Ein Dutzend Vorstellungen „Fack Ju Göhte 3“. Selbst die 14 Uhr-Vorstellung bis auf die ersten Reihen
ausverkauft. Willkommen in der Provinz. Speckgürtel von Niedersachsen, knapp 100.000 Einwohner,
ein lokales Kino. Sieben Säle, vom Schuhkarton bis zur Dolby-Atmo. An der Popcorn-Maschine
Abiturienten, die sich das Taschengeld aufbessern, hinterm Kartenschalter Gesichter die zur festen
Einrichtung des Hauses gehören. Die Wände sind frisch gestrichen, der Teppich ist ausgelatscht.
Rechts vom Eingang schlängeln sich Treppen im 50er-Schick aus der Anfangszeit, links ragt der
Neubau empor.
Als „Harry Potter“ seine allgemeine Fachhochschulreife erlangte, lief hier im Grunde nichts anderes.
„La La Land“ wurde erst ins Programm aufgenommen, als er als „Bester Film“ in spe galt, „Moonlight“
lief einmal aus der Reihe. Die beiden alten Säle sind nicht isoliert, so dass basslastige Filme beide
Zuschauerschaften beschallen. „Looper“ mit den Explosionen von „Resident Evil Irgendwas“ war ein
interessantes Erlebnis, um mit Alfred Biolek zu sprechen.
„Ich bin Pizzabäcker und zeige nebenbei Filme“, habe sich der Geschäftsführer des Astor aus
Hamburg mal bei einer Podiumsdiskussion vorgestellt. Der ehrenamtliche Leiter des Filmclubs hier
aus der Stadt erzählt diese Anekdote meist mit einem wehmütigen Lächeln. Der Club hat lange Zeit
mit dem Kino hier kooperiert. Mittlerweile sind sie in einen Mehrzwecksaal gezogen. Die Saalmiete
war für Kino und Club nicht mehr bezahlbar. Im Schnitt kommen 30 Besucher pro Vorstellung – selbst
bei Zusammenarbeiten mit den Kirchen. Die wöchentliche Filmkunst ist das nächste Sorgenkind.
Läuft mäßig. Als in der Sneak-Preview „Good Time“, „Snowpiercer“ oder „Das Märchen der Märchen“
liefen hagelte es empörte Kommentare. Was „die Scheiße“ solle, bitte mal „was anständiges“, sonst
käme man nicht mehr.
Nur der „Senioren-Nachmittag“ bei Kaffee und Kuchen ist immer gut besucht.
Den einen Lieblingsmoment in diesem Kino gibt es nicht. Die Zuneigung ist mehr als die Summe ihrer
Teile. Entscheidend sind die Menschen. An erster Stelle die Menschen, die dort arbeiten. Die
versuchen zwischen zwölf handydisplayerleuchtete Vorstellungen von „Fack Ju Göhte 3“ mit
bierseligem Publikum, Nacho-Aroma- geschwängerter Luft und mit Salsa-Soße verschmierten Sitzen
eine vielfältige Auswahl von Filmen auf die Leinwand zu bringen, auch solche, die im kommerziellen
Betrieb eigentlich keinen Raum haben. Irgendwie wurde Platz geschaffen um die Regisseure von „Wir
sind Juden aus Breslau“ einzuladen. Der örtliche „Star Trek“-Stammtisch durfte zur Premiere von
„Beyond“ mit dem örtlichen Comic-Laden eine Convention im Westentaschen-Format abhalten. Und
wenn sich tatsächlich noch eine Filmrolle auftreiben lässt, dann wird für einen Abend der klapperige
Projektor vom gelernten Filmvorführer angeschmissen. „Die Mumie“, „Bonnie und Clyde“, „2001“.
Ich war oft hier, vor allem in meiner Kindheit und Jugend. Die verblichenen Tickets der vergangenen
Jahre füllen zwei Schuhkartons. Mit Freunden haben wir die Sommerferien an der Popcorn-Theke
verbracht, gefachsimpelt, uns über die Dorf-Kinder und Kleinstadt-Proleten lustig gemacht und
später den Bestand an alten Filmplakaten geplündert.
Und irgendwie gehören die Besucher der zahllosen „Geh sterben, deutsche Leidkultu“, äh, pardon,
„Fack Ju Göthes“ ja auch dazu. Zum einen, weil sie den Laden am Laufen halten. Irgendwer muss die
Kassen füllen – meist tatsächlich über Fressalien (siehe den Astor-Pizzabäcker). Und oft genug sind
die selbsternannten Cinema-Connoisseurs, von den Studierenden bis zum Studienrat, auch den
mühsam anberaumten Sondervorstellungen trotz fast flehentlicher Werbung fern geblieben.
Zum anderen, weil Kino eben kein Raum exklusiv für den guten Geschmack ist und schon gar nicht
exklusiv für jene, die sich als Verteidiger des selbigen sehen. Kino ist ein Sehnsuchtsort für alle. Und
nirgendwo ist das deutlicher zu sehen, als im Foyer eines mittelgroßen Kinos in einer kleinen
Großstadt. Ein sonderbarer Zwitter aus Multiplex- und Programm-Kino, in dem sich Familien und
Teenager-Pärchen, Enthusiasten und Zeitvertreiber in dieselbe Schlange stellen. Und sobald die
Lichter ausgehen und der Vorhang auseinander gleitet, sitzen alle für zwei Stunde zusammen und
erleben Kino gemeinsam.
Kitschig? Verklärt? Romantisiert? Klar. Aber meine schönsten Kinomomente waren die, in denen es
sich zumindest so angefühlt hat, als sei das wahr. Wenn eine willkürlich zusammengesetzt Gruppe
einen Film gemeinschaftlich sieht. Denn, so sehr Mitzuschauer nerven, ohne ist es kein Kino. Wenn
der gemeinsam gelacht, gezittert, gestaunt und gejohlt werden kann. Einfach die Gewissheit, dass da
noch mehr sind, als nur man selbst. Dass der Film auf der Leinwand eben nicht nur einem selbst
gehört, sondern dass man ihn teilen muss/kann/darf.
Wie lange das noch so geht? Wer weiß. Lokale Kinos haben es nicht leicht. Wir hatten hier mal zwei.
Im Kino im ehemaligen Arbeiterviertel durfte noch geraucht werden und einmal im Jahr gab es die
„Rocky Horror Picture Show“ mit Reis und Toastbrot, Konfetti und Kostümen. Irgendwann hat es
nicht mehr gereicht. Heute sind ein Fitnessstudio und ein Steuerberaterbüro in dem Gebäude. Eine
von zwei Videotheken hat gerade zu gemacht, die andere ist ins Industriegebiet gezogen. Nur das
große Kino, mit ein Dutzend Vorstellungen „Fack Ju Göhte“ und der einen, kostenlosen Vorführung
von „Capote“, mit den zwei älteren Herren, die sich jeden Montag in die Filmkunst schleppen und
vorher zusammen schweigend ihren Tee trinken und den Schülern mit Zahnspangen-Grinsen beim
ersten Date, nur dieses Kino hält sich wacker. Noch.
All those moments will be lost in time like tears in rain.
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Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Sponsoren. Hier erfährst du alles zum Prozedere des Schreibwettbewerbs und den Preisen. Eine Übersicht aller Texte des Schreibwettbewerbs findest du hier.
Denk daran: Stimme ab für Deutschlands Lieblingskino 2017!
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