Der blaue Engel und das wahre Glück

13.12.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Nimm dich in Acht vor blonden FrauenUfa / moviepilot
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Kinder, heut Abend, da haben wir uns was ausgesucht: Spät in der Nacht wird moviepilot-User franticfury von Der blaue Engel verführt und entdeckt einen Film, dessen Aussage heute noch so aktuell ist, wie vor 84 Jahren.

Kommentare umschwirrn euch, wie die Motten das Licht, aber jede Woche stellen wir einen davon auf die Bühne unseres Nachtclubs, um euch zu verzaubern (und vielleicht euer Leben ein kleines Bisschen zu verändern). Ob zu einer Schauspielerin, die direkt nach der gefeierten Premiere nach Hollywood flieht, zu einem Film, der so etwas Gewisses hat, zu einer Serie, die noch küssen will und kann, unter einer feschen News oder zum Lieblingsspiel der Saison - wenn euch irgendwo auf moviepilot oder gamespilot die Worte eines Users auffallen, die von Kopf bis Fuß auf Kommentar der Woche eingestellt sind, dann sagt uns Bescheid! Am besten in einer kurzen Nachricht an sciencefiction oder Kängufant!

Der Kommentar der Woche
In Der blaue Engel von Josef von Sternberg, dem Film, mit dem Marlene Dietrich berühmt wurde, findet moviepilot-User franticfury einen Film, der auch noch 84 Jahren noch aktuell ist, begeistert und uns die Frage stellt: Was ist Glück? Und ist der Weg, auf dem wir es zu erreichen versuchen, wirklich der richtige?

Der Mensch braucht eine Arbeit. Eine Arbeit gibt seinem Leben so etwas wie Sinn, ein Ziel, eine Aufgabe. Sie hindert ihn daran, seinem selbstzerstörerischen Hang nachzugehen und lenkt den Blick aufs Wesentliche. Ja, eine erfüllende Arbeit ist für den Menschen unerlässlich, um ein glückliches Leben zu führen, das hatte Sigmund Freud seinerzeit schon erkannt. Und doch, was bringt die erfüllendste Arbeit, wenn es an menschlicher Nähe und Liebe fehlt?
Diese Erfahrung macht auch unser Protagonist Immanuel Rath, Professor für Englisch am Gymnasium, streng, pedantisch, tugendhaft und nicht umsonst unter den Schülern als Spielverderber verschrien, lebt er ein einsames Leben in nahezu vollständiger Abgeschiedenheit. Sein Leben ist das Gymnasium und seine Schüler, dabei nimmt der Pädagoge seinen Erziehungsauftrag allerdings auch sehr ernst, denn schließlich sollen aus seinen Schülern ja später wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden. Nur logisch also, dass er der Sache nachgehen muss, als ihm zu Ohren kommt, dass sich seine Schüler die Freizeit lieber im hiesigen Nachtclub als zuhause vor den Lehrbüchern vertreiben. Doch verfällt er schnell selbst dem Zauber des Verbotenen und dem unvergleichlichen Charme der Sängerin Lola.

Ach, wie froh bin ich, dass ich wach geblieben bin, um mir diesen Film im Fernsehen anzusehen, denn "Der blaue Engel" ist eines dieser absoluten Glanzstücke deutscher Filmkunst, die man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte! Josef von Sternberg beweist, was für ein Visionär er doch war, denn nichts, aber auch gar nichts an diesem Film fühlt sich so an, als hätte er schon ganze 83 Jahre auf dem Buckel. "Der blaue Engel" ist ein ungemein homogener Film (alles andere als eine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass der Tonfilm noch in den Kinderschuhen steckte), der seiner Zeit so weit voraus war, dass seine Themen selbst heute, in unserer aufgeklärten und globalisierten Welt, Anklang finden dürften. Denn es geht um Themen, die uns auch heute noch beschäftigen. Da wird mal eben die Frage gestellt, was denn ein glückliches Leben ausmacht und falsche Wertvorstellungen geschickt hinterfragt. Unser Professor ist so etwas wie das Spiegelbild einer Gesellschaft, er versucht sein Glück zu finden, kennt dabei aber nur das Extrem. Der vollen Hingabe für die Wissenschaft und Bildung folgt die volle Hingabe für die Liebe und die Lust. Eine Frau stellt plötzlich das gesamte Weltbild unseres Professors auf den Kopf, dessen er sich früher doch so sicher fühlte, und das nichts, aber auch gar nichts auf der Welt zu erschüttern vermochte.

Man muss sich natürlich schon fragen wie ein gebildeter Mensch wie unser Herr Professor plötzlich, aus einer Laune heraus, seine ganze Natur über den Haufen wirft und entscheidet, von nun an sein Glück auf eine andere Art zu suchen. War es das Verlangen, selbst einmal von der verbotenen Frucht zu kosten, einmal seinem eintönigen Leben zu entfliehen? In einer naiven Hoffnung, vielleicht endlich das zu finden, nach dem er sich schon immer gesehnt hatte? Liebe?
Vielleicht, doch ehe sich unser Professor versieht, nimmt ihn sein neues Leben so sehr ein, dass es kein Entfliehen mehr gibt. Wenn Josef von Sternberg in einem der denkwürdigsten Schnitte der Filmgeschichte mal eben vier Jahre in die Zukunft springt und wir unseren doch so gebildeten und unumstößlichen Professor plötzlich als gebrochen Clown vor uns haben, geht das schon unter die Haut. Mit Schmerz dachte ich an den Moment zurück, als der Professor seinen Schritt beschloss, alleine im Klassenzimmer, der Moment, ab dem es kein Zurück mehr für ihn gab (Wahnsinn, was eine einzige Kamerafahrt zu sagen im Stande ist). Aber es ist wohl auch ehrlich, denn Gott sei Dank erhebt von Sternberg nie den moralischen Zeigefinger alà "Seht her, das passiert, wenn ihr dem tugendhaften Weg den Rücken kehrt und euch dem Laster zuwendet".

Mag sein, dass ich zu viel hineininterpretiere, aber für mich ist "Der blaue Engel" deshalb eine großartige Gesellschaftsparabel. Wir alle sind auf der Suche nach dem Glück, dem wahren Glück im Leben, doch haben wir alle verschiedene Wege, in der Hoffnung es irgendwann zu erreichen. Möchte ich mich zuerst um meine Karriere bemühen und alles auf später aufschieben, oder möchte ich jetzt leben, solange ich noch jung bin, auf die Gefahr hin später vielleicht nicht dort zu sein, wo ich mich früher vielleicht gesehen habe? Was uns "Der blaue Engel" wohl sagen möchte ist, dass es einen gesunden Mittelweg aus Arbeit und Vergnügen braucht, denn keines der Extreme führt im Endeffekt zu wirklicher Erfüllung. Das ist keine neue Erkenntnis, aber manchmal ist es einfach wichtig sie nochmal zu hören.

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.


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