählt es über das, was man nicht sieht. Und das ist hier der Fall. Ich glaube, dass ein Kurzfilm das leisten kann; Man fährt sozusagen eine Straße entlang, und dann ist da ein Ort, da geht man rein und ein paar Stunden später, im übertragenen Sinne, wieder raus und fährt weiter durch die Stadt. Und so wie man durch Berlin fährt, fährt man auch durch unser Land.
Quelle: Mit Material von Piffl Medien zum Film Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation