Kommentare umschwirrn euch, wie die Motten das Licht, aber jede Woche stellen wir einen davon auf die Bühne unseres Nachtclubs, um euch zu verzaubern (und vielleicht euer Leben ein kleines Bisschen zu verändern). Ob zu einer Schauspielerin, die direkt nach der gefeierten Premiere nach Hollywood flieht, zu einem Film, der so etwas Gewisses hat, zu einer Serie, die noch küssen will und kann, unter einer feschen News oder zum Lieblingsspiel der Saison - wenn euch irgendwo auf moviepilot oder gamespilot die Worte eines Users auffallen, die von Kopf bis Fuß auf Kommentar der Woche eingestellt sind, dann sagt uns Bescheid! Am besten in einer kurzen Nachricht an sciencefiction oder Kängufant!
Der Kommentar der Woche
In Der blaue Engel von Josef von Sternberg, dem Film, mit dem Marlene Dietrich berühmt wurde, findet moviepilot-User franticfury einen Film, der auch noch 84 Jahren noch aktuell ist, begeistert und uns die Frage stellt: Was ist Glück? Und ist der Weg, auf dem wir es zu erreichen versuchen, wirklich der richtige?
Der Mensch braucht eine Arbeit. Eine Arbeit gibt seinem Leben so
etwas wie Sinn, ein Ziel, eine Aufgabe. Sie hindert ihn daran, seinem
selbstzerstörerischen Hang nachzugehen und lenkt den Blick aufs
Wesentliche. Ja, eine erfüllende Arbeit ist für den Menschen
unerlässlich, um ein glückliches Leben zu führen, das hatte Sigmund
Freud seinerzeit schon erkannt. Und doch, was bringt die erfüllendste
Arbeit, wenn es an menschlicher Nähe und Liebe fehlt?
Diese Erfahrung macht auch unser Protagonist Immanuel Rath,
Professor für Englisch am Gymnasium, streng, pedantisch, tugendhaft und
nicht umsonst unter den Schülern als Spielverderber verschrien, lebt er
ein einsames Leben in nahezu vollständiger Abgeschiedenheit. Sein Leben
ist das Gymnasium und seine Schüler, dabei nimmt der Pädagoge seinen
Erziehungsauftrag allerdings auch sehr ernst, denn schließlich sollen
aus seinen Schülern ja später wertvolle Mitglieder der Gesellschaft
werden. Nur logisch also, dass er der Sache nachgehen muss, als ihm zu
Ohren kommt, dass sich seine Schüler die Freizeit lieber im hiesigen
Nachtclub als zuhause vor den Lehrbüchern vertreiben. Doch verfällt er
schnell selbst dem Zauber des Verbotenen und dem unvergleichlichen
Charme der Sängerin Lola.
Ach, wie froh bin ich, dass ich wach geblieben bin, um mir diesen Film im Fernsehen anzusehen, denn "Der blaue Engel" ist eines dieser absoluten Glanzstücke deutscher Filmkunst, die man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte! Josef von Sternberg beweist, was für ein Visionär er doch war, denn nichts, aber auch gar nichts an diesem Film fühlt sich so an, als hätte er schon ganze 83 Jahre auf dem Buckel. "Der blaue Engel" ist ein ungemein homogener Film (alles andere als eine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass der Tonfilm noch in den Kinderschuhen steckte), der seiner Zeit so weit voraus war, dass seine Themen selbst heute, in unserer aufgeklärten und globalisierten Welt, Anklang finden dürften. Denn es geht um Themen, die uns auch heute noch beschäftigen. Da wird mal eben die Frage gestellt, was denn ein glückliches Leben ausmacht und falsche Wertvorstellungen geschickt hinterfragt. Unser Professor ist so etwas wie das Spiegelbild einer Gesellschaft, er versucht sein Glück zu finden, kennt dabei aber nur das Extrem. Der vollen Hingabe für die Wissenschaft und Bildung folgt die volle Hingabe für die Liebe und die Lust. Eine Frau stellt plötzlich das gesamte Weltbild unseres Professors auf den Kopf, dessen er sich früher doch so sicher fühlte, und das nichts, aber auch gar nichts auf der Welt zu erschüttern vermochte.
Man muss sich natürlich schon fragen wie ein gebildeter Mensch wie
unser Herr Professor plötzlich, aus einer Laune heraus, seine ganze
Natur über den Haufen wirft und entscheidet, von nun an sein Glück auf
eine andere Art zu suchen. War es das Verlangen, selbst einmal von der
verbotenen Frucht zu kosten, einmal seinem eintönigen Leben zu
entfliehen? In einer naiven Hoffnung, vielleicht endlich das zu finden,
nach dem er sich schon immer gesehnt hatte? Liebe?
Vielleicht, doch ehe sich unser Professor versieht, nimmt ihn sein
neues Leben so sehr ein, dass es kein Entfliehen mehr gibt. Wenn Josef
von Sternberg in einem der denkwürdigsten Schnitte der Filmgeschichte
mal eben vier Jahre in die Zukunft springt und wir unseren doch so
gebildeten und unumstößlichen Professor plötzlich als gebrochen Clown
vor uns haben, geht das schon unter die Haut. Mit Schmerz dachte ich an
den Moment zurück, als der Professor seinen Schritt beschloss, alleine
im Klassenzimmer, der Moment, ab dem es kein Zurück mehr für ihn gab
(Wahnsinn, was eine einzige Kamerafahrt zu sagen im Stande ist). Aber es
ist wohl auch ehrlich, denn Gott sei Dank erhebt von Sternberg nie den
moralischen Zeigefinger alà "Seht her, das passiert, wenn ihr dem
tugendhaften Weg den Rücken kehrt und euch dem Laster zuwendet".
Mag sein, dass ich zu viel hineininterpretiere, aber für mich ist "Der blaue Engel" deshalb eine großartige Gesellschaftsparabel. Wir alle sind auf der Suche nach dem Glück, dem wahren Glück im Leben, doch haben wir alle verschiedene Wege, in der Hoffnung es irgendwann zu erreichen. Möchte ich mich zuerst um meine Karriere bemühen und alles auf später aufschieben, oder möchte ich jetzt leben, solange ich noch jung bin, auf die Gefahr hin später vielleicht nicht dort zu sein, wo ich mich früher vielleicht gesehen habe? Was uns "Der blaue Engel" wohl sagen möchte ist, dass es einen gesunden Mittelweg aus Arbeit und Vergnügen braucht, denn keines der Extreme führt im Endeffekt zu wirklicher Erfüllung. Das ist keine neue Erkenntnis, aber manchmal ist es einfach wichtig sie nochmal zu hören.
Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.