Immer wieder gibt es auf MP Diskussionen zu diesem Thema, worin auch Beiträge von mir verstreut sind. Nun habe ich die Fakten zusammengefasst und auskristallisiert, um das Phänomen zu beleuchten.
Manch einer mag schon bei der These den Kopf
schütteln, dass das Publikum in seiner großen Mehrheit ein von den Fans so wahrgenommenes Meisterwerk wie 'Blade Runner' (1982) ablehnt. Sprechen doch die
Höchstnoten hundertausender Filmfans in entsprechenden Foren eine scheinbar
eindeutige Sprache: MP: 8,0 (22.000 User), IMDb: 8,2 (577.000 User). Können
sich so viele Leute irren? Gewiss nicht für sich selbst betrachtet, doch es
gibt noch ein um zwei Größenordnungen bedeutenderes Publikum, das eine andere
Meinung hat, aber nicht so leicht in Zahlen fassbar ist. Es ergibt sich, dass
die öffentlich sichtbare Meinung von Kritikern in den Medien sowie Leuten in
Filmforen dominiert wird, deren Vertreter von ihrer Ausrichtung keinen repräsentativen
Teil des gesamten Publikums bilden, was eine simple Rechnung zeigt:
1982 war 'Blade Runner' Ridley Scotts lang
erwarteter SF-Genre-Nachfolger zu 'Alien' (1979). 'Alien' spielte 204 Mio.$
ein, während 'Blade Runner' lediglich auf 33 Mio.$ kam, eine Differenz von 171
Mio.$ (https://www.the-numbers.com/movie/Blade-Runner#tab=box-office).
Wenn man nun die damaligen Eintrittspreise kennt, kann man ausrechnen, wie
viele Leute im Kino waren. 1979 kostete eine Eintrittskarte im Schnitt 2,47 $;
1982: 2,94 $ (http://www.natoonline.org/data/ticket-price/).
Das heißt, etwa 82,5 Mio. Leute bezahlten für
'Alien', aber nur grob 11 Mio. für 'Blade Runner', obwohl 'Alien' aus dem
Nichts kam und 'Blade Runner' der mit Vorschusslorbeeren bedachte, lang
ersehnte Scott-Nachfolger war.
Im Klartext: 71,5 Mio. potentiell interessierte
Leute blieben weg, weil die 11 Mio., die in 'Blade Runner' waren, sich
überwiegend gelangweilt haben und deren negative Mundpropaganda verhinderte,
dass interessierte Leute den Film sehen (zur Bedeutung der Mundpropaganda:
siehe z.B. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/mathematisches-modell-mundpropaganda-entscheidet-ueber-kinoerfolg-a-360622.html.
Das wahre Ausmaß der Ablehnung muss jedoch größer als 71,5 Mio. sein, weil eine
enttäuschte Mehrheit der 11 Mio. Zuschauer den Film nie gesehen hätte, wenn sie
nicht aus 'Alien'-Überzeugung gekommen wäre. Man kann daher davon ausgehen,
dass damals grob 80 Mio. Genre-Anhänger 'Blade Runner' gegenüber skeptisch bis
ablehnend eingestellt waren, und die sind es aller Wahrscheinlichkeit nach auch
heute noch - so leicht ändert sich der Geschmack nicht. Selbst wenn aus den
Statistiken 20 Mio. Leute auf die Seite der 'Blade Runner'-Liebhaber zu
interpretieren sind, bleibt die Größenordnung der Ablehnung erhalten.
Es lässt sich sogar argumentieren, dass noch viel
weniger Zuschauer zu 'Blade Runner' gekommen wären, wäre das Scotts Erstling
gewesen. Vielleicht hätte es dann 'Alien' nie gegeben, weil Scott das Trauma
eines Megaflops angehangen wäre, was eine Finanzierung erheblich erschwert.
Seien wir froh......
Woran liegt es?
Der Grund, weshalb gelobte Filme wie 'Blade Runner'
(1982), 'Blade Runner 2049' (2017), 'Ex-Machina' (2014), 'Solaris' (2002), aber
auch außerhalb des Genres z.B. 'Der letzte Kaiser' (1987, 9 Oscars!), 'Silence'
(2016) floppten, ist nicht zerebrales Kino, oder in der Anforderung eine
Überschreitung des IQs der Zuschauer, sondern die üblicherweise
langsam-langatmige Inszenierform, begleitet von einem zähen
Handlungsfortschritt, was die Aufmerksamkeitsspanne des breiten
Durchschnittspublikums überfordert. Oft werden ausgerechnet solche Filme auch noch
in Überlänge präsentiert. Salopp formuliert: die große Mehrheit langweilt sich
bei gedehnter Ereignisarmut im Schneckentempo, v.a. im SF-Genre, weniger jedoch
bei Dramen.
Würden die Macher solcher Filme nur etwas
Kompromissbereitschaft zeigen, die Handlung dichter inszenieren, von Überlänge
absehen und im Tempo einen Gang höher schalten, könnten sie ihre durchaus
interessanten Inhalte unverändert einem größeren Publikum unterbreiten, ohne
dass es zu katastrophalen Flops kommt. Definitiv reden wir hier nicht davon,
dass das breite Genre-Publikum mit Hirn-aus-Action bedient werden muss, aber um
es anzusprechen, muss man schon einen Schritt aus dem (Art-)Haus kommen.
Wer diesen Kompromiss nicht macht, darf sich
auch nicht darüber beklagen, dass er in völliger Vorhersehbarkeit z.T. hohe
zweistellige Millionenbeträge in den Sand setzt, wie zuletzt Denis Villeneuve