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Umtriebige Untote

04.01.2021 - 08:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Der Zombie als gesellschaftliches Symbol
AMC
Der Zombie als gesellschaftliches Symbol
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Von der Spukgestalt zum gesellschaftlichen Symbolbild. Kaum eine Figur in der cineastischen Welt bietet so viele Möglichkeiten wie der physische Widergänger. Da verwundert es nicht, dass sich viele Autoren und Filmemacher des lebenden Leichnams annahmen und ihn aus den verschiedensten Blickwinkeln darstellten. Und so wandert unser Zombie bereits durch mehrere Generationen von mehr oder weniger Kreativen und zeigt mitunter erstaunliche Erscheinungsbilder.

Den Ursprung hat unser „Schlafwandler“, wie das Wort „Zom-bi“ frei übersetzt bedeutet, wohl in Nordangola. Dort ließen Medizinmänner missliebigen Personen eine außergewöhnliche Behandlung angedeihen. Man verabreichte ihnen ein Nervengift, das richtig dosiert eine Art Scheintod hervorrief, also den Herzschlag und die Atmung so weit herabsetzte, dass man den Behandelten für tot hielt und ihn bestattete. Ein paar Tage später wurde der Delinquent dann wieder ausgegraben und nachdem das Gift im Körper abgebaut war, erwachte dieser auf wundersame Weise wieder zum Leben. Durch die Vergiftung, den Sauerstoffentzug oder den Schock über diese Behandlung wurden die meisten der Synapsen im Gehirn zerstört. Der Betreffende lebte und atmete zwar noch, war jedoch zu keiner willentlichen Handlung mehr fähig und gehorchte ganz dem Willen eines anderen Menschen. Sogar die grundlegenden Tätigkeiten wie Essen oder Schlafen mussten ihm befohlen werden. Vom Betroffenen selbst ging keinerlei selbständige Aktion oder gar Aggression mehr aus, er war lammfromm, konnte aber noch zu einfachen Arbeiten herangezogen werden.

Mit den afrikanischen Sklaven gelangte diese Methode nach Haiti, wo sie von einigen wenigen Eingeweihten im Verborgenen weiter ausgeübt wurde. Dennoch erlangten amerikanische Besatzer Kenntnis von diesen rätselhaften Vorgängen und Soldaten berichteten nach ihrer Stationierung von den „willenlosen Menschen“ oder „lebenden Toten“ auf Haiti. Damit schien eine mythische Schreckgestalt aus dem europäischen Kulturkreis, der Widergänger, eine reale Bedeutung zu erlangen. Bisher waren klassische Autoren zumeist von feinstofflichen Geistwesen ausgegangen, die mit schaurigem Geheul und Kettengerassel antike Gemäuer unsicher machten. Doch plötzlich hatte man einen feststofflichen Wiedergänger, der tatsächlich – wenn auch nur theoretisch - physische Gewalt auszuüben imstande war. Das wiederum inspirierte Autoren zu einschlägigen Gruselstoffen und bald schon nahmen sich auch die Filmemacher dieser fiktionalen Gestalt an.

Dabei hatten sich willenlose Gestalten, die ganz im Banne eines „Meisters“ standen, bereits ihren Platz in der Themenwelt der Filmemacher erobert. So feierte bereits der „Golem“, ein künstliches Wesen im gleichnamigen Film bereits 1915 fröhliche Urständ und auch im „Cabinet des Doktor Caligari“ erinnert der Somnabule „Cesare“ an einen Zombie. Immer wieder wurde mit dem Widergänger Gänsehaut erzeugt, etwa 1943 in „Ich folgte einem Zombie“. Dennoch es dauerte bis 1968, bis der wandelnde Leichnam eine gesellschaftliche Symbolik erlangte.

Es war George Romero, der in seinem Streifen „Die Nacht der lebenden Toten“ mit dem Zombie seine Form der Globalisierungskritik äußerte. Der wandelnde Leichnam war ein Sinnbild für einen innerlich toten Menschen, der, sämtlicher moralischer, individueller und empathischer Grundlagen beraubt, auf der Suche nach materiellem Wohlstand buchstäblich seine eigene Art auffrisst. Wie die Angestellten eines global agierenden Unternehmens (Stichwort „Corporate Identity“) handeln die Zombies gleichgeschaltet und nur von egoistischen Trieben (Stichwort „Gewinnmaximierung“) bestimmt. Zur Befriedigung ihrer (materiellen) Bedürfnisse überwinden sie sämtliche Hürden, dringen unaufhaltsam in gewachsene Strukturen vor und zerstören diese für ihre eigenen Zwecke.

Leider hatte Romero bei der Umsetzung seiner Kritik kein gutes Händchen und konterkarierte in „Dawn Of The Dead“ seine eigene Botschaft. In diesem wurde eine kleine elitäre Gruppe (die Überlebenden) gezeigt, die - verschanzt in einem Einkaufszentrum - dort in materiellem Überfluss lebt, während die breite Masse (also die Zombies) von diesem Wohlstand ausgeschlossen bleibt. Versucht einer der Ausgeschlossenen, in den elitären Wohlstandkreis einzudringen, so wird er erschossen. Lediglich der Konflikt mit einer anderen elitären Gruppe (der Rockergang) ermöglicht es den Ausgeschlossenen, in die Wohlstandgesellschaft einzudringen. Dabei zerstören sie diese völlig und hinterlassen Devastierung. Es schien also eher eine Botschaft an Vermögende zu sein, zusammenzuhalten und von ihrem Reichtum ja nichts abzugeben, widrigenfalls es ihnen wie unseren Überlebenden ergehen würde. Entsprechend musste Romero für diesen Streifen auch mediale Prügel einstecken, was dem Erfolg des Filmes aber keinen Abbruch tat.

Der Film schockierte Publikum wie Kritiker gleichermaßen - jedoch weniger wegen der Gesellschaftskritik, sondern wegen der gezeigten expliziten Szenen. In seiner Kritik fügte Romero dem Zombiegenre jedoch eine wesentliche Komponente hinzu: Ein Zombie konnte einen getöteten Menschen „anstecken“: soll heißen, dass der vom Zombie Getötete seinerseits als Zombie wiederaufsteht. Damit zeigte er das um-sich-Greifen des Kapitalismus, also den Umstand, dass ein mit Egoismus nach Wohlstand Strebender andere nach sich zieht, die ihrerseits wieder mit Egoismus nach Wohlstand streben. Er setzte die von Weltkonzernen praktizierten negativen Geschäftspraktiken mit einer um sich greifenden Seuche gleich.

Bei einer gesellschaftlichen Randgruppe, den „Punks“, kam der Zombie besonders gut an. Für sie verkörperte der schlurfende Widerauferstandene jene Menschen, die ihnen mit ihrer besonders angepassten und obrigkeitshörigen Art zu leben ein Dorn im Auge waren. Die von den Punks als „Zombies“ betitelten Menschen gingen Tag für Tag zur Arbeit und ließen sich danach vom Fernsehen noch weiter verblöden. Sie hingen keinem politischen oder andersgearteten Interesse an und richteten sich nach der Mehrheit. Eine tiefere Emotionalisierung oder Empathie für die Mitmenschen wurde diesen Leuten nicht zugestanden.

Romeros Erfolg zog eine Flut von weiteren Produktionen dieser Art nach sich: Das Zombie-Untergenre war geboren. All jene folgenden Filme ließen jedoch die romero´sche Kritik völlig außen vor und konzentrierten sich mehr auf die schockierende Wirkung gewaltverherrlichender Bilder. Dabei ging die Gewalt nicht nur von den Zombies aus, sie richtete sich auch gegen sie. Einen Zombie zu töten war in Ordnung, handelte man dabei letzten Endes ja in Notwehr. Dabei gingen die Produzenten immer extremere Wege und steigerten die Schock-Dosis kontinuierlich. Sie schienen einander mit Grauslichkeiten geradezu übertrumpfen zu wollen und das fiel bei einem gewissen Publikum auf wohlwollendes Interesse. Die Aussage verschwand im Laufe der nächsten Jahre völlig und machte einer reinen Blut- und Gedärmeschlabberei Platz. Themen wie Umweltzerstörung, Gefahren neuer Techniken und die altbekannte Globalisierungskritik wurden dann und wann zwar wieder angerissen, dienten jedoch lediglich als Vorwand für ausufernde Blutopern.

Mitte der achtziger Jahre schien der Zombie schließlich endgültig zur Trash-Hölle gefahren zu sein und Anfang der neunziger Jahre hatte sich das Genre endgültig totgelatscht. Der langsam vor sich hin schlurfende Zombie hatte seinen Schrecken verloren und wurde lediglich in einigen Parodien der Lächerlichkeit preisgegeben.

Es folgten Jahre der Nichtbeachtung, lediglich eine Unterart des Zombiehorrors, nämlich der Infizierten-Horror konnte an den Kinokassen wieder punkten. Es waren von einem Virus Infizierte und zu reißenden Bestien Mutierte, die durch ihre größere Dynamik wieder punkten konnten. Anders als die sich quasi in Zeitlupe bewegenden Zombies sprinteten sie ihren Opfern nach und erzeugten damit eine wesentlich höhere Intensität, da man den Infizierten nicht mehr so einfach davonlaufen konnte. Die Opfer mussten sich ausgefeiltere Überlebens-Strategien einfallen lassen und das fachte das Interesse kurzfristig wieder neu an. Es folgten qualitativ unterschiedliche Produktionen, die dem Genre durch frische Ideen wieder neues Leben (sic!) einhauchen konnten.

Apropos „frische Ideen“: In den letzten Jahren besannen sich einige Autoren wieder der gesellschaftlichen Komponenten des Zombies und lieferten einige durchaus interessante Denkansätze. In dieser Art möchte ich etwa die Filme „A Girl with all the Gifts“ oder „The Cured – Infiziert – Geheilt – Verstoßen“ anführen, die die Denkmuster konsequent weiterführen. Besonders ersterer lohnt einen Blick, da er die Zombies/Infizierten aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet.

Die neue Betrachtung führte sogar so weit, dass einige Autoren die Zombies an den Rand ihrer Geschichten schoben und der Zombie-Apokalypse den Stellenwert einer Naturkatastrophe zuschrieben. Die Zombies stellten eine latente, aber nicht riesengroße Gefahr da, der man mit einigen Vorsichtsmaßnahmen durchaus entgehen konnte. Im Zentrum des Interesses standen nunmehr die Interaktionen der Überlebenden, ihre zwischenmenschlichen Dynamiken, Gruppen- und Cliquenbildung, Rivalitäten usw. In „The Walking Dead“ etwa wird hier in dieser Weise vorgegangen und Uwe Boll zeigt in „Anger of the Dead“ das verrohte und entmenschlichte Verhalten der Überlebenden sogar als höhere Gefahr als jenes der körperlich und geistig limitierten Zombies.

Und auch gesellschaftlich hat sich einiges für unseren Zombie geändert. Mittlerweile hat sich der schwankende Untote zu einem Symbol für einen nicht am „echten“ Leben teilhabenden Menschen gewandelt - also für jemanden, der mehr und mehr in eine nicht existente, virtuelle (Spiele-)Welt abtaucht und an der realen Welt desinteressiert ist. Es gibt den Gamer-Zombie, den Smartphone-Zombie und etliche andere Unterarten. Diese verlieren sich in künstlichen, interaktiven Welten und können mit der als kompliziert und abstrakt empfundenen realen Welt nichts mehr anfangen. Materielle Werte spielen dabei kaum mehr eine Rolle.

Man kann gespannt sein, welche Wege der schlurfende Untote oder der sprintende Infizierte weiterhin einschlagen werden. Obwohl ich persönlich nicht glaube, dass aus dieser Ecke noch viel Innovatives daherkommen wird, so lasse ich mich gerne positiv überraschen. Billige Trash-Streifen gibt es gerade in diesem Genre zur Genüge, da wird es jetzt wieder Zeit für ein paar hochständigere Produktionen. Die im oberen Absatz genannten könnten ja durchaus die Vorhut für eine Reihe interessanterer Produktionen sein.

Zum Abschluss möchte ich den geneigten Leser noch bitten, seinen Lieblings-Zombie/Infizierten-Film mit uns zu teilen. Von der Hochglanz-A-Produktion bis zum letzten Trash-Machwerk sei hier alles willkommen, es zählen der eigene Geschmack und die individuelle Lust und Laune (wir sind ja alle Wesen mit unterschiedlichem Vorlieben und keine der … eh schon wissen). Und wir wollen unserem Lieblings-Zombie hier ja die - hoffentlich nicht letzte – Ehre erweisen.

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