Suspiria und Besessenheit von Horrormärchen

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Suspiria
Visual Factory/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Suspiria
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In der Aktion Lieblingsfilm schreiben moviepilot User über ihre Lieblingsfilme. Suspiria ist der Favorit von diesem User, der beschreibt, wie der märchenhafte Horror ihn gefesselt hat.

Es war einmal vor langer Zeit, …

… als ein pickeliger Teenager auf der Suche nach dem angsteinflößendsten und abscheulichsten Horrorfilm war, den er sich nur vorstellen konnte. Nach Saw und Hostel führten ihn seine Gelüste schließlich zum verhältnismäßig steinalten Suspiria. Was er sah, ließ ihn allerdings ziemlich unbeeindruckt zurück und er fragte sich, warum gerade dieser Film unter so vielen Genrefreunden einen derartigen Kultstatus genießt, denn er ist ja so alt und erzählt eine geradezu lächerliche Geschichte. Der pickelige Teenager war übrigens ich und mir sollte noch nicht klar sein, über welches Meisterwerk ich zu jener Zeit lästerte. Trotz der eher unbefriedigenden ersten Begegnung ließ mich Suspiria dennoch nie so richtig los und so gewährte ich ihm nach Jahren und viel mehr Filmerfahrung auch eine zweite Chance – mit überwältigendem Erfolg.

… als Dario Argento seine ganz eigene Version eines modernen Märchens verfilmte und passenderweise zu seinem gänzlich unwirklichen Grundgedanken die Ästhetik so surreal wie nur möglich ausfallen ließ. Die Tanzschule, die an einen riesengroßen Irrgarten erinnert, erstrahlt aus jedem Winkel und jeder Ecke in allen möglichen Farben, welche sogar in ihrer Kräftigkeit und ihrem inflationären Gebrauch die komplette Handlung überdecken. Hätte Argento die Schwerpunkte anders verteilt, wäre Suspiria wohl ein unerträglich schlechter Film geworden, denn über seine unausgereifte Story kann er einfach nicht funktionieren. Logik uns Sinn sind, wie jedoch bei einem Märchen üblich, Nebensache und darum ist es so wichtig, sich dem gewaltigen Bilderrausch hinzugeben, denn ansonsten werden die ersten Eindrücke, wie bei mir, nicht allzu positiv ausfallen. Die exzellente und auffällige Kamera verschafft allerdings eine hervorragende Ablenkung von jenen Schwachpunkten; besonders dann, wenn sie Aufnahmen durch Glühbirnen oder düstere Fahrten durch die unheimlichen Flure der Tanzschule liefert. Im Einklang mit der riesigen Farbpalette und dem Soundtrack ist die Reizüberflutung letztlich dermaßen hoch, dass es überhaupt nicht möglich ist, sämtliche Details zu erfassen und somit bei jedem Sehen immer wieder neue Eindrücke entstehen.

… als sich schon in den ersten Minuten, in welchen sich Suzy im Taxi zu ihrer neuen Tanzschule chauffieren lässt und zum ersten Mal der Score ertönt, die enorme Intensität aufblitzt, deren Krallen frühzeitig nach den Zuschauern greifen und ihn bis zur letzten Sekunde nicht mehr loslassen. Durch unheimliche, dunkle Wälder und schwere Gewitter führt die Fahrt, tief hinein in das unheilvolle, mit jedem zurückgelegtem Meter spürbarer werdende Verderben. Am Ziel angekommen, setzt Argento sofort den ersten Höhepunkt, der ein Ausmaß erreicht, an welches nahezu kein anderer Horrorfilm über seine komplette Lauflänge herankommt – in diesem Falle sind jedoch gerade einmal 15 Minuten verstrichen. Unglaublich, doch von dort an wird die Spannungsschraube dennoch weiter und weiter angedreht, bis sie den Anschlag erreicht – und noch weiter. Mordszenen sind mehrminütige Kompositionen, die mit seltsamen Geräuschen oder Schatten die Einleitung zur Furcht vor dem Unsichtbaren darstellen, bis sich im Hauptteil tatsächlich ein Verfolger auf die Jagd nach einem Opfer macht und Todesangst erzeugt, die dann schließlich zum Abschluss in einer furiosen und ästhetischen Tötungssequenz endet.

… als die Prog-Rock-Band Goblin den schlichtweg besten Filmsoundtrack aller Zeiten schrieb. Er untermalt das gespenstische Geschehen mit exotischen Instrumenten, die der Atmosphäre eine nochmals undurchdringlichere Dichtheit verleihen, sodass es unmöglich erscheint, ihr auszubrechen. Die Musik lässt sowieso schon einprägsame Momente unvergesslich werden und schafft das, was das Ziel eines jeden Komponisten ist, der für einen Horrorfilm schreibt: sie gruselt. Sie ist schweißtreibend, erzeugt Gänsehaut und erreicht dies sogar schon beim bloßen Anhören, losgelöst von den einzelnen Szenen. In Verbindung mit diesen vermag ich gar nicht mehr zu beschreiben, was die Musik in meinen Gedanken auslöst. Es ist der blanke Horror, den Argento in jeder Hinsicht mit seinem Werk erreicht. Dass dies jedoch unter anderem mit einem kindlichen Spieluhrthema gelingt, ist umso beeindruckender und unterstreicht den märchenartigen Charakter von Suspiria. Auch die Darstellerinnen fügen sich diesem Konzept und wirken mit ihren infantilen Dialogen und ihrem unschuldigen Spiel in dem riesigen Hexenhaus mit hohen Räumen und Türen mit weit oben angebrachten Knäufen und Klinken wie kleine Mädchen. Somit erreichte Argento, dass ein Jeder sich in deren Lage zu versetzen weiß, denn Kind war schließlich jeder und mit Ängsten vor der Dunkelheit, Geräuschen und gespenstischen Gestalten hatten die meisten schon zu kämpfen.

Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, als ich meine innige Liebe zum Meisterwerk Suspiria entdeckte. Der Weg dorthin war steinig und lang, denn ganz gewiss ist es kein perfekter Film, aber trotzdem hat mich Dario Argento mit unvergleichbarer Atmosphäre, Spannung, Musik und Magie verzaubert und meine Gedanken davon besessen gemacht.

„Magic is everywhere“.


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