Knapp 13 Minuten nur dauert J. Searle Dawleys Stummfilm Frankenstein. Dennoch nahm der Film Einfluss auf die Film- und Popkultur – allein deswegen, weil er als erster die Motive von Mary Shelleys Roman aus dem Jahre 1818 in die Filmwelt einführte.
Die Idee des Wissenschaftlers oder Erfinders, der von der Idee, den perfekten Menschen zu erschaffen, besessen ist und dabei ein Monster erschafft, wurde in der Filmwelt immer wieder aufgegriffen. Auch das Motiv des Monsters als Symbol für die dunkle, „böse“ Seite seines Schöpfers war schon in dieser frühen Verfilmung enthalten: In einer Szene gegen Ende sieht Frankenstein seine Schöpfung als sein Spiegelbild. Die Darstellung der Kreatur selbst ist hier ebenfalls bereits erstaunlich vielschichtig: Sie wird nicht als ein durchweg böses Monster dargestellt, sondern zeigt menschliche Emotionen wie Schock über seine eigene Gestalt und Eifersucht wegen Frankensteins Geliebter.
Frankenstein ist aber auch ein interessantes Beispiel dafür, wie sich das kollektive Bild eines fiktiven Charakters über die Jahre entwickeln kann. Denken wir heute an Frankenstein, so fällt uns wohl sofort Boris Karloff s Darstellung des Monsters ein: Flacher Kopf, Schrauben im Hals, offensichtlich „zusammengenäht“ aus den Körperteilen verschiedener Menschen. Von all dem ist in der ersten filmischen Interpretation von Frankenstein noch keine Spur. Das Monster ist ein buckliges Wesen mit spitzen Fingern, das nur wenig mit der heutigen Vorstellung gemein hat. Auch der Entstehungsprozess, der in der Romanvorlage bewusst nicht beschrieben wird, ist ein anderer als in späteren Adaptionen: Hier wird das Monster tatsächlich, quasi aus dem Nichts, erschaffen und nicht aus Körperteilen zusammengesetzt. Für die Szene, in der dieser Prozess zu sehen ist, wurde eine Puppe des Monsters verbrannt und das Material dann rückwärts abgespielt – eine frühe Version von Special Effects, die die Produktion des Films auf fast eine Woche (gewöhnlich dauerte der Dreh damals einen Tag) verlängerte.
Beim damaligen Publikum wurde Frankenstein verhalten aufgenommen. Das lag nicht nur daran, dass er als einer der ersten, vielleicht als der erste Horrorfilm gilt und deswegen ungewohnt für die Zuschauer war. Auch wurde der Inhalt des Films damals als provokant und blasphemisch aufgefasst: Frankenstein übernimmt mit der Erschaffung des Monsters eine eigentlich Gott vorbehaltene Rolle.
Auch wenn – oder gerade weil – sich Frankenstein von der heute dominanten Vorstellung der Geschichte und des Monsters unterscheidet, ist der Film noch immer einen Blick wert. Zum Glück ist der lange verloren geglaubte Film mittlerweile frei im Internet verfügbar: Beim Internet Archive könnt ihr ihn in voller Länge ansehen und downloaden. Horrorfans sollten sich diese erste Interpretation der Frankenstein-Geschichte auf keinen Fall entgehen lassen.
Hier gibt es den kompletten Frankenstein, zwar verwackelt und verblichen, aber was soll’s.
Wählt euer Lieblingskino und gewinnt zwei Kinofreikarten! Moviepilot sucht die beliebtesten Kinos im Lande – die Top 200 findet ihr hier.