Der Schauspieler Joaquin Phoenix ist den meisten von uns bestens bekannt für seine Darstellung des fiesen Commodus in Gladiator (2000) von Ridley Scott und des Countrysängers Johnny Cash in Walk the Line (2005). Für beide Rollen war Joaquin Phoenix für den Oscar nominiert und es besteht kein Zweifel, dass er zu einem der wichtigsten Darsteller in Hollywood aufgestiegen war.
Im Jahr 2008 spielte er an der Seite von Gwyneth Paltrow in der Romanze Two Lovers, doch kurz darauf gab Joaquin Phoenix völlig überraschend seinen Rücktritt vom Schauspielerdasein bekannt. Während der Promo-Tour für den Film trat er auch bei David Letterman auf, doch nicht nur der Moderator konnte damals seinen Augen kaum trauen. Hinter einem wuchernden Rübezahl-Bart war Joaquin Phoenix nicht nur kaum wiederzuerkennen, sondern was vor allem irritierte, war sein völlig apathisches Auftreten. Letterman konnte ihm kaum ein Wort entlocken, bei den einfachsten Fragen starrte Joaquin Phoenix nur teilnahmslos vor sich hin, so dass selbst der erfahrene Showmaster nicht mehr so recht wusste, wie er mit seinem Gast umgehen sollte. Letterman beendete das Interviews schließlich mit den Worten:„Joaquin, I’m sorry you couldn’t be here tonight.“ Hier noch einmal das legendäre Interview:
Der Auftritt ließ die Öffentlichkeit ratlos zurück: War dies nun ein geplanter Coup, eine brillante Vorführung von Method-Acting, oder mussten wir uns tatsächlich Sorgen machen um den Geisteszustand des Joaquin Phoenix. Tatsächlich verschwand der Schauspieler in der Folge gänzlich aus der Öffentlichkeit, erst jetzt meldet er sich mit einem Film zurück, dessen Titel wie eine Reaktion auf Lettermans Verabschiedung scheint: I’m Still Here. Doch der Film, inszeniert von Phoenix’ Schwager Casey Affleck, gibt dem Zuschauer offenbar nur weitere Rätsel auf, denn es ist nicht klar, was wir mit dieser sogenannten Dokumentation über Joaquin Phoenix’ Wechsel vom Schauspieler zum Hip-Hop Musiker eigentlich vorgesetzt bekommen. Hier ein kurzes Echo der Reaktionen auf I’m Still Here:
Peter Travers vom Rolling Stone zweifelt stark an der Authentizität des Materials: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch nur ein Wort des Films geglaubt habe. Schauspieler, die vor der Kamera zusammenbrechen, sind üblicherweise, nun ja, am Schauspielern.“ Gleichzeitig, ist der Kritiker von dem Film äußerst angetan: „Aber ich konnte meine Augen nicht von I’m Still Here abwenden. Afflecks provokative, postmoderne Herangehensweise an JP als Witzfigur und Opfer zugleich ist der äußerste Sturz in das dunkle Herz von unserer „Reality“ Kultur, seit Sacha Baron Cohen Borat erfand.“
Ganz anderer Meinung ist Roger Ebert , der glaubt, dass „all das wahr ist. Zumindest müssen wir davon ausgehen.“ Ebert ist deshalb auch zutiefst geschockt von diesem Dokument: „Seinen Verstand zu verschwenden ist eine furchtbare Sache. Die Tragödie von Joaquin Phoenix’ Selbstzerstörung wurde in I’m Still Here dokumentiert, eine traurige und schmerzvolle Dokumentation, die wenig mehr Nutzen hat, als noch einen weiteren Nagel in den Sarg zu schlagen. Wir haben hier einen talentierten Schauspieler, der offenbar aus eigener Entscheidung heraus Trostlosigkeit über sich kommen ließ.“
Für Claudia Puig von der USA Today ist gerade diese Ungewissheit, in der einen der Film lässt, ein KO-Kriterium: „Es ist unklar auf welchen Kosten nun der Witz gehen soll – des Publikums, Hollywoods, des Boulevardjournalismus? Was genau, ist der Punkt von einem Witz, den niemand versteht?“
Michael Phillips von der Chicago Tribune ist in dieser Hinsicht noch radikaler, wenn er schreibt: „Selten hat die Frage des Gegenstands einer Dokumentation weniger bedeutet. Ich habe diesen Film wirklich gehasst, fast so sehr, wie ich Phoenix’ Arbeit bewundert habe, von Gladiator bis zu Walk the Line und sogar in dem abgedroschenen aber bewegenden Two Lovers .“
Deutlich differenzierter versucht Owen Gleiberman von Entertainment Weekly die Angelegeneheit und den Film zu betrachten: „Hatte Phoenix eine Art Nervenzusammenbruch – oder war sein schäbiger Gammlerauftritt (bei David Letterman) ein ausgeklügelter Schwindel? I’m Still Here, Casey Afflecks faszinierende und unheimliche Dokumentation über seinen Schwager ist ein kraftvoller Beweis, dass die Antwort weder-noch heißt – und dass es tatsächlich noch viel trauriger ist.“
So oder so, auch Tasha Robinson vom A.V. Club sieht großen Wert in diesem schonungslosen Werk: „Wenn I’m Still Here eine Dokumentation ist, dann ist es eine zutiefst peinliche, in der Affleck Phoenix’ Seele als flach und verdorben bloßgestellt hat. Wenn es aber eine Mockumentary ist, dann liegt ihr größter Wert darin, die Leichtgläubigkeit der Medien aufgezeigt und die Zuschauer daran erinnert zu haben, dass sie auch in Zeiten eingeschränkter Privatsphäre stets in Frage stellen müssen, was ihnen erzählt wird, und selbst das, was sie mit eigenen Augen sehen. Das ist grausam, so oder so, aber es ist nicht weniger fesselnd.“
Es ist eher unwahrscheinlich, dass I’m Still Here in die deutschen Kinos kommen wird, genauso ungewiss ist, wie es mit Joaquin Phoenix weitergehen wird. Der Film selbst bleibt ein Rätsel und will diskutiert werden und auch ihr dürft das Ganze natürlich gerne kommentieren.