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Weshalb lehnt das breite Genre-Publikum hochgelobte Filme wie 'Blade Runner‘ ab?

22.02.2018 - 21:17 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Rutger Hauer findet findet 'Blade Runner 2049' unnötig
© Warner-Columbia Filmverleih
Rutger Hauer findet findet 'Blade Runner 2049' unnötig
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Immer wieder gibt es auf MP Diskussionen zu diesem Thema, worin auch Beiträge von mir verstreut sind. Nun habe ich die Fakten zusammengefasst und auskristallisiert, um das Phänomen zu beleuchten.

Manch einer mag schon bei der These den Kopf schütteln, dass das Publikum in seiner großen Mehrheit ein von den Fans so wahrgenommenes Meisterwerk wie 'Blade Runner' (1982) ablehnt. Sprechen doch die Höchstnoten hundertausender Filmfans in entsprechenden Foren eine scheinbar eindeutige Sprache: MP: 8,0 (22.000 User), IMDb: 8,2 (577.000 User). Können sich so viele Leute irren? Gewiss nicht für sich selbst betrachtet, doch es gibt noch ein um zwei Größenordnungen bedeutenderes Publikum, das eine andere Meinung hat, aber nicht so leicht in Zahlen fassbar ist. Es ergibt sich, dass die öffentlich sichtbare Meinung von Kritikern in den Medien sowie Leuten in Filmforen dominiert wird, deren Vertreter von ihrer Ausrichtung keinen repräsentativen Teil des gesamten Publikums bilden, was eine simple Rechnung zeigt:

1982 war 'Blade Runner' Ridley Scotts lang erwarteter SF-Genre-Nachfolger zu 'Alien' (1979). 'Alien' spielte 204 Mio.$ ein, während 'Blade Runner' lediglich auf 33 Mio.$ kam, eine Differenz von 171 Mio.$ (https://www.the-numbers.com/movie/Blade-Runner#tab=box-office ). Wenn man nun die damaligen Eintrittspreise kennt, kann man ausrechnen, wie viele Leute im Kino waren. 1979 kostete eine Eintrittskarte im Schnitt 2,47 $; 1982: 2,94 $ (http://www.natoonline.org/data/ticket-price/ ).

Das heißt, etwa 82,5 Mio. Leute bezahlten für 'Alien', aber nur grob 11 Mio. für 'Blade Runner', obwohl 'Alien' aus dem Nichts kam und 'Blade Runner' der mit Vorschusslorbeeren bedachte, lang ersehnte Scott-Nachfolger war.

Im Klartext: 71,5 Mio. potentiell interessierte Leute blieben weg, weil die 11 Mio., die in 'Blade Runner' waren, sich überwiegend gelangweilt haben und deren negative Mundpropaganda verhinderte, dass interessierte Leute den Film sehen (zur Bedeutung der Mundpropaganda: siehe z.B. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/mathematisches-modell-mundpropaganda-entscheidet-ueber-kinoerfolg-a-360622.html . Das wahre Ausmaß der Ablehnung muss jedoch größer als 71,5 Mio. sein, weil eine enttäuschte Mehrheit der 11 Mio. Zuschauer den Film nie gesehen hätte, wenn sie nicht aus 'Alien'-Überzeugung gekommen wäre. Man kann daher davon ausgehen, dass damals grob 80 Mio. Genre-Anhänger 'Blade Runner' gegenüber skeptisch bis ablehnend eingestellt waren, und die sind es aller Wahrscheinlichkeit nach auch heute noch - so leicht ändert sich der Geschmack nicht. Selbst wenn aus den Statistiken 20 Mio. Leute auf die Seite der 'Blade Runner'-Liebhaber zu interpretieren sind, bleibt die Größenordnung der Ablehnung erhalten.

Es lässt sich sogar argumentieren, dass noch viel weniger Zuschauer zu 'Blade Runner' gekommen wären, wäre das Scotts Erstling gewesen. Vielleicht hätte es dann 'Alien' nie gegeben, weil Scott das Trauma eines Megaflops angehangen wäre, was eine Finanzierung erheblich erschwert. Seien wir froh......


Woran liegt es?

Der Grund, weshalb gelobte Filme wie 'Blade Runner' (1982), 'Blade Runner 2049' (2017), 'Ex-Machina' (2014), 'Solaris' (2002), aber auch außerhalb des Genres z.B. 'Der letzte Kaiser' (1987, 9 Oscars!), 'Silence' (2016) floppten, ist nicht zerebrales Kino, oder in der Anforderung eine Überschreitung des IQs der Zuschauer, sondern die üblicherweise langsam-langatmige Inszenierform, begleitet von einem zähen Handlungsfortschritt, was die Aufmerksamkeitsspanne des breiten Durchschnittspublikums überfordert. Oft werden ausgerechnet solche Filme auch noch in Überlänge präsentiert. Salopp formuliert: die große Mehrheit langweilt sich bei gedehnter Ereignisarmut im Schneckentempo, v.a. im SF-Genre, weniger jedoch bei Dramen.

Würden die Macher solcher Filme nur etwas Kompromissbereitschaft zeigen, die Handlung dichter inszenieren, von Überlänge absehen und im Tempo einen Gang höher schalten, könnten sie ihre durchaus interessanten Inhalte unverändert einem größeren Publikum unterbreiten, ohne dass es zu katastrophalen Flops kommt. Definitiv reden wir hier nicht davon, dass das breite Genre-Publikum mit Hirn-aus-Action bedient werden muss, aber um es anzusprechen, muss man schon einen Schritt aus dem (Art-)Haus kommen.

Wer diesen Kompromiss nicht macht, darf sich auch nicht darüber beklagen, dass er in völliger Vorhersehbarkeit z.T. hohe zweistellige Millionenbeträge in den Sand setzt, wie zuletzt Denis Villeneuve


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