Die roten Tanzschuhe als Symbol der Begierde

11.05.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
"Take off the red shoes."
moviepilot/Epix Media/J. Arthur Rank Film
"Take off the red shoes."
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Seit 65 Jahren hat er unzählige Leben beeinflusst, für das Ballett begeistert und Millionen zu Tränen gerührt – höchste Zeit, dass ein großer Kommentar der Woche den Powell- und Pressburger-Klassiker Die Roten Schuhe ehrt!

Im Kommentar der Woche möchten wir jede Woche eure größten Darbietungen auf der Bühne moviepilots feiern. Die Voraussetzungen dafür können beinahe alle Kommentare erfüllen, denn wir haben Tutus in allen Größen und Farben – egal ob der Kommentar eine atemberaubende Cabriole vollführt, der Schwerkraft per Grand Jeté ins Gesicht lacht, oder einfach nur vor sich hin pirouettiert. Wenn euch ein Kommentar besonders gut gefallen hat bzw. um euren absoluten Lieblingskommentar auf moviepilot mal im Rampenlicht zu sehen, hopst einfach unauffällig in meine Richtung (ich steh da hinten am Bühnenrand) und tanzt mir einfach eine Nachricht. Inspirieren lassen wir uns gerne.

Der Kommentar der Woche
hoffman587 hat sich heute für uns Die roten Schuhe angezogen und tanzt mit uns durch den legendären Ballettfilm mit Moira Shearer:

»What do you want from life? To live?« – »To dance.« – Es ist Zeit zu tanzen! Wo einst noch Hans Christian Andersen in seinem bekannten Märchen »Die roten Schuhe« seine Hauptfigur geschmeidig in die Qual des schier endlosen Tanzens und Todes trieb – Die roten Tanzschuhe als Symbol der Begierde. Im besonderen die Farbe Rot als Metapher für die unwiderstehliche Verlockung – dürfen nun auch die Herrn Michael Powell und Kollege Emeric Pressburger (vereint!) beim gleichnamigen Werk aus dem Jahre 1948 anpacken. Erst noch sehr andeutungsvoll lassen sie sehr gemächlich, aber dafür zugleich sehr süffig die Bühne erheben und ihr Spiel mit der Kunst beginnen. Alles läuft in geregelten Bahnen, es muss sich erst langsam entwickeln. Eine Overtüre wird geschmiedet. Der Vorhang bleibt verschlossen. Es ertönt nur die Musik, in Einklang mit der Melodramatik, der Feier. Neben dem (schon von erster Minute an) prächtigen Bilderreigen wird es dramaturgisch zunächst noch recht seicht, aber schnörkellos und gesichert in der Figurenzeichnung und deren Entwicklung.

Dann die geschickte Dreiecksgeschichte – eine etwas andere – die junge Tänzerin Vicky (Moira Shearer) zwischen ihren zwei Geliebten, dem Ballett und einem jungen Komponisten. Gar als entschleunigte Metaphern des Kampfes zwischen Musik und Tanz. Denn alles ist Kunst! Ein Duell der Künste. Der Teufel (des Tanzes) und Ballettmanager Boris Lermontov (Anton Walbrook, der sich nicht besser hätte in seine Rolle einfühlen können) aber meint nur die eine Kunst darfst du wählen! Die seine Kunst selbstredend: »For me it’s a religion!«. Der Zyniker, der größte Kritiker, der Egoist und Exzentriker seines eigenen Glaubens, will, dass man die seine lebt! Doch zunächst wird geübt, muss überzeugt werden und Szenen werden ausführlich studiert. Sie gibt sich (wie so viele) unsicher, sie muss sich beweisen. Vom Enthusiasmus (im Close-Up!) gepackt, beweist sie großes. Großes Talent. Findet Anklang. Und bei der ersten Bühnenperformance wird bewusst: Der wahre Star dieser Erzählung ist Jack Cardiff, samt Kamera, der mit dieser jede Bühnensequenz zur soghaften Berauschung macht, gewiss geben Herren Michael Powell und Emeric Pressburger jeweils nur kleine, delikate Häppchen der Bühnenszenen, jedoch diese beweisen schon früh Cardiffs Präzision bei der Arbeit.

Ironisch das erste geplante Stück: Die roten Schuhe, es wird fleißig komponiert, auch imponiert, wie integriert ins Ballett Lermontov. Dann die große Aufführung – gut vorbereitet wie sehr geschliffen möchte man sagen, doch auch Erfolgsdruck, Nervosität, Hysterie, Eile und Lampenfieber prägen die Szenen hinter den Kulissen. Keine Furcht, es wird schon werden. Dann die Supertotale! Der Vorhang erhebt sich. Die Totale! Das wahre Fest kann nun beginnen! Ein Sinnesrausch der tänzelenden Gefühle. Powell und Pressburger brechen mit jedweden Theaterkonventionen – das fantastische Szenenbild wechselt im stetigen Laufe. Im Grunde ist der Trick dahinter brillant, inbesondere dies verdeutlicht erneut das Märchen im Märchenmotiv, welches man hierbei nutzt. Zugleich wird aber eben diese Tanzsequenz (= Traumsequenz; nebenher auch die längste Ballettsequenz der Filmgeschichte, mit ihren hochgeschätzten 20 Minuten) zur endgültigen Sprengung der Rahmen zwischen Wahn und Wirklichkeit, in einer Welt inmitten Schein und Sein.

So enthüllt uns dies auch eine gewisse Ambivalenz in der Inszenierung, folgerichtig vielleicht sogar als subjektive Perspektive. Während nun Bild und Ton in Perfektion harmonieren. Der Schnitt dies noch vorzüglichst adelt und die Choreographie verzückt. Eine betörende Darbietung. Und all das im prachtvollen Technicolor! Dann die Begeisterung und der große Erfolg. Zwischendrin verführt man erneut mit dem kleinen Leckerbissen namens Tschaikowsky und seinen Schwänen. Dann Romanze der Liebenden auf anderer Seite (der des Lebens) folgend die Reaktion – die Figur des Boris Lermontov im Zwiespalt als Eifersüchtiger, Besessener wie Perfektionist. Denn alles tanzt nach seiner Pfeife. Kein Leben, der Tanz! Die heilige Kunst, das ist was zählt. Sein Star, sein Besitz! Die junge Primaballerina hin und her gerissen wie innerlich zerissen zwischen ihren beiden Geliebten. Die vermeintliche Antwort auf dies: »Put on your red shoes and dance for us again. / Dance like nobody ever before!« – Die Füße kommen in Takt. Immer schneller und schneller. Sie können nicht aufhören. Sie können nicht stoppen und kennen keinen Halt! So laufen (und tanzen!) sie in ihr eigenes Unheil. Welch bittere Tragödie der großen Kunst.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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