Die besten Filme - Berlinale 2015
- Koltavanej?Dokumentarfilm von Concepción Suárez Aguilar.
Aus der Gefangenschaft heraus erzählt Rosa López Díaz ihre bedrückende Geschichte. Sie wurde zu 27 Jahren Haft verurteilt – für eine Tat, die sie nicht begangen hat. In Mexiko, wo indigene Frauen häufig unter Folter zu falschen Geständnissen gezwungen werden, ist ihre Situation kein Einzelfall. (Text: Berlinale)
- Man of theNorth?1Drama von Marcelo Martinessi mit Arturo Fleitas und Lidia Vda. de Cuevas.
Die Revolution ist vorbei, doch noch immer werden die Armen im trostlosen Chaco-Gebiet von Banditen heimgesucht. Eine alte Frau empfängt widerwillig einen einsamen Gaucho. Ihre Gastfreundschaft führt zu einer echten Verbindung zwischen ihnen, nachdem sie einander das erlebte Elend und Unrecht mitgeteilt haben. (Text: Berlinale)
- TheHyperwomen?1Dokumentarfilm von Carlos Fausto.
Jamurikumálu ist ein Ritual der Kuikuro-Frauen aus der Region Xingu im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso. Auf humorvolle Weise tragen sie Lieder und Choreographien zu den Themen Liebe und Sexualität aus weiblicher Sicht vor und am Ende des Rituals steht die freie Wahl des Sexualpartners für die Nacht. Die Dorfälteste Kanu ist die Einzige, die sich an alle Lieder erinnert, die bei dem Ritual gesungen werden. Da sie jedoch sehr krank ist, fürchtet ihr pragmatischer Ehemann das Schlimmste und bereitet alles vor, damit das Ritual noch einmal praktiziert und so ihr Wissen weitergegeben wird. Dieses erheiternde Porträt der Geschlechterbeziehungen bei den Kuikuro vermischt fiktionale und dokumentarische Elemente und verbindet Musik, Gemeinschaft und Stammeswissen zu einem energiegeladenen unterhaltsamen Filmerlebnis. (Text: Berlinale)
- Hepari Idub’rada, Thank youBrother?Dokumentarfilm von Divino Tserewahú.
Die Xavante haben Divino zu ihrem Kameramann ernannt. In seinem ersten Film beschreibt er seinen Werdegang und stellt heraus, wie wichtig die Förderung indigener Filmtalente ist, um die Traditionen zu bewahren und ein selbstbestimmtes Bild zu gestalten. (Text: Berlinale)
- ParaguayanHammock?7Drama von Paz Encina mit Ramón Del Río und Georgina Genes.
Paraguay in den 1930er Jahren: In einem abgelegenen Dorf warten Ramón und Cándida auf bessere Zeiten. Das alte Ehepaar geht seinen alltäglichen bäuerlichen Pflichten nach und nimmt dazwischen immer wieder auf einer Lichtung in seiner Hängematte Platz, um sich über scheinbar belanglose Dinge zu unterhalten: Das lästige Bellen eines Hundes, die unerträgliche Hitze und den aufziehenden Regen, der noch immer auf sich warten lässt. Sie warten auf die Rückkehr ihres Sohnes aus dem Chaco-Krieg. Cándida hat keine großen Hoffnungen mehr, Ramón aber bleibt optimistisch. Paz Encinas Spielfilmdebüt, das vom World Cinema Fund unterstützt wurde, zeichnet das minimalistische Porträt eines Lebens in Abgeschiedenheit und schildert den Versuch zweier Menschen, ihre Hoffnung trotz aller bösen Vorahnungen nicht zu verlieren. (Text: Berlinale)
- Gerónima?3Drama von Raúl Alberto Tosso mit Patricio Contreras und Luisa Calcumil.
In der kalten Wüste Patagoniens sind die Lebensbedingungen hart. Gerónima kann ihren vier Kindern nur dieses ärmliche Leben bieten und schafft es dennoch irgendwie zu überleben, weil sie die Dinge so nimmt, wie sie kommen. Als die Gesundheitsbehörde beschließt einzugreifen und ihr Leben zu ‘verbessern’, wird die argentinische Rassenpolitik der 1970er Jahre deutlich. Die Familie wird aus ihrer Umgebung gerissen und in ein öffentliches Krankenhaus gebracht. Gerónima ist traumatisiert von dieser Veränderung und versucht in der neuen Umgebung bei Verstand zu bleiben. Die Originalaufnahmen der Untersuchungsgespräche mit der echten Gerónima begleiten den Film und legen Zeugnis über die wahren Begebenheiten ab, die den Filmstoff inspirierten. Im Rahmen von NATIVe 2015 feiert die digital restaurierte Fassung von Gerónima ihre Weltpremiere. (Text: Berlinale)
- The FightingCholitas?1Dokumentarfilm von Mariam Jobrani.
Sie tragen traditionelle rauschende Röcke und haben Spitznamen wie “Die Liebevolle”. Eine Gruppe starker Frauen sucht das Gleichgewicht zwischen Arbeit, Familie und Berufung, während sie um den Sieg ringt. Eine Geschichte über Wrestling und Frauenpower. (Text: Berlinale)
- OnHold?Drama von Gabriela Calvache mit María Sol Barragán.
Die junge Carmen begibt sich auf den Weg aus den Bergen in die Stadt. Ein kurzer Stopp erlaubt ihr den Blick in eine andere Lebensrealität, die ihr verwehrt bleibt: eine schulische Ausbildung. (Text: Berlinale)
- Echo of theMountain?1Dokumentarfilm von Nicolás Echevarría.
Der Huichol-Künstler Santos Motoapohua de la Torre lebt in einem abgeschiedenen Dorf im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Durch seine farbenprächtigen Kunstwerke hat er sich einen Namen in der internationalen Kunstszene gemacht – dennoch bleibt sein Kunstschaffen als kulturelles Erbe davon unberührt. Wir folgen Santos und seinen Begleitern auf dem heiligen Peyote-Pfad zur Pilgerstätte Wirikuta, wo sie die Götter um Erlaubnis darum bitten, ein neues Wandbild zu erschaffen. Der erfahrene Filmemacher Nicolás Echevarría bedient sich in seinem Dokumentarfilm eines neuen Ansatzes inspiriert von beeindruckenden Naturlandschaften und der Leidenschaft, mit der die Huicholen für ihre Geschichte und Traditionen eintreten. (Text: Berlinale)
- EldestBrother?Drama von María Dolores Arias Martínez mit Manuel Jiménez.
Manuel Jiménez wird von den Bewohnern seines Dorfes in Chiapas als Ältester (Bankilal) respektiert. Von den Göttern wurde er mit der Gabe der Poesie bedacht, um seiner Gemeinde spirituelle Führung und Unterstützung zu geben. Die jüngere Generation schenkt der Symbolik ihrer Ahnen, den Schutztieren und heiligen Bergen, kaum noch Beachtung. Aber Manuel versucht die entgegengesetzten Glaubensformen zu vereinen. Er bedient sich anschaulicher Gebete und bringt seine Fähigkeiten in den Alltag der Dorfgemeinschaft ein. Ruhig beobachtet der Film das Aufeinandertreffen von heutigem Lebensstil und kultureller Kontinuität und zeigt den Synkretismus zwischen traditioneller Ahnenverehrung und Katholizismus. (Text: Berlinale)
- Thanatos,Drunk5.584Drama von Tso-chi Chang mit Shang-Ho Huang und Hsueh-Feng Lu.
Die Kamera heftet sich an die Fersen zweier Brüder, der eine schwul, der andere hetero. Beide suchen einen Job und Geld, um zu überleben. Beide suchen sich selbst, sehnen sich nach Rückhalt. Der jüngere Bruder verkauft Gemüse auf dem Markt und trifft dort eine junge Frau, die nicht sprechen kann, aber gerne allerhand verrückte Sachen anstellt. Der Ältere fühlt sich zu einem Nachtclubtänzer hingezogen und verstrickt sich in dubiose Geschäfte. Der Film nimmt den Rhythmus ihres Driftens und Abdriftens auf, ist ganz nah an seinen Helden. Einsame Momente am Fluss, ausgelassene Streifzüge durch die Clubszene im nächtlichen Taipeh, das Geschrei auf dem Markt, stille Stunden zu zweit – immer wieder wechselt die Tonlage und damit die Stimmung. Zui Sheng Meng Si beweist einmal mehr, dass das junge taiwanesische Kino nicht auf eine klassische Dramaturgie zurückgreifen muss, um sein Publikum zu fesseln. Es ist ein Leben in der Schwebe, ohne feste Koordinaten. So wird der Film auch zu einem Sittengemälde, zum Panorama einer Gesellschaft, die der jüngeren Generation keinen Platz zu bieten hat. (Text: Berlinale)
- BlauesBlut642Drama von Lirio Ferreira mit Daniel de Oliveira und Caroline Abras.
Ein Schiff mit einem Zirkus an Bord nähert sich einer Insel im südlichen Atlantik. Am Abend bei der Vorstellung präsentiert der Zirkusbesitzer und Illusionist Kaleb den Artisten Zolah, dem sofort alle Herzen zufliegen. Zolah ist Pedro, der die Insel vor 20 Jahren als Neunjähriger verließ. Die Wiederbegegnung mit seiner Mutter Rosa und seiner introvertierten Schwester Raquel konfrontieren den weitgereisten Akrobaten mit alten Verletzungen und verdrängten Sehnsüchten. Raquels Welt ist das Meer, in dessen Tiefen sie sich immer wieder zurückzieht. Sie wünschte, Pedro wäre ein Teil davon. Fragen erwachen in Pedro. Warum hat seine Mutter ihn damals fortgeschickt? Während Inselbewohner und Zirkuskünstler in einen munteren Austausch miteinander treten, suchen Pedro und Raquel nach Raum für sich. Schuldgefühle, Rivalität und besitzergreifender Stolz werden für die Familie zur Herausforderung.
Lirio Ferreira reflektiert die Risikobereitschaft der Geschwister in Bildern von eindrucksvoll virtuosen Zirkusnummern, welche er mit Elementen der antiken Tragödie und magischen Bildern vom Meer zu einem fulminanten Kinoerlebnis zusammenfügt. (Text: Berlinale) - PioneerHeroes6.812Drama von Natalya Kudryashova mit Natalya Kudryashova und Darya Moroz.
Weliki Nowgorod, 1987. Olga widersetzt sich der autoritären Pädagogik ihrer Lehrerin, Andrey züchtet in einem Einweckglas eine “Anti-Sterbe-Pille” und Katya verfolgt, wie ihr Vater hinter verschlossener Tür illegal Schnaps brennt. Die drei jungen befreundeten Schüler sind Mitglieder der Pionierorganisation “Wladimir Iljitsch Lenin” und schwelgen in kindlichen Zukunftsfantasien.
Mehr als 25 Jahre später haben sie beruflich in Moskau Fuß gefasst, finden sich jedoch in der Gegenwart nicht zurecht. Olga leidet an Panikattacken, Andrey füllt seine innere Leere mit Computerspielen und Katya wird von unheimlichen Träumen verfolgt. Indem sie die beiden Zeitebenen poetisch miteinander verbindet, zeigt Natalia Kudryashova die Kluft zwischen ehemaligen Visionen und heutiger Realität, die die Auflösung der Sowjetunion bei der letzten Pionier-Generation hinterlassen hat. Bilder von eindrucksvoller atmosphärischer Dichte schildern ihr Lebensgefühl. Imposante, kafkaesk verwaiste Betonbauten visualisieren die beklemmenden Schatten ihrer ursprünglichen Existenzentwürfe, die sie zu überwältigen drohen. (Text: Berlinale) - A Minor LeapDown?62Drama von Hamed Rajabi mit Rambod Javan und Mahmoud Behrouzian.
Nahal ist um die 30 und im vierten Monat schwanger. Bei einer Routine-Untersuchung erfährt sie, dass das Kind nicht mehr lebt und ihr in zwei Tagen eine Ausschabung bevorsteht. Weder Mutter noch Mann lassen sie zu Wort kommen, wenn sie darüber zu sprechen versucht. Nahal weiß, dass die Familie sie zwingen wird, ihre vor der Schwangerschaft begonnene Behandlung gegen Depressionen fortzusetzen. Zunächst scheint die junge Frau einfach in ihren Alltag zurückzukehren. Doch ihr Schweigen schlägt in Rebellion um.
Hamed Rajabi skizziert das Porträt einer Frau, die gegen den schönen Schein ihres Mittelklasse-Daseins aufbegehrt. Die mehr vom Leben erwartet als eine Kaffeemaschine, einen Kühlschrank mit Eiswürfelspender und einen Zweitwagen. Nahal bricht aus ihrem streng normierten Leben aus und geht dabei unerwartet anarchisch vor. Bewusst provoziert sie ihre Umgebung und lockt diese aus der Reserve. Paridan az Ertefa Kam erzählt von einem Kampf, der letztlich nicht zu gewinnen ist, aber dennoch geführt werden muss. Zudem erkundet hier ein Film die iranische Mittelklasse, die sich mit ihren Statussymbolen selbst in ein inneres Gefängnis eingesperrt hat. (Text: Berlinale) - Out of myHand?1Drama von Takeshi Fukunaga mit Bishop Blay und Zenobia Taylor.
Was wollt ihr, fragt der Gewerkschaftsführer, und die Männer rufen im Chor: Wandel! Veränderung! Denn die Arbeit auf den Kautschukplantagen in Liberia ist hart und der Lohn karg. Seit Generationen hat sich nichts bewegt, doch nun wird ein Streik ausgerufen. Statt zu schuften, spielen die Männer Fußball oder angeln. Die Frauen sind darüber nicht glücklich, denn wie soll die Familie ernährt werden? Als der Streik rigide gestoppt wird, hält es Cisco, einen der Arbeiter, nicht länger in der Heimat. Er bricht zu seinem Cousin nach New York auf, verdingt sich dort als Taxifahrer und will das damit verdiente Geld nach Hause zu seiner Frau und den beiden Kindern schicken. Doch in der kleinen liberianischen Community trifft er auch Jacob wieder, einen alten Bekannten, den er längst aus seinem Gedächtnis getilgt hatte. Und der erinnert ihn an die Zeit, als beide Kindersoldaten waren …
Takeshi Fukunagas Film zeichnet sich durch seine detaillierte Beschreibung der harten Arbeit auf den Kautschukfarmen aus und schlägt den Bogen zu einem Trauma der liberianischen Gesellschaft: Auf der Suche nach dem Glück wird die Hauptfigur Cisco von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. (Text: Berlinale) - The BlueHour5.96.354Drama von Anucha Boonyawatana mit Oabnithi Wiwattanawarang und Duangjai Hirunsri.
Tam, ein ängstlicher Einzelgänger, wird von seinen Mitschülern regelmäßig gemobbt. Im engen, dunklen Haus der Eltern schlagen ihm ebenfalls Ablehnung und Misstrauen entgegen, und der Vater verprügelt ihn. Eines Tages verabredet sich Tam online mit dem gleichaltrigen Phum in einem alten, verlassenen Schwimmbad. Beide suchen Sex, finden aber Trost und Geborgenheit in ihrer Begegnung. Zwischen den Jungen entsteht eine enge Verbindung, und bald streifen sie gemeinsam Tag und Nacht über Müllhalden und durch die dunklen Ecken der Stadt. Phum öffnet Tam die Türen zu einer phantastischen Parallelwelt voller Geister und gefährlichen Begegnungen. Obwohl er sich zum ersten Mal geborgen und geliebt fühlt, kann Tam kaum mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden und wird immer tiefer in eine Spirale von Paranoia und Gewalt hineingezogen.
In seinem Spielfilmdebüt führt Boonyawatana seine Hauptfigur in einen doppelbödigen Mikrokosmos voller Abgründe und spielt dabei geschickt mit den Konventionen unterschiedlicher Genres. (Text: Berlinale) - NecktieYouth?5Drama von Sibs Shongwe-La Mer mit Sibs Shongwe-La Mer und Bonko Khoza.
Wer in Sandton aufwächst, verbringt viel Zeit in Pools und auf drogenbeflügelten Partys, dieser Stadtteil von Johannesburg ist das reichste Fleckchen Afrikas. Necktie Youth porträtiert diese erste post-Apartheid jeunesse dorée in grellem Schwarz-Weiß, die soften Farben sind ihren Kindheitserinnerungen aus den frühen Jahre der Regenbogennation vorbehalten. Emily, 19, weiß, hat die Codes dieser Szene nicht begriffen und das Tempo schnell wechselnder Verbindlichkeiten nicht ausgehalten, meint der ultra-coole September, schwarz und privilegiert, als er versucht, einer TV-Reporterin zu erklären, warum sich Emily im elterlichen Garten aufgehängt und ihre Kamera so positioniert hat, dass der Selbstmord live gestreamt wurde.
Der Filmemacher und Multimediakünstler Sibs Shongwe-La Mer zeigt in seinem Film – mit sich selbst in einer Hauptrolle – eine ihm bestens vertraute südafrikanische Szene, für die Mandela nur mehr eine goldgerahmte Ikone ist. In der Gegenwart prallt sie auf eine Realität, in der die Konfrontation nicht mehr zwischen Weiß und Schwarz verläuft, sondern in einem rasanten Zickzack-Parcours, auf dem jugendliche Träume von Exzessen jeglicher Couleur geprägt werden. (Text: Berlinale) - Butterfly652Drama von Marco Berger mit Ailín Salas und Javier De Pietro.
Ein Schmetterling, Sinnbild für Wiedergeburt und Neubeginn, symbolisiert Rominas und Germáns Welt, die aus zwei parallelen Wirklichkeiten besteht. In der einen wachsen sie als Geschwister auf, die sich begehren und versuchen, ihre Liebe ohne sexuelle Erfüllung zu gestalten. In der anderen begegnen sie sich als junger Mann und junge Frau, die eine unbeholfene Freundschaft aufbauen, anstatt ihren Gefühlen füreinander zu folgen. Germán findet sich in einer unstimmigen Beziehung mit Mariela wieder. Marielas Bruder interessiert sich für Bruno. Bruno wiederum ist mit Romina zusammen, sucht aber Germáns Nähe. Im spielerischen Wechsel zwischen beiden Realitäten finden sich die Liebenden zu immer neuen Paaren zusammen, um ihren intuitiven Empfindungen nachzuspüren. Scheu. Und gleichzeitig bereit, alles zu verlieren.
Aus seiner faszinierenden Filmidee entwickelt der Teddy-Award-Gewinner von 2011, Marco Berger, ein eindrucksvolles Universum unendlich vielfältiger Liebes- und Freundschaftsentwürfe. Ein von ungewöhnlicher Dynamik beseelter Raum, in dem emotionale Verunsicherung, sexuelle Konfusion, Inzest, Selbsttäuschung, Intuition und spirituelle Verbundenheit ihren Platz haben. (Text: Berlinale) - TheFire5.343Drama von Juan Schnitman mit Pilar Gamboa und Juan Barberini.
Lucía und Marcelo sitzen zwischen Kisten und gepackten Koffern. Der Umzug in eine Eigentumswohnung steht kurz bevor. Als der Makler absagt und den Termin der Schlüsselübergabe auf den nächsten Tag verschiebt, haben die beiden 30-Jährigen unverhofft Zeit. Die unerwartete Unterbrechung, die sie zwingt, in ihrem Alltag innezuhalten, führt zum Nachdenken über sich selbst und zur Überprüfung ihrer Beziehung.
Marcelo kann nur schwer damit umgehen, dass das Geld für die Wohnung von Lucías Vater stammt. Aber mit seiner Tätigkeit als Lehrer hätte er es kaum geschafft, die benötigte Summe selbst zu aufzubringen. In seiner Schule sieht er sich von wütenden Eltern bedrängt, die meinen, er hätte ihren Sohn schlecht behandelt. Auch Lucía gerät in einen Streit mit dem Geschäftsführer des Restaurants, in dem sie arbeitet. Und wird von beunruhigenden Hustenanfällen geschüttelt …
Mit dem auf 24 Stunden begrenzten Ausschnitt aus dem Leben eines jungen Paares zeichnet Juan Schnitman das Bild einer hypernervösen, hochneurotischen Gesellschaft kurz vor der Explosion. Blicke, Gesten und kleinste Bewegungen signalisieren eine komplexe Unsicherheit, in der Liebe und Hass, Stille und Schrei zwei Seiten derselben Medaille sind. (Text: Berlinale) - Mein Bruder, derHeld65.561Drama von Josh Kim mit Ingkarat Damrongsakkul und Natarat Lakha.
Die ärmlichen Außenbezirke von Bangkok sind eine Welt, in der man sehr früh lernt, erwachsen zu sein. Nach dem Tod beider Eltern leben der elfjährige Oat, seine kleine Schwester und sein älterer Bruder Ek bei ihrer Tante. Ek arbeitet in einer Stricher- und Transenbar und hat schon seit der Schulzeit eine Liebesbeziehung mit Jai, dem Sohn reicher Eltern. Diese ungleiche Liebe wird auf eine entscheidende Probe gestellt, als der jährliche Tag der Einberufung naht, an dem per Lotterie entschieden wird, wer zum Militärdienst muss und wer zu Hause bleiben kann. Der kleine Oat stiehlt beim Mafiachef der Gegend Geld, um damit den geliebten Bruder, den Ernährer der Familie, vom Militär freizukaufen. Das hat dramatische und traumatisierende Folgen.
Aus der Sicht des kleinen Bruders erzählt, wirft der Film einen erfrischend ungeschönten und unvoreingenommenen Blick auf ein eigentlich liebevolles Milieu, in dem jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse von Käuflichkeit, Korruption und falschen Idealen bestimmt sind. (Text: Berlinale) - Whyme?7.3683Thriller von Tudor Giurgiu mit Emilian Oprea und Mihai Constantin.
Der junge, ehrgeizige Staatsanwalt Christian bekommt überraschend einen prekären Fall zugeteilt: ein älterer Kollege ist der Korruption beschuldigt. Was ein Karrieresprungbrett sein könnte, kehrt sich ins Gegenteil. Der Verdächtige beteuert seine Unschuld, die Vorgesetzten nötigen Christian, ihn auch ohne Beweise vor Gericht zu bringen. In dem Bestreben, die Wahrheit ans Licht zu bringen, kommt Christian einem ungeheuren Komplott auf die Spur. Der Fall wird ihm entzogen, er wird beurlaubt und kaltgestellt. Das System schlägt mit aller Härte zurück und zieht dem jungen Mann den Boden unter den Füßen weg.
Mit seinem Regiedebüt Love Sick war Tudor Giurgiu bereits 2006 im Panorama vertreten. Sein Protagonist steht auf der Seite derer, die es geschafft haben, er könnte teilhaben am Aufschwung im postkommunistischen Rumänien, den der Film suggeriert. Doch zu welchem Preis? Mit Radikalität und Bitternis erzählt Giurgiu von einem Land im Umbruch, von der Allmacht des Staates, die sich ergibt, wenn korrupte gesetzgebende und ausführende Gewalt einander decken. Der Einzelne muss wählen: zwischen einem Rückzug ins Private und Zivilcourage – auch auf die Gefahr, daran zugrunde gehen. (Text: Berlinale) - Bizarre6.84.8105Drama von Etienne Faure mit Pierre Prieur und Adrian James.
Maurice, ein junger, wortkarger Obdachloser, schlägt sich in Brooklyn mit Gelegenheitsarbeiten durch und übernachtet in geparkten Autos – bis er im “Bizarre” landet, einem für seine Burlesque-Shows berühmten Underground-Club. Die spielerischen Revuen sexueller Selbstbestimmung und kreativen Andersseins faszinieren Maurice, die beiden Besitzerinnen lieben ihn. Schnell gehört er zu ihrer Wahlfamilie, wo er dem in sich gekehrten Luka näherkommt. Lukas wachsender Zuneigung kehrt Maurice jedoch den Rücken. Er flieht vor seiner eigenen emotionalen Existenz, treibt ziellos durch die Stadt und sucht im Boxsport nach Stabilität. Dort trifft er auf Charlie. Maurice sieht seine verschlossenen Empfindungen unter Strom gesetzt und entfacht einen immer größeren, von Zärtlichkeit und Bedrohung erfüllten Gefühlswirbel.
Étienne Faure drehte vor Ort. In den fulminanten Daseinsentwürfen der im “Bizarre” in Brooklyn auftretenden Künstler lässt er das Versprechen einer unabhängigen Zukunft für seinen ziellos Flüchtenden aufstrahlen. Hochsensibel beobachtet er dessen seelische Verlorenheit und Verstörung und verdichtet sie in einer filmisch verzaubernden Trance. (Text: Berlinale) - Absence6.1664Drama von Chico Teixeira mit Matheus Fagundes und Irandhir Santos.
Seit sein Vater die Familie im Stich gelassen hat, reibt sich der 15-jährige Serginho zwischen den neuen Anforderungen seines Alltags auf. Er arbeitet bei seinem Onkel auf dem Markt, bietet seiner labilen Mutter Halt und kümmert sich um seinen kleinen Bruder. Aber wo ist sein Platz in einer Welt, die ihn zwingt, zu früh erwachsen zu sein? Voller Sehnsucht nach Zuneigung lässt er sich mit seinen Freunden Mudinho und Sivinha durch São Paulo treiben, besucht eine Tante, die am Stadtrand in einem Zirkus arbeitet, und verbringt soviel Zeit wie möglich bei Ney, einem Privatlehrer, dem er sich sehr verbunden fühlt. Serginho wird jedoch immer wieder enttäuscht. Er will mehr von seiner Mutter, von seinen Freunden, von seiner Zukunft, von Ney. Unbeeindruckt vom Machismo in seinem Umfeld gibt er nicht auf, nach einem Weg zwischen Verantwortung und Geborgenheit zu suchen.
Mit charismatischem Charme verleiht der erst 17-jährige Hauptdarsteller Matheus Fagundes der Figur des emotional und sexuell aufgewühlten Serginho eine berührend zuversichtliche Unbeschwertheit und lässt ihn das Gewicht gesellschaftlicher Erwartungen mit tiefem Vertrauen auf ein mögliches Glück tragen. (Text: Berlinale) - Love, Theft and OtherEntanglements?22Drama von Muayad Alayan mit Sami Metwasi und Maya Abu Alhayyat.
Tagedieb, heimlicher Liebhaber, Kleinkrimineller – Mousa hat viele Qualitäten. Der im Flüchtlingscamp lebende Palästinenser pfeift auf die von seinem Vater mühsam erworbene Erlaubnis, legal im israelischen Teil Jerusalems zu arbeiten und verdient sich sein Geld lieber mit dem Stehlen israelischer Autos, die er an palästinensische Hehler verkauft. Seine Zukunft sieht er fernab vom von Gewalt und Verboten geprägten Alltag in der geteilten Stadt, sein Herz gehört einer verheirateten Frau. Als Mousa nach dem Diebstahl eines Passats von palästinensischen Milizen brutal in die Mangel genommen wird, und sich danach das Auto genauer anguckt, macht er eine brisante Entdeckung. Durch sie wird der Mann, der sich eigentlich aus der Politik heraushalten will, plötzlich für alle Seiten interessant … Muayad Alayans erster Spielfilm erzählt die Geschichte eines Tunichtguts, den die Umstände zum Handeln zwingen, in leichten, anmutigen Schwarz-Weiß-Bildern, die nicht nur angesichts des ernsten Settings begeistern. Unterstützt wird die palästinensische Hommage an die Nouvelle Vague von einem starken, jazzorientierten Score. (Text: Berlinale)
- The Sea isBehind?11Drama von Hicham Lasri mit Malek Akhmiss und Hassan Ben Badida.
Tarik kann nicht über den Verlust seiner Kinder weinen. Stattdessen verhüllt er den Schnauzer unter einem Schleier und schwingt beim Straßenumzug die Hüften zu Musik: Tarik ist ein H’Dya, ein traditionell in Frauenkleidung tanzender Künstler. Tariks Vater, der die Prozessionen durch die leeren Straßen Marokkos anführt, weint sich die Augen aus, als sein geliebtes Zugpferd Larbi nicht mehr will, und kämmt die Pferdmähne zärtlich mit seinem Gebiss. Der neue, brutale Partner von Tariks Ex-Frau nistet sich auf Tariks Toilette ein. Und Tariks Freund Murad wird wegen seiner Homosexualität bedroht und beleidigt. War wirklich, wie alle behaupten, etwas im Wasser? Oder spielt sich das alles nur in Tariks Kopf ab?
In surreal-schönen, schwarz-weißen Bildern erzählt Hicham Lasri in seinem dritten Spielfilm von Traditionen und Trance, von Intoleranz und Gewalt, von Freundschaft und Körperlichkeit. Und von Tierliebe, deren Angemessenheit fraglich ist. Unterstützt von rauem Marokko-Rock, komponiert Lasri David-Lynch-artige Rauschzustände für ein modernes maghrebinisches Kinoerlebnis. (Text: Berlinale)