Community

Wieso „Avengers: Endgame“ ein unbefriedigendes Ende ist

02.05.2019 - 20:15 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
I should have gone for a good story
Disney
I should have gone for a good story
0
0
Dieser Artikel ist eine Fortsetzung meiner Kritik und meines letzten Blogeintrages. Meine persönlich größten Probleme werden hier noch einmal konzentriert und zusammengefasst:

https://www.moviepilot.de/movies/avengers-4-endgame/kritik/1949750

https://www.moviepilot.de/news/everything-wrong-with-avengers-endgame-1118283


„Avengers: Endgame“ ist kein Avengers-Film

Together?

Nach „Infinity War“ blieb ein letztes Versprechen übrig. Mit „Avengers: Endgame“ sollte nicht nur der Abschluss für die Original-Avengers erfolgen, sondern auch ein letzter richtiger Avengers-Film über die Leinwände flimmern. „Avengers: Infinity War“ beinhaltete zwar das Wort „Avengers“ in seinem Titel, war aber eindeutig auf den lange Zeit angekündigten Bösewicht Thanos fokussiert. Und das ist verständlich und hat den dritten gemeinsamen Film der Heldentruppe zum Besten innerhalb des gesamten MCUs gemacht. „Infinity War“ war kein Avengers-Film. „Endgame“ ist es ebenso wenig. Dieser Film ist vielleicht aus der Sichtweise der Avengers erzählt, aber das reicht bei weitem nicht aus. Die Russo-Brüder inszenieren mit „Avengers: Endgame“ einen Abschluss für 11 Jahre Marvel Cinematic Universe und verstricken sich dabei in einen nostalgischen Fanservice-Trip, wonach niemand gefragt hat. Das ist kein Abschluss für die sechs Ur-Avengers, sondern eine inszenierte Bilderbuchstrecke. „Wisst ihr noch damals? Marvel’s The Avengers und Winter Soldier?“ – Hä, ja! Jeder Fan hat diese Filme hundert Mal gesehen, das letzte Mal wahrscheinlich sogar erst in den letzten 1-2 Wochen vor Kinostart. Und jetzt besteht euer Plot aus einer Rückschau? Die Filme sind nicht 20 Jahre alt, sondern gerade mal 5, 6 oder 7 Jahre. Diese Besichtigungstour der letzten Jahre und der damit suggerierte Versuch irgendetwas abschließen zu wollen, ergibt außerdem wenig Sinn, da die meisten Helden sowieso noch ihre Fortsetzungen erhalten bzw. vor kurzem erst eingeführt worden sind.

Aber was zeichnet einen Avengers-Film eigentlich aus? Mit welchen törichten Erwartungen ist dieser User wohl an „Endgame“ herangetreten? Nun, wie wäre es zunächst einmal damit die sechs Helden (+ War Machine, Ant-Man und Nebula) gemeinsam ein Abenteuer erleben zu lassen (?). Die Avengers haben gemeinsam eine Mission zu erledigen, ein Problem zu lösen. Und am besten funktioniert das immer noch dadurch, indem man die Figuren miteinander interagieren lässt. Die Avengers müssen zusammen Siege feiern können und Niederlagen ertragen müssen. Stattdessen begehen die Russos ähnliche Fehler, die bereits das "Star Wars"-Franchise zuletzt aushalten musste: Die Protagonisten werden getrennt. Die Figuren leiden nicht zusammen, kämpfen nicht zusammen. Niederlagen werden nicht physisch geteilt, sondern im Nachhinein mitgeteilt (Bsp.: Black Widows Tod). Und damit kommen wir zum nächsten Punkt: Interaktion. Die Avengers sprechen miteinander, keine Frage, aber Konflikte werden kaum gemeinsam ausgetragen bzw. diskutiert. Joss Whedon hat genau das verstanden und die Geschichte immer wieder auf die originalen Sechs konzentriert. Wann stehen die Helden denn mal zusammen vor der Kamera und sprechen? Tony Stark und Steve Rogers erhalten einige Momente, danach folgt ein mit Witzen übersäter 2. Akt, bis sich die Avengers schließlich in mehrere Realitäten aufteilen, um letztendlich in einer finalen Schlacht erneut auseinandergerissen zu werden oder im Effektspektakel völlig zu verschwinden.


Thanos' starke Geschichte aus „Infinity War“ wird einfach weggeworfen

Reality is often disappointing.

„Avengers: Endgame“ zeigt einen anderen Thanos, als ihn das MCU und vor allem „Infinity War“ zuvor aufgebaut hat. Ihm fehlt die charakterliche Tiefe, die durch sein frühzeitiges Ableben ausgelöscht wurde. Ihm fehlt die nötige Bindung an die Avengers gegen die er zuvor bis zum Blut gekämpft hat, weswegen er letztendlich den Wert und die Schwere seiner Niederlage gar nicht zu spüren bekommt. Das manifestiert sich besonders im finalen Aufeinandertreffen mit Scarlet Witch, die er, wie Thanos richtigerweise eingestehen muss, überhaupt nicht kennt. Gleiches gilt für den eigentlich starken „I am Iron Man“-Moment, dessen Ironie und Tragik Thanos gar nicht mehr einzuschätzen weiß, da ihm all die Erfahrung fehlt, die er im Vorgänger zuletzt auf Titan mit Tony Stark gesammelt hat. Thanos' nicht zu brechender Wille, seine unerschütterliche Ideologie wird einfach fallen gelassen und durch einen redundanten Weltvernichtungsplan ersetzt. All die grandiose Arbeit, welche im Vorgänger geleistet wurde, lassen die Russos durch einen ungeschickten und letztendlich fehlgeschlagenen zweiten Teil fallen. Hier kämpft nicht der Thanos, den wir in „Infinity War“ lieben gelernt haben, es kämpft jemand anderes, buchstäblich jemand aus einer anderen Realität.

Thanos ursprünglicher Plan wird dabei auch nie wieder angesprochen, geschweige denn ob dieser Plan einen sinnvollen Wert für das Universum hatte. Wie sagte Steven Rogers in „Age of Ultron“ noch: „Ultron thinks we’re monsters. That we’re what’s wrong with the world. This isn’t just about beating him. It’s about whether he’s right.“ – Diese Antwort bleibt uns „Endgame“ bezüglich Thanos schuldig. Der gesamte Aufbau in „Infinity War“ wird ignoriert. Dazu kommt noch eine heitere und mit Witzen überladene Stimmung im tonal völlig unausgeglichenen sowie unverständlichen 2. Akt, wodurch das Gewicht und die Bedrohung, die ohnehin schon nicht mehr so groß wie im Vorgänger ist, gänzlich konterkariert werden.


„Endgame“ schließt das Kapitel von Iron Man und Captain America, aber von Niemand sonst.

Where is my ending?

Der Film nimmt sich reichlich Zeit dafür, die genannten Helden würdig abtreten zu lassen. Zeit, die ansonsten niemand erhält. Was ist mit Gamora und Nebula, die nahezu gar keine Momente mehr mit ihrem Vater spendiert bekommen, aber in „Infinity War“ noch die emotionale Verbindung zu Thanos waren? Was ist mit Drax, der nun seit Jahren nach Rache sucht und seine Beziehung zu Thanos gänzlich ignoriert wird? Was ist mit Hulk, der zuletzt von Thanos böse zugerichtet wurde, der zumindest irgendeinen Moment verdient hätte? Stattdessen darf Captain America einen 10 minütigen Kampf mit ihm führen, der in „Infinity War“ überhaupt nichts mit Thanos zu tun hatte, außer dass er nach kurzem Händchenhalten sofort K.O. geschlagen wurde. Dazu erfahren andere Teammitglieder außer Tony Stark und Steve Rogers keinen befriedigenden Abschluss. Professor Hulk steht wohl zukünftig auf Abruf bereit oder was soll mit ihm in Phase 4 passieren? Die Entwicklung und Beziehung zum ursprünglichen Hulk wurde ohnehin fallengelassen und mit ihm wussten die Russos offensichtlich nichts anzufangen, außer dass er schlicht anwesend ist. Thor wird ebenso kein Abschluss gegönnt. Seine Wiedervereinigung mit den Guardians ist zwar irgendwo konsequent, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass seine Handlung weiterhin in der Schwebe steht. Nun wird die Figur einem James Gunn aufgedrückt, bei dem wohl abzuwarten bleibt, inwiefern er den Donnergott überhaupt nutzt. So wäre es doch deutlich befriedigender und abschließender gewesen, wenn sich Thor in New Asgard vorläufig zur Ruhe gesetzt hätte. James Gunn und andere Marvel-Produktionen hätten ihn schließlich immer noch abrufen können, wenn es denn zwingend nötig wäre.


„Endgame“ hat inszenatorisch weder die Größe, noch die visuelle Kraft seines Vorgängers

Let me guess, "Infinity War"?

Die MCU-Filme mussten in der Vergangenheit des Öfteren Kritik für ihren visuellen Stil ernten. Manchmal zu Recht, manchmal aber auch stark übertrieben. Filme, wie „Civil War“, „Black Panther“ und zuletzt „Captain Marvel“ haben durchaus Schwierigkeiten, von einem rein optischen Standpunkt, ob dies nun am CGI oder an der generellen Inszenierung liegt. Dagegen hebt sich ein „Infinity War“ deutlich ab und war von den Russos nicht nur ein großer Fortschritt gegenüber „Civil War“, sondern visuell und inszenatorisch teilweise auch eine Messlatte für so manchen anderen Science-Fiction Blockbuster. „Infinity War“ ist sehr gut inszeniert, hat ein paar streitbare CGI-Momente, ist insgesamt aber einfach ein großer, beeindruckender Science-Fiction/Fanatsy Blockbuster, der mit seinen Settings manchmal mehr "Star Wars"-Feeling aufkommen ließ, als die letzten beiden Star Wars Filme. Und wie sieht dann plötzlich diese Fortsetzung namens „Avengers: Endgame“ aus? Besonders schockiert hat auch hier wieder der 2. Akt des Films, der in einer grauen, kreativlosen, settingarmen, seelenlosen Fernsehoptik gedreht wurde, wie es dem Kino kaum würdig erscheint. Wo sind die 300+ Mio. Dollar Budget eigentlich hingeflossen? Wo sind die bunten, kreativen und aufregenden Settings aus „Infinity War“? „Endgame“ kann damit nur noch in den wenigsten Momenten glänzen.

Des Weiteren gesteht „Avengers: Endgame“ als erster MCU-Film zweifelsfrei ein, dass das ganze MCU eine riesige Seifenoper ist. Das stört sowohl bei der Konzeption der Geschichte, als auch bei der audiovisuellen Ausführung. Die Filme des MCUs konnten immer für sich alleine stehen. Jeder Nicht-Fan konnte einen Avengers-Film und einen Origin-Film verstehen, ohne je einen anderen Film gesehen zu haben. Jeder MCU-Film war zu 95% ohne Erklärungen und die Vorgänger verständlich. „Endgame“ hat dieses Gespür endgültig abgelegt. Nun sei einzuwenden, dass bereits für „Infinity War“ sehr viel Vorwissen vorausgesetzt wurde. Das war aber auch die Aufgabe des Films. „Infinity War“ hatte all die Handlungsstränge und Charaktere zu verbinden, „Endgame“ braucht nur noch daran anzuknüpfen. Stattdessen muss man nun für diese Film sogar noch mehr gesehen haben als für „Infinity War“. Für den Vorgänger sollte man mindestens einen Avengers-Film, einen Guardians-Film, „Civil War“ und vielleicht noch „Thor: Ragnarok“ gesehen haben. Als Grundwissen reichen diese Filme völlig aus. Der Film scheitert aber auch nicht daran, wenn man bspw. die Guaridans zuvor nie kennengelernt hat. Für „Endgame“ erdreistet sich Marvel nun nicht nur „Infinity War“ gesehen zu haben, sondern man muss (!) auch „Captain Marvel“ gesehen haben - ohne die Post-Credit-Szene versteht man ihre Rolle überhaupt nicht. Man muss (!) für den 2. Akt des Films Marvel's The Avengers, Thor: The Dark World, Guardians of the Galaxy und Winter Soldier gesehen haben, da die Zeitreisesequenz ohne die ganzen Referenzen und den Fanservice völlig in sich zusammenbricht. „Ant-Man and the Wasp“ sowie „Civil War“ sollte man außerdem auch gesehen habe, da bspw. zu der weiterführenden Rolle von Ant-Man gar keine Erklärungen angestellt werden. Man weiß nichts über diese Figur, ihre Motivation und ihren Ursprung, wenn man nicht den letzten Film gesehen hat. Solche Problematiken hat das MCU in der Vergangenheit deutlich besser gelöst. Für „Infinity War“ sollte/konnte man sich frühere MCU-Filme ansehen, für „Endgame“ muss man es und zwar ganz bestimmte. Dieser Film ist der erste MCU-Film, der nicht eigenständig funktioniert und stattdessen das Serienfinale einer langen Seifenoper darstellt. „Endgame“ behauptet plötzlich, dass das MCU dermaßen in der Popkultur verankert sei, dass ja jeder Zuschauer all das verstehen müsse. Die Fanbase ist zweifelsfrei riesig, aber diese Annahme ist schlicht ein Trugschluss. Das MCU ist kein "Star Wars", hat nicht diesen Status, bei dem selbst jeder Mensch Darth Vader und Yoda kennt, der noch nie in seinem Leben einen "Star Wars"-Film gesehen hat.

„Avengers: Endgame“ ist rein als Film betrachtet schlicht schlechter als „Infinity War“, sowohl in der Geschichte, als auch in visueller Form. Comic- und Fanservice-Fans mag „Endgame“ mehr gefallen, Filmfans werden sich ohne Zweifel für „Avengers: Infinity War“ entscheiden.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News