Als Fan von Game of Thrones kommt man in sämtlichen Film Foren und Kommentarspalten zur Serie in expliziten Gruppen gar nicht daran vorbei: der Hass auf Sansa Stark. Dicht gefolgt von dem nervigen Lord Friendzone Rumgehacke, das Daenerys Targaryen betrifft und von einer Dreizehn- bis Sechzehnjährigen verlangt mit ihrem Körper für die Treue eines über 50+ Typen zu bezahlen, der sie zu Beginn sogar verraten hat.
Es nervt mich unwahrscheinlich auf welche Art gerade bei Sansa Stark eine Täter-/Opfer Umkehr passiert und Fans egal ob männlich oder weiblich gar nicht mehr in der Lage zu sein scheinen sich einfühlsam auf einen Charakter einzulassen. Sind wir es so gewohnt in Schwarz und Weiß zu denken, dass ein authentisch geschriebener Charakter uns überfordert?
Sansa Stark ist im Buch elf und in der Serie dreizehn. Ein gut behütetes Mädchen aus adligem Hause, das ihr Leben lang darauf vorbereitet wurde eine Lady zu sein, einen Lord zu heiraten, sich ihm unterzuordnen und seine Kinder zu gebären. Sie ist ein süßes und unschuldiges Ding, das diese Rolle nie hinterfragt hat und den Kopf voller Flausen von Prinzessinnen hat. Das passt nicht nur in die Zeit des Mittelalters, so denken 11 bis 13 jährige Mädels eben meistens. Und ich sage meistens, denn wie wir wissen ist Arya, ihre Schwester, anders. Und das ist genau der Grund wieso jede Erklärung, Sansa sei ein naives Kind gewesen, auf heftige Ablehnung stößt. Die Schwestern werden verglichen. Arya, die Kriegerin, bekommt Beifall. Sansa, die Strategin, virtuelle Dresche.
Jedenfalls wird von Sansa verlangt sich mit Joffrey zu verloben und sie ist begeistert. Königin zu werden war die Erfüllung sämtlicher Jungmädchenträume. Arya steht ihr dabei im Weg und verkörpert außerdem alles was Sansa nicht mag. Sie ist ungehobelt, frech, wild und lässt sich freundschaftlich auf den Pöbel ein. Das passt nicht gut in die Erziehung zur Lady, die Sansa sich wie eine zweite Haut angezogen hat. Da kann es nur zum Streit zwischen den Schwestern kommen und das führt zum Tod des Metzger Burschen und des Schatten Wolfes Lady. Ab da beginnt der Hass weil sich die Leute nicht vorstellen können was es heißt als junges Mädchen bereits verkauft worden zu sein wie eine Zuchtstute. Dabei wird es in der Serie sogar erklärt. Sansa muss sich auf die Seite ihres zukünftigen Ehemannes stellen, mit dem sie schließlich ihr Leben verbringen wird. Auch mit ihrer Schwiegermutter muss sie auskommen. Zudem sieht es für sie so aus, als habe Arya mit ihrem burschikosen Verhalten alles provoziert und so kommt es zu einer Verschiebung und sie gibt lieber der Schwester die Schuld weil das einfacher ist.
Alles was Sansa danach passiert von der Hinrichtung ihres Vaters zur Gefangenschaft, den Misshandlungen und ihrer Zwangsheirat mit Tyrion und Ramsey vertieft den Hass nur. Als hätte ein Mädchen, das zusehen muss wie ihr Vater stirbt, verprügelt und vergewaltigt, wie ein Mühlstein von politischen Mächten zerrieben wird, nicht genug durchgemacht, wird sogar nach härteren Strafen verlangt. Es ist immer einfacher dem Opfer die Schuld zu geben. Die eigene Unzulänglichkeit wird einem sonst bewusst. Man fühlt sich ohnmächtig und handlungsunfähig und diese Gefühle erzeugen Wut. Opfer in ihrer hilflosen Situation sind etwas, das unsere Gesellschaft kaum aushält. Damit tun Fans, die Sansa hassen, genau das was sie an ihr verachten. Jedoch ohne die große Not und den Druck, in dem das Mädchen sich befindet. Wahrscheinlich halten sie den Spiegel nicht aus.
Sansa Stark ist deshalb ein so gut geschriebener Charakter weil sie uns triggert. Man wird gezwungen sich mit dem Verrat an der eigenen Familie auseinander zu setzen und es ist sicher einfacher Steine zu werfen als sich einzugestehen wieso wir als Kinder in der Situation alle so gehandelt hätten und dabei anders als Sansa zugrunde gegangen wären. Anmerken möchte ich dabei auch, dass selbst Arya hierbei drauf gegangen wäre. Wie eine Wildkatze zu kämpfen und sich ohne nachzudenken in jeden Krieg zu stürzen, um für Gerechtigkeit einzustehen macht Arya beliebter als Sansa und ist auch der Grund war die kleine Lyana Mormont so viel Bewunderung erhält. Aber klug ist es nicht. Klug ist sich zurückzuhalten und sich wie Buchweizen unter dem Wind weg zu ducken, um sich danach wieder aufzurichten und gestärkt aus der Situation hervor zu gehen. Deshalb wurde das Haus Mormont ausgelöscht und Sansa hat überlebt. Und deshalb hassen sie die Fans. Weil wir es durch Hollywood nicht gewohnt sind einem Helden auf dem Weg zu folgen, der sich nicht Kamikaze mäßig für die gute Sache aufopfert.
Filme und Serien sollen uns in eine andere Welt entführen, in der alles einfacher ist. Schwierige Situationen können immer gemeistert werden. Die Helden sind so gezeichnet, dass sie wenig Reibungsfläche besitzen und viel Sympathie erregen. Die Gerechtigkeit, die Freundschaft und die Familie kommen immer zuerst. Eine Charaktertiefe besitzen solche Figuren eher nicht. Das macht es leichter der Realität zu entkommen und sich selbst dorthin zu flüchten wo man edle Krieger und holde Ladys erwartet. Und dann kommt Sansa Stark und zwingt uns, uns mit unseren eigenen Fehlern und Schwächen auseinanderzusetzen, hält uns gnadenlos den Spiegel vor und zeigt auf wie in unserer Gesellschaft mit (weiblichen) Opfern umgegangen wird und wie hart man gerade Frauen verurteilt, die auf irgendeine Weise nicht wie gewünscht funktionieren und Fehler machen.