Berlinale 2009: Anamaria Marinca über Sturm

10.02.2009 - 09:00 Uhr
Anamaria
Mobra Films
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NEWS» Schauspielerin Anamaria Marinca beantwortet Fragen zur Hauptrolle im Polit-Thriller Sturm.

Mit 20 Schauspielern aus mehr als sechs Ländern hat Hans-Christian Schmid bei seinem Polit-Thriller Sturm zusammengearbeitet. Die Rumänin Anamaria Marinca spielt eine Frau aus dem heutigen Bosnien. Hier beantwortet sie Fragen zu dem Film.

Wie sind Sie mit Sturm in Verbindung gekommen?
Ich habe das Drehbuch gelesen, und ich mochte es sehr. Aber ich dachte, dass ich vielleicht nicht die Richtige für die Rolle der Mira bin, weil ich nicht aus Bosnien komme. Ich hatte Sorge, dass ich dadurch die Figur und die Geschichte in gewisser Weise betrügen könnte. Natürlich konnte ich meine Vorstellungskraft einsetzen, und ich hatte Zugang zu unfassbaren Zeugen – aussagen aus diesen furchtbaren Jahren. Aber es ist nicht dasselbe, es ist nicht die Geschichte meines Landes. Und natürlich war ich nervös wegen der Dialoge, wegen des Umstands, Bosnisch mit einem Akzent zu sprechen, und so weiter …

Hans-Christian hat sich während der letzten Berlinale mit mir getroffen, und obwohl ich ihm vorschlug, sich auch andere Schauspielerinnen anzusehen, stellte sich heraus, dass er sich sehr sicher war, dass ich die Richtige für die Rolle bin. Er war sehr überzeugend, deshalb sagte ich schließlich zu. Und ich bin sehr glücklich, dass ich das getan habe. Die Geschichte ist sehr stark. Ich glaubte an die Geschichte, ich vertraute ihr und ihrer Struktur. Und natürlich kannte ich auch die früheren Arbeiten von Hans-Christian. Ich bewundere ihn sehr. Das war natürlich ein weiterer Grund, um zuzusagen.

Wie ist es für Sie, mit Hans-Christian Schmid zu arbeiten?
Jeder Künstler ist einzigartig, und natürlich ist er anders als alle anderen Regisseure, mit denen ich bisher zusammenarbeiten durfte. Es gibt ein Einverständnis zwischen uns am Set. Er geht sehr ruhig und freundlich mit seinen Schauspielern um. Und ich fühle mich frei, meine Gedanken und Ideen zu äußern. Es ist ein Dialog, unsere gemeinsame Arbeit, eine Erkundung. Durch seine Art schafft er eine liebevolle, eine sehr kreative Atmosphäre.

Ich habe Schwierigkeiten, mit Menschen zu arbeiten, die genau zu wissen scheinen, wie eine Szene wird, bevor wir sie tatsächlich angehen. Man kann niemals alle Antworten haben und die genaue Richtung wissen, bevor man verschiedene Dinge versucht hat – und ich mag es, Dinge auszuprobieren. Wir haben viel Zeit damit verbracht, Fragen zu stellen, unterschiedliche Nuancen zu finden, Dialoge zu verändern… Alles ist lebendig und entwickelt sich ständig in diesem Prozess.

Wie haben Sie sich Ihrer Rolle angenähert?
Indem ich versuche, sie zu fühlen. Mir die Möglichkeiten einer anderen Vergangenheit, einer anderen Geschichte als meiner eigenen vorzustellen und sie zu erkunden. Zu Mira zu werden. – So gehe ich, glaube ich, mit jeder Rolle um. Die Figur begleitet mich die ganze Zeit, selbst wenn es ein paar Tage Pause gibt während des Drehs. Ich bin besessen … Sie ist die ganze Zeit da, in meinem Kopf. Ich sehe die Dinge anders, während ich arbeite.

Alles, was um mich herum passiert, bekommt eine andere Bedeutung. Alles ist auf irgendeine Weise verbunden mit der Geschichte, die ich spiele. Dadurch verändert sich die Welt. Ich bestimme sie. Ich weiß, es ist nur meine Vorstellung – aber es hilft. Ich forme mir die Welt nach meinen Anforderungen, nach meiner Rolle, nach meiner inneren Landschaft.

Gibt es einen Moment in der Geschichte, an dem Sie sich Mira besonders nahe fühlen?
Ich interessiere mich für die Momente, wenn sie eine Mutter, wenn sie eine Ehefrau ist. Wenn sie zwischen ihren beiden Leben kämpft. Sie versucht seit fünfzehn Jahren, mit ihrer Vergangenheit zu brechen, alles zu vergessen. Sie führt dieses neue Leben in Berlin. Ich darf nicht aus dem Auge verlieren, dass das Wichtigste für sie ist, ihre Familie zusammen zu halten. Aber auch das Ideal der Gerechtigkeit ist ein sehr wichtiger Teil dieser Geschichte. Ihr Bruder stirbt für seine Ideale, weil er glaubt, dass der Gerechtigkeit um jeden Preis Geltung verschafft werden muss und kann, und er scheitert. Es muss da ein unglaubliches Bedürfnis geben, die eigene Würde und Identität und Menschlichkeit wieder herzustellen, wenn man den Krieg hinter sich hat. Menschen sterben für Ideale … aber ich denke, es ist schlimmer, wenn Ideale sterben.

Werden solche Überlegungen dadurch beeinflusst, dass wir hier in Sarajevo sind?
Hier zu sein ist sehr wichtig für mich. Gestern bin ich durch die Stadt gegangen, die Lage dieses Ortes ist fantastisch. Von unserem Hotel aus kann man die Berge betrachten, die schönen Häuser, es alles sieht sehr idyllisch aus – nur wenn man näher kommt, sieht man die Einschüsse, die Löcher, das, was die Kugeln angerichtet haben … die Narben. Die Menschen sind gebrochen. Man kann es in ihren Augen sehen, auf der Straße. Wie sie versuchen, ihr Leben zu reparieren.

Es ist seltsam … Während wir hier am Film arbeiten, geht die Geschichte weiter. In dem Moment, als wir angefangen haben, wurde Karadžić festgenommen. Und dann gab es den Krieg in Georgien. Es war da, es war Wirklichkeit … was der Krieg mit den Menschen macht. Es spielt keine Rolle, ob wir über eine Geschichte reden, die vor fünfzehn Jahren passiert ist,
diese entsetzliche Gewalt ist nach wie vor präsent in unserer Welt. Alle diese Menschen, die einander verletzen. Und wer sind sie? Sie sind wir.

Quellen: Mit Material von Piffl Medien

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