Spring Fever: Der erste schwule Film aus China

15.05.2009 - 12:25 Uhr
Szene aus Spring Fever
Dream Factory
Szene aus Spring Fever
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Lou Ye legt sich mit seinem Wettbewerbsbeitrag – wieder einmal – mit der chinesischen Zensur an.

Ye Lou darf eigentlich gar keine Filme machen. Zumindest in China. Denn dort gerät er Zeit seines Schaffens immer wieder mit der Zensur in Konflikt. Nur ein einziger seiner fünf Filme hatte in China keine Probleme. Bereits sein Debüt Weekend Lover wurde erst nach zweijährige Indizierung in China gezeigt. Suzhou River brachte ihm ein Berufsverbot ein – für zwei Jahre. Der dritte Film Purple Butterfly war der einzige, der dem Regisseur in seiner Heimat keine Probleme einbrachte. Nicht verwunderlich bei einem Film, der vom chinesischen Widerstand gegen die japanische Besatzung während des zweiten Weltkrieges erzählt. Summer Palace dagegen, der vorletzte Film von Lou Ye, dreht sich um das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens. Die Reaktion der Zensur: Indizierung des Films und noch einmal Berufsverbot für Lou Ye – diesmal für fünf Jahre. Ganz klammheimlich musste der Filmemacher also seinen jüngstes Werk in Nanking drehen.

Spring Fever heißt der Film, mit dem sich Lou Ye nach Summer Palace und Purple Butterfly zum dritten Mal um die Goldene Palme bewirbt. Gestern lief der offizielle Wettbewerbsbeitrag in Cannes und die deutsche Presse zeigt erste Reaktionen:

Nicht wirklich beeindruckt zeigt sich Daniel Kothenschulte von der Frankfurter Rundschau: “Lou Ye, Filmkünstler aus Schanghai, hat ein Tabu gebrochen in seinem Land: Sein Wettbewerbsfilm Spring Fever handelt vom homosexuellen Coming Out eines Mannes, der ebenfalls die Beziehung mit seiner Frau aufrecht erhält. Doch die daraus abgeleiteten Konflikte wirken überinszeniert, während die lustvoll gedachten Sexszenen Leidenschaft mit Ernst verwechseln. So interessant es ist, einen solchen Film vor dem Hintergrund der chinesischen Lebenswelt zu sehen, so wenig schafft er das, was großes Kino leisten sollte: Eine eigene, filmische Lebenswelt.”

Als “eine seltsam verrätselte Liebesgeschichte, ein verschwitzt-verschwiemeltes schwules Erweckungsstück, das für chinesische Verhältnisse noch an einem gewissen Tabu kratzt”, bezeichnet Harald Pauli vom Focus den Film.

Gewisses Verständnis für die chinesische Zensur hat Tobias Kniebe von der Süddeutschen Zeitung: "Das Besondere … ist, dass all diese Figuren auf eine Weise “Ich” sagen, die für China radikal ist, dass sie ihre Individualität, so verwirrt und hungrig und hoffnungslos sie sein mag, vollständig in den Mittelpunkt ihrer Existenz stellen. Für westliche Augen mag das verwirrend aussehen – jeder mit jedem in spärlich ausgeleuchteten Räumen, das schafft ein echtes Problem beim Auseinanderhalten der Gesichter -, aber man kann sich doch gut vorstellen, welch libidinöse Sprengkraft darin liegt, sollten Lous 1,3 Milliarden Landsleute anfangen, solcherart nach Selbstverwirklichung zu suchen."

“Mit seinen 115 Minuten und den weitgehend absehbaren Konstellationen und Leidenschaftsdramen hat der Film keine grossen Erschütterungen beim Kritikerpublikum ausgelöst. Aber er hat, allein durch das spürbare Unbehagen im Saal bei den schwulen Sexszenen, einmal mehr deutlich gemacht, wie auch ein aufgeschlossenes, routiniertes westliches Kinopublikum auf den Bruch mit der gewohnten heterosexuellen Kinoerotik reagiert. Manche dieser durchaus nicht ungewöhnlichen, und schon gar nicht pornografischen Einstellungen wirken wie Wörter, die wir zwar erkennen, aber im Moment nicht richtig zu verstehen vermögen”, meint Michael Sennhauser auf seinem Blog.

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