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„Fack ju dreimal, Göhte!“

11.11.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Fack ju Göhte 3
Studiocanal
Fack ju Göhte 3
Dieser Artikel ist ein Community-Beitrag, der im Rahmen unseres Schreibwettbewerbs Mein liebster Kinomoment entstanden ist.

Es war der Nachmittag des 29.10.2017, den meine Kinder und ich unfreiwillig zum denkwürdigsten Moment unserer Kinogeschichte auserkoren hatten- nur wissen konnten wir es zu dem Zeitpunkt, als wir uns auf den Weg zum Film machten, noch nicht.

Der Tag hatte verregnet begonnen und blieb leicht unterkühlt, ein typisches Herbstwetter eben, doch trübte dieser Umstand unsere gute Laune nicht. Nach zwei uns schier endlos lang vorkommenden Jahren des Wartens auf den krönenden Abschluss der Schulhof- Triologie war es nun endlich soweit: „Fack ju Göhte 3“ lief in den deutschen Kinos an und wir wollten dabei sein. Voller Vorfreude hatten wir uns schon wochenlang vorher die Trailer, Interviews, Kritiken und was es sonst noch so alles zum Streifen gab, angesehen, angehört und förmlich einverleibt. Aus den beiden Vorgängern waren uns einige Aussagen buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen, weil sie manche Situationen brillant auf den Punkt brachten:„Chantal, heul leise!“ ist bei uns zu einem geflügelten Wort geworden, wenn jemand am Nörgeln ist, und „Du bist hochbegabt!“ heißt es immer dann, wenn jemand das Fahrrad neu erfindet...Zeki Müller und sein chaotisches Quartett hatten unsere Alltagssprache mitgeprägt und nun fieberten wir dem furiosen Finale entgegen. Nach den beiden ersten Teilen konnte, nein, musste der „Final Fack“ einfach gut sein und wir könnten ihn nicht mehr länger erwarten.

Die Hausaufgaben waren erledigt, die Wohnung halbwegs aufgeräumt und nachdem der Babysitter für den Jüngsten eingetroffen sowie mit den nötigen Informationen inklusive Kaffee und Kuchen versorgt war, machten wir uns los. Ich persönlich freute mich sehr, diesen Sonntagnachmittag auf diese Art und Weise verbringen zu können und begleitete meine beiden unter Zwölfjährigen nur zu gern in den Film. Manche geheimen Leidenschaften lassen sich sehr gut hinter dem Muttersein verbergen beziehungsweise perfekt damit kombinieren!

Passend zum Ausflug brach der Himmel auf und wärmende Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg nach unten ins feuchte Kleinstädtchen. Ich dachte an den Lieblingsspruch meiner Oma: „Wenn Engel reisen, lacht der Himmel...“ und freute mich diebisch. Der Blick auf die Uhr verriet, dass wir noch genau dreißig Minuten vom Filmgenuss entfernt waren, welcher um Punkt 16:00 Uhr beginnen sollte.

Der Weg zu Fuß ging uns leicht von der Hand. Unterwegs wiegelten wir einander immer mehr mit Zitaten und witzigen Szenen aus den beiden ersten Teilen auf, was die Stimmung gehörig aufheizte. Uns vor Lachen kugelnd und nach Luft ringend kamen wir beim Kino an. Jetzt nur noch in den Fahrstuhl hüpfen, die Karten besorgen und- da blieb uns das Lachen förmlich im Halse stecken: Vor uns stauten sich die Besucher über den Empfangssaal hinaus durch den gesamten meterlangen Gang hin bis kurz vor den Fahrstuhl. Der Anblick ließ uns jäh erstarren. Damit hatten wir nicht gerechnet, nicht am bereits dritten Tag nach Kinostart des Films und schon gar nicht in unserer kleinen Stadt. Meine Kinder waren zunächst ebenso perplex wie ich, lösten sich jedoch naturgemäß schneller aus der Schockstarre und begannen herum zu maulen...Siedend heiß fiel mir ein, dass ich ja auch hätte Karren reservieren können, ich das aber im Eifer des Alltages zwischen Kindertrio, Haushalt und Arbeit schlichtweg vergessen hatte... So ein Mist aber auch!

Nun standen sie alle vor uns, die Anhänger und Nachwuchsfans der „Goethe- Gesamtschule“ und wollten den Film genauso gern sehen wie wir drei.

15:45 Uhr.
Noch genau fünfzehn Minuten bis zum Filmbeginn- und wir ganz am Ende der Warteschlange. Eine leichte innere Unruhe befiel mich, der Puls beschleunigte rasch. Was, wenn wir keine Karten mehr bekommen würden? Daran hatte ich ja so gar nicht gedacht, als wir uns frohen Mutes zum Kino aufmachten. Fieberhaft spielte ich gedanklich mehrere Szenarien durch, doch mir kam keine passable Idee, wie wir jetzt schnell mehrere Meter überspringen konnten, um die vermutlich letzten Tickets zu ergattern. Eine Ohnmacht vortäuschen? Nein, das zöge zuviel Aufmerksamkeit nach sich sowie in der Regel den Notarzt. Herumflunkern und behaupten, man hätte schon vor Tagen drei Karten vorbestellt? Fehlanzeige, steht der Name nicht im System, erhält man auch keinen Eintritt. Da könnte ja jeder kommen... Vordrängeln, weil man den Nächsten, der ansteht, vermeintlich kennt? Nichts peinlicher als das, vor allem vor und mit Kindern, man will ja ein positives Vorbild bleiben.Also blieb uns nichts anderes übrig, als einfach nur zu warten und zu hoffen.

15:50 Uhr.
Ich beobachtete die Sekundenanzeige auf der Digitaluhr über dem Kopf der Dame am Einlass. Das verursachte eine unangenehme Nervosität in mir, die ich nicht wieder los wurde. Schleppend ging es voran. Während die Minuten förmlich verflogen, zog sich das Erreichen des Kartenschalters nur so dahin. Hinter uns stellten sich immer noch Leute an und ich realisierte an den enttäuscht bis entsetzt dreinblickenden Gesichtern, dass wir längst nicht die einzigen Interessenten ohne Vorbestellung waren. Leider war dieses gemeinsame Schicksal in dem Moment wenig tröstlich... Egal, wie das hier ausgehen würde, pünktlich im Saal würden wir ohnehin nicht sitzen, und dabei freuten wir uns jedesmal wie verrückt auf die Kinowerbung. Die hat so etwas Unwiderstehliches an sich, zieht einen in ihren abenteuerlichen Bann, als ob man direkt dabei wäre... Ein Blick auf die Menschenmenge vor uns katapultierte mich schlagartig ins Hier und Jetzt zurück. Die Vorfreude der Kinder wich so langsam, aber sicher einer Art stoischer Ergebenheit in die Umstände, was ich so zwar nicht erwartet hatte, jedoch angesichts meiner wachsenden Panik als sehr angenehmes Gegengewicht empfand.

15:55 Uhr.
Mir schwirrten die ganzen banalen Organisationsabläufe durch den Kopf, die es mich erneut kosten würde, wenn wir keine Karten mehr bekämen: Sonntagnachmittag futsch, Babysitter umsonst, neuen Tag aussuchen, wieder von vorn planen und Zeiten aufeinander abstimmen... Mir wurde warm, ich öffnete meine Jacke und atmete tief durch. Parallel dazu ging draußen ein Regenschauer nieder und verdüsterte die ohnehin gedrückte Stimmung zusätzlich. Die Schirme hatten wir natürlich zuhause gelassen, denn waren wir nicht als Engel gereist...?

15:57 Uhr.
Zum Nichtstun und schlichten Aushalten der Situation verdammt schaute ich mir die potentiellen Kinobesucher vor uns an.Dass die ganzen Teenager heiß auf den Streifen waren, leuchtete mir ein, ebenso das verliebte Pärchen, das die ganze Warterei nicht zu stören schien, weil es so beschäftigt mit dem Austausch von Zärtlichkeiten war. Doch was zum Teufel trieb beispielsweise Großeltern mit ihren höchstens sechsjährigen Enkelkindern heute hierher?? Sich mental darauf vorbereiten, was die Zukunft für die lieben Kleinen bereithielt, oder was?! Wieso wollten Menschen jenseits der Sechzig diesen Film sehen?? Waren es pensionierte Lehrer, die über ihren fiktiven Kollegen Müller feixen wollten?! Gab es hier etwa nicht noch sieben weitere Vorführungen, die sie sich ansehen konnten?? Weit gefehlt: Es wurden partout keine anderen Eintrittskarten gekauft. Immer wieder tönte- und höhnte- es in meinen Ohren: „Einmal ‚Fack ju Göhte 3’ bitte!“ All die Reservierungen gingen über den Tresen und ich schwor zu einem imaginären Gott, dass ich es nie, nie wieder versäumen würde, Karten vorzubestellen, wenn wir nur dieses eine, einzige Mal noch ohne Reservierung in den Kinosaal würden gegen dürfen. Ich hatte keine Ahnung, wann ich das letzte Mal gebetet hatte, schickte dieses gedankliche Stoßgebet jedoch so inbrünstig wie nur irgend möglich gen Himmel...

15:58 Uhr.
In mir machte sich das Gefühl des primitiven Ärgers darüber breit, dass wir nicht einfach schneller als all die anderen vor uns gewesen waren und nun so weit hinten stehen mussten. Mit dem Ärger schwand auch die Toleranz gegenüber jenen meiner Mitmenschen, die bessere Chancen als wir hatten, wenige Sekunden später im Film sitzen zu dürfen. Der Ärger machte mich in rasantem Tempo zu einem missgünstigen Miesepeter. Eigentlich fand ich es nämlich richtig gut, dass sich Menschen allen Alters für den „Final Fack“ begeisterten- oder zumindest kleine, begeisterte Kinder begleiteten. So wie ich. Und mit diesem Gedanken holte ich mich schließlich wieder auf den Boden der harten Tatsachen zurück.

15:59 Uhr.
Noch eine Minute bis zum Filmbeginn.Adieu Filmwerbung.Adieu Film. Die Kassiererin gab ein Ticket nach dem anderen heraus und so langsam wurde jedem hier klar, dass es nur noch wenige Exemplare davon gab. Sehr wenige. Ein Raunen wurde hörbar. Die Schlinge des Wartens zog sich zu und es fiel den Anwesenden immer schwerer, einander Ruhe und Entspannung weiszumachen.Meine Kinder fingen einen Streit um eine Lappalie an. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.Bitte nicht jetzt...!

16:00 Uhr.
Die Großeltern samt ihren Enkeln waren an der Reihe. Meine Konzentration war zurück. Wie ich hörte, gab es Schwierigkeiten beim Zusammenlegen der vier Plätze und nach einigem Hin und Her entschied man sich, dass Oma und Opa getrennt voneinander mit jeweils einem Kind sitzen sollten. Das Teufelchen in mir hoffte inständig, sie würden zugunsten des familiären Verbandes einfach aufgeben und wieder gehen. Kurz trafen sich unsere Blicke, ernst, stumm, bevor sich ihre Rückenfront wieder mauerartig schloss. Ja, das Warten war ein Kampf geworden, bei dem sich die Gegner gegenseitig an zäher Geduld und verbissener Gelassenheit zu übertrumpfen suchten!

Sie blieben. Natürlich. Und während die Betroffenen zähneknirschend ihre Tickets nahmen und sich in Richtung des Eingangs bewegten, begann ich zu schwitzen. Was, wenn...? Keine Zeit zum Überlegen, wir waren dran. „Fack ju dreimal, Göhte , bitte...“ stammelte mein Sohn und löste ein entkrampfendes Lachen unter den Anwesenden aus. Wir waren so nah dran. „Es gibt nur noch zwei Karten, tut mir leid.“ kam die Antwort.

Fack, da war er, der Vernichtungsschlag. Das berühmte volle Glas Wasser, das einen Fingerbreit zu weit entfernt vom Durstigen steht.

Zwei Karten für uns drei, das passte nicht, denn ich musste als Begleitperson mit in den Saal. Und wollte doch unbedingt selbst den Film sehen, mit meinen Kindern lachen, neue Erinnerungen schaffen, diesen Sonntagnachmittag unvergessen machen...

„Zwei Karten?“ tönte es hinter mir. „Ich habe reserviert!“ Auch das noch. War mir jetzt völlig egal. „Gut, dann wickle ich das mit Ihnen erstmal schnell ab, kommen sie vor!“ reagierte die Kassiererin auf die Ansage und wies uns an, zur Seite zu treten. In mir stieg die pure Wut hoch und ich wollte ihr postwendend Luft machen, als die vorgelassene Frau sagte: „Ich nehme nur eine Karte, die zweite ist übrig, meine Freundin ist nicht mitgekommen.“ Mir blieb der Mund offen stehen und ich muss ziemlich dämlich ausgesehen haben, als ich dabei war, mein, unser Glück zu fassen. Plötzlich waren es wieder drei Karten! Der Streit zwischen meinen Rabauken schlug in lauten Jubel über die unerwartete „goethliche“ Fügung um. Die Schalterdame lächelte uns zu und suchte am Bildschirm sogar noch drei zusammenhängende Plätze für uns.Reihe fünf, die Sitze sieben bis neun- was wollten wir mehr?„Es gibt keine Karten mehr für ‚Fack ju Göhte 3‘, es tut mir leid!“ teilte die Kassiererin der Menge hinter uns mit und erntete enttäuschte Rufe derjenigen, die auf die Vorstellung verzichten mussten.

Wir waren drin, wir hatten es geschafft!

Als es mir gelungen war, den Mund wieder zu schließen und zu bezahlen, sah ich meine Kinder mit den Karten in den Händen eine unglaubliche Drehung aus der Hocke nach oben vollführen, die Arme synchron hochgerissen, die Hand zur Siegesfaust geballt, ein lautes „Yippieh!!“ ausrufend- ich nahm es vor lauter Glückseligkeit wie in Zeitlupe wahr und brauchte noch einige Bruchteile von Sekunden, um wirklich zu begreifen, dass wir tatsächlich noch Besucher dieser Vorführung sein würden.

Und passend dazu bahnten sich vor dem Fenster einige Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken.
Der Himmel lachte wieder.
Wenn Engel reisen...

***

Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Sponsoren. Hier erfährst du alles zum Prozedere des Schreibwettbewerbs und den Preisen. Eine Übersicht aller Texte des Schreibwettbewerbs findest du hier.

Denk daran: Stimme ab für Deutschlands Lieblingskino 2017!

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