Der Filmemacher Lars von Trier leidet unter manischer Depression. Und weil es ihm in vergangener Zeit nicht gut ging, hat er sich auch schon mal vom Filmen verabschiedet. In Antichrist, seinem neuen Film, der in Cannes im Internationalen Wettbewerb läuft, ist zu sehen, was der dänische Regisseur so umtreibt, wenn es ihm schlecht geht. Er erzählt die Geschichte eines Ehepaares, welches den Tod seines 3-jährigen Sohnes verkraften muss. Um ihre Schuldgefühle zu verarbeiten, gehen sie für eine gewisse Zeit in einer abgelegenen Waldhütte. Zu ihren eigenen Beziehungsproblemen gesellt sich die Grausamkeit der Natur. Und was da alles zu sehen ist, hat die Kritiker in Cannes schon einmal gehörig geschockt.
Laut Andreas Borcholte im Spiegel sorgt der Däne für einen grandiosen Schockeffekt. Der Film “ist ein extrem schwer verdauliches, aber grandioses und sehr bildgewaltiges Meisterwerk (Kamera von Slumdog Millionär -Cinematograph Anthony Dod Mantle), das gute Chancen auf die Goldene Palme haben sollte, selbst wenn sich der Applaus der Journalisten die Waage mit den Buh-Rufen hielt. … Als der Film kurz vor Schluss noch einmal in einen Epilog einschwenkt, stöhnte so mancher gequält auf – vermutlich nicht, weil er den Film so schlecht fand, sondern weil Lars von Trier es mit blutigem Horrorfilm-Material und ungeschminkten Sex-Szenen schafft, den Zuschauer emotional zu berühren. Und das ist schon mal anstrengend.”
Der Filmkritiker Josef Lederle ist sich im Merkur nicht so sicher, was er von der ganzen Sache halten soll. “Was der raffiniert konstruierte Film sagen will, hängt entschieden von der Lesart ab, ob man sich auf die zahllosen Verweise und Anspielungen einlässt, die ein ganzes Team von Researchern zusammengetragen haben. Oder ob man vielmehr auf Distanz geht, weil man Lars von Trier für einen Trickster hält, dessen fintenreiches Kopf-Kino das Publikum primär hinters Licht führt. Das Maß an exzessiven Bildern und Schockelementen, deren bizarre Einfälle man in einer ausführlicheren Analyse nicht verschweigen kann, reicht jedenfalls aus, um Antichrist nicht so schnell ad acta legen zu können.”
Und Michael Sennhauser ist auf seinem Blog völlig begeistert. “Religion ist übrigens das einzige Thema, das der Film überhaupt nicht anrührt. Und damit bekommt sogar der Titel diese ironische Zweideutigkeit. Ich halte Antichrist für ein sehr stimmiges, provozierendes und perfekt durchgstaltetes Kunstwerk, ein autotherapeutisches Suduko, viel zerebraler als erwartet und allen Schockmomenten zum Trotz weniger manipulativ als die meisten bisherigen Lars von Trier Filme, und dazu ein höchst anregendes, ästhetisch reiches Erlebnis.”
Wer übrigens ein Interview mit dem Regisseur lesen möchte, kann das gern in der Welt mit Hanns-Georg Rodek tun: Hier spricht der Filmemacher über religiöse Prägungen, Depressionen und die Tonbänder für Rainer Werner Fassbinder s Beerdigung.